Diverse Medikamente liegen vor einem verzweifelten Mann auf dem Tisch. © fotolia Foto: Patrick Daxenbichler

Medikamentensucht: Unterschätzte Gefahr

Stand: 13.09.2021 13:50 Uhr

Fast zwei Millionen Menschen in Deutschland sind tablettensüchtig. Auslöser für die Medikamentenabhängigkeit sind meist anhaltende Schmerzen oder schwere seelische Belastungen.

Häufig tritt die Medikamentenabhängigkeit zusammen mit Alkoholmissbrauch auf, sie entwickelt sich aber schneller als die Sucht nach Alkohol. Gefährdet sind vor allem Frauen und ältere Menschen. Zu einer Arzneimittelabhängigkeit können Medikamente wie Schmerzmittel, Schlafmittel und Beruhigungsmittel führen. Auslöser sind nicht selten Schicksalsschläge oder Grenzerfahrungen, bei denen Ärzte Beruhigungsmittel verordnen und sie nicht rechtzeitig wieder absetzen. Suchtgefahr besteht nach Ansicht von Experten immer dann, wenn Medikamente über Wochen und Monate eingenommen werden.

Benzodiazepine machen schnell abhängig

Ein besonders bekanntes Beispiel für Medikamente mit hohem Abhängigkeitspotenzial ist die Arzneimittelgruppe der Benzodiazepine. Sie verstärken im zentralen Nervensystem und die Wirkung des Botenstoffs Gamma-Amino-Buttersäure (GABA). GABA leitet den Schlaf ein, indem er die Nervenzellen beruhigt. Wer Benzodiazepine einnimmt, fühlt sich innerhalb von Minuten wie in Watte gepackt. Ängste verschwinden, die Muskeln entspannen sich. Deshalb werden Benzodiazepine häufig als Beruhigungs- oder Schlafmittel verschrieben.

Wegen ihres Abhängigkeitspotenzials sollten Benzodiazepine nur kurzfristig bei akuten Angststörungen oder Unruhezuständen für maximal zwei bis vier Wochen eingesetzt werden. Denn bereits nach kurzer Zeit können die Wirkstoffe in eine Medikamentenabhängigkeit führen. Oft nehmen Patienten die Medikamente über die vom Arzt empfohlene Dauer ein oder lassen sie sich heimlich von mehreren Ärzten verschreiben.

Der Lippstädter Benzo-Check gibt erste Hinweise, ob eine Abhängigkeit von Benzodiazepinen vorliegen könnte.

Z-Medikamente: Ärzte unterschätzen Risiko

Anfang der 1990er-Jahre kamen neuartige Schlaf- und Beruhigungsmittel, sogenannte Z-Medikamente, auf den Markt. Diese sollten noch besser als Benzodiazepine wirken, aber nicht abhängig machen. Mittlerweile warnen Experten aber, dass auch diese Medikamente abhängig machen können. Doch das ist vielen Ärzten nicht bewusst. Sie halten Z-Medikamente weiterhin für unbedenklich und verschreiben sie ohne hinreichende Aufklärung über das Abhängigkeitspozential.

Verglichen mit Benzodiazepinen entsteht eine Abhängigkeit bei den Z-Medikamenten in der Regel deutlich später. Sie entwickelt sich in drei Phasen:

  • In der ersten Phase treten Nebenwirkungen wie Reizbarkeit, Missempfindungen oder eine Wirkumkehr auf.
  • Danach folgt eine Phase der Apathie, geprägt von Müdigkeit und Gedächtnisproblemen.
  • In der dritten Phase kommt es zu einer Sucht wie bei Benzodiazepinen.

Missbrauch von Arzneimitteln erkennen

Eine Medikamentenabhängigkeit zu erkennen ist nicht einfach, da die Betroffenen in der Regel lange relativ unauffällig am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und sich nichts anmerken lassen. Ein Arzneimittelmissbrauch bedeutet, dass Medikamente nicht zur Behandlung erkennbarer Beschwerden eingesetzt werden, sondern zur Beeinflussung des eigenen Wohlbefindens. Typische Hinweise sind:

  • Dosissteigerung: Das Medikament wird länger oder in höherer Dosis eingenommen als verordnet.
  • Fixierung: Ähnlich wie bei einer Alkoholabhängigkeit dreht sich das Leben des Betroffenen ausschließlich um das Medikament. Sie können sich nicht mehr vorstellen, die Einnahme zu reduzieren oder zu beenden.
  • Indikationserweiterung: Die Betroffenen nehmen die Medikamente über die Verordnung hinaus ein, zum Beispiel Schlafmittel zur Beruhigung.
  • Verheimlichen: Medikamentenabhängige lassen sich die Arzneimittel von verschiedenen Ärzten verschreiben oder kaufen sie sogar illegal.

Mögliche Folgen von Arzneimittelmissbrauch

Erhöhte Unfallgefahr besteht durch:

  • Gleichgewichtsstörungen (Sturzrisiko)
  • verminderte Reaktionsfähigkeit im Straßenverkehr
  • erhöhte Risikobereitschaft

Zu den körperlichen Folgen zählen:

  • Gleichgewichts-, Bewegungs-, Konzentrations- und Sprachstörungen
  • Organschäden, zum Beispiel Magenerkrankungen, Leberschäden, Nierenversagen
  • Atemlähmungen (bei Überdosierung von Schmerzmitteln)

Als seelische Folgen können auftreten:

  • Interessenlosigkeit und Verflachung der Gefühle
  • Persönlichkeitsveränderungen
  • Stimmungsschwankungen
  • Gedächtnisstörungen
  • paradoxe Reaktionen
  • Depressionen
  • Ängste

Frühzeitig Hilfe suchen

Wer das Gefühl hat, abhängig von Medikamenten oder Alkohol zu sein, sollte sich so früh wie möglich über professionelle Hilfen beraten lassen. Viele Betroffene haben Angst vor einer Suchttherapie. Sie fürchten, in einer Klinik eingesperrt zu werden und unter Entzug leiden zu müssen. Dabei funktioniert die moderne Suchttherapie ganz anders. Körperliche Entzugserscheinungen werden medikamentös unterdrückt. Die Behandlung mit Medikamenten, Gesprächen und Akupunktur richtet sich individuell nach den Bedürfnissen des Erkrankten und ist - abhängig von seinem körperlichen Zustand - unter Umständen auch ambulant möglich. Informationen darüber gibt es beim Hausarzt und in Suchtberatungsstellen.

Dieses Thema im Programm:

Markt | 13.09.2021 | 20:15 Uhr

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