Stand: 18.10.2019 13:48 Uhr

Wie ungesund ist Fleisch?

Ein rohes Steak in einer Pfanne. © colourbox Foto: -
Dauerhaft erhöhter Fleischkonsum kann laut Experten das Risiko für Krankheiten wie Darmkrebs erhöhen.

Zu einer gesunden Ernährung gehört ein äußerst zurückhaltender Fleischkonsum. Das war bisher Konsens in der Ernährungsmedizin. Doch dann titelten plötzlich viele große Zeitungen und Online-Portale: Es könne ganz beruhigt wieder mehr Fleisch gegessen werden. Denn laut einer US-Metastudie, die zahlreiche andere Studien zusammenfasst, gebe es keinen Beweis dafür, dass Fleisch ungesund sei.

Die Veröffentlichung sorgte Anfang Oktober 2019 für Aufsehen, denn sie stellt die Erkenntnisse der Ernährungswissenschaften infrage. Doch Experten kritisieren die angebliche Wende in der Ernährungsmedizin als verantwortungslos: Unmittelbar nach der Veröffentlichung erschienen zahlreiche Gegendarstellungen namhafter Wissenschaftler und Institutionen, unter anderem vom World Cancer Research Fund und vom Max-Rubner-Institut.

Warum die Fleisch-Studie in die Irre führt

In ihrer Metastudie haben die Autoren große Datenmengen aus verschiedenen Studien zusammengefasst:

  • In den ersten drei Analysen werteten sie mehr als 100 Beobachtungsstudien mit insgesamt sechs Millionen Teilnehmern aus. Diese zeigen durchweg einen positiven Effekt auf das Sterberisiko durch Krebs auf, wenn Menschen ihren Fleischkonsum nur ein wenig reduzierten.

  • Die vierte Analyse zeigte nur einen geringen oder keinen Effekt von auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Doch in der Untersuchung dominierte eine Studie mit sehr vielen Teilnehmern (Women’s Health Initiative, WHI), die nicht die Fleischreduktion untersucht, sondern die Bedeutung einer fettreduzierten Diät.

  • Die fünfte Analyse untersucht lediglich, ob Menschen gern Fleisch essen - unabhängig von gesundheitlichen Auswirkungen.

Drei Studien bestätigen also, dass ein reduzierter Fleischkonsum gesünder ist. Die vierte zeigte einen geringen Effekt und die fünfte lieferte zu der Fragestellung keine brauchbaren Daten. Somit hätten die Autoren eigentlich zu einer Reduzierung des Fleischkonsums raten müssen. Stattdessen kritisierten sie, dass die verfügbaren Beobachtungsstudien nicht die gleiche Aussagekraft hätten wie Studien zur Zulassung neuer Medikamente.

Warum Ernährungsstudien oft problematisch sind

Der beste Standard, um in der Medizin Gewissheit zu erlangen, sind sogenannte randomisierte kontrollierte Studien (RCT). Ob eine Therapie wirkt, wird ermittelt, indem eine Versuchsgruppe, die zum Beispiel ein neues Medikament bekommt, mit einer Kontrollgruppe verglichen wird.

Da es nicht möglich ist, Menschen für Ernährungsstudien über Jahrzehnte in einem Labor zu untersuchen und nach dem Zufallsprinzip mit Wurst oder einer Placebo-Wurst zu füttern, während sich die übrige Ernährung der beiden Gruppen nicht unterscheidet, lassen sich nur Beobachtungsstudien durchführen. Diese sind zwar methodisch schwächer als randomisierte kontrollierte Studien, aber die besten derzeit verfügbaren Studien.

Metastudie im Auftrag der Agrar-Lobby?

Der umstrittenen Metastudie misstrauen Experten auch aus einem anderen Grund. Denn deren Autoren sind offenbar nicht so unabhängig, wie sie behaupten. Einige wurden von der US-Agrar-Lobby finanziert, die sich unter anderem für mehr Rinderzucht in Texasengagiert.

Der Hauptautor Bradley C. Johnston war bereits 2016 mit einer Studie aufgefallen, die die gesundheitlichen Folgen von Zucker herunterspielte und unter anderem von der Softdrink- und Fastfood-Industrie finanziert wurde.

Außerdem begründen die Autoren ihre überraschenden Empfehlungen zum Teil mit Untersuchungen, in denen es nicht um die Gesundheit ging. Nicht untersucht wurden die gesundheitlichen Folgen einer vegetarischen oder veganen Ernährung.

Empfehlungen der Ernährungsmedizin

An den Empfehlungen der Ernährungsmedizin in Deutschland hat die US-Metastudie nichts geändert. Demnach besteht eine gesunde Ernährung aus

  • viel Gemüse
  • gutem Öl
  • ausreichend Ballaststoffen
  • möglichst wenig Zucker und Fleisch

Mögliche Folgen des Fleischkonsums

Zwar wird nicht jeder Mensch krank, der viel Fleisch isst. Aber zahlreiche Krankheitsbilder werden durch hohen Fleischkonsum mit verursacht oder verschlimmert:

Fleischkonsum beeinflusst die Darmflora

Im Darm leben Millionen von Bakterien, das sogenannte Mikrobiom. Ihm wird eine wesentliche Rolle bei der Immunabwehr zugeschrieben. Das Mikrobiom eines Menschen ist so individuell wie sein Fingerabdruck - und es entwickelt sich abhängig davon, wie wir leben und was wir essen. Hoher Fleischkonsum führt dazu, dass sich im Mikrobiom potenziell aggressive Bakterien vermehren, die Entzündungen und langfristig auch Darmkrebs verursachen können.

Fleischkonsum erhöht die Krebsgefahr

Weil es Menschen gibt, denen ein hoher Fleischkonsum schadet, hat die Weltgesundheitsorganisation WHO bereits 2015 Konsequenzen gezogen: Sie stufte verarbeitetes Fleisch als sicher krebserregend und rotes Fleisch als wahrscheinlich krebserregend ein. Damit steht verarbeitetes Fleisch auf einer Gefährdungsstufe mit Zigaretten.

Empfehlungen zum Fleischkonsum

Eine Verharmlosung des Fleischverzehrs halten Experten für verantwortungslos - zumal der Durchschnittsverzehr in Deutschland mit rund 60 Kilogramm pro Jahr relativ hoch ist. Selbst die sehr konservative Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt maximal 300 Gramm pro Woche, also 15 Kilogramm im Jahr.

Andere Experten raten komplett von Wurst und Schinken ab und empfehlen allenfalls einen geringen Fleischverzehr einmal pro Woche. Dafür sollten jeden Tag 400 Gramm Gemüse auf dem Speiseplan stehen.

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Experten zum Thema

Dr. Matthias Riedl
Internist, Diabetologe, Ernährungsmediziner             
Diabetes Zentrum Berliner Tor
Medicum Hamburg GbR
Beim Strohhause 2
20097 Hamburg
(040) 807 97 90
www.medicum-hamburg.de

Prof. Dr. Samuel Huber, Klinikdirektor
Heisenberg-Professur für Intestinale Immunregulation, Leiter der molekularen Gastroenterologie und Immunologie
I. Medizinische Klinik und Poliklinik (Gastroenterologie mit Sektionen Infektiologie und Tropenmedizin)
Zentrum für Innere Medizin
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Martinistraße 52
20246 Hamburg
www.uke.de

Prof. Dr. rer. nat. Martin Smollich, Arbeitsgruppenleiter Pharmakonutrition
Institut für Ernährungsmedizin
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein - Campus Lübeck
Ratzeburger Allee 160
23538 Lübeck
(0451) 31 01-84 01
www.uksh.de

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