"Politfix": Projekt für mehr Migrantinnen in der Politik
Rund ein Viertel der Menschen in Niedersachsen hat Wurzeln in einem anderen Land. Ihr Anteil in Stadt-, Gemeinde und Ortsräten, in Kreistagen und ihren Fachausschüssen ist aber verschwindend gering.
Die Parlamente in den Kreisen und Städten spiegelten daher nicht die gesellschaftliche Realität, kritisiert der Niedersächsische Integrationsrat. Und das betrifft insbesondere auch den Anteil an Frauen mit Migrationshintergrund, die politische Ämter übernehmen. Galina Ortmann, Vorstandsvorsitzende des Integrationsrats erklärt: "Die Tatsache, dass 2021 nur ein Prozent Frauen auf kommunaler Ebene in Parlamenten vertreten sind, wollen wir nicht hinnehmen." Das sei eine Frage von Gerechtigkeit und der Chance zu gesellschaftlicher Teilhabe.
Hoher Zuwanderungsanteil in der Bevölkerung
Ein Mensch hat Migrationshintergrund, wenn er selbst oder ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde. Das betrifft dem Statistischen Bundesamt zufolge 21,2 von 83,1 Millionen Menschen in Deutschland. Gut ein Zehntel, also rund zwei Millionen davon, leben in Niedersachsen. Auf der Liste der Länder mit der höchsten Anzahl von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte steht Deutschland sogar an zweiter Stelle, gleich hinter den USA. In den Parlamenten liegt im krassen Gegensatz dazu die Zahl von Menschen mit Migrationshintergrund im niedrigen einstelligen Bereich.
Bundesweite Initiative "Politfix" stammt aus Niedersachsen
Vor einem Jahr hat die Hildesheimerin Galina Ortmann, gebürtig aus Kasachstan, das Mentorenprojekt "Politfix" aus der Taufe gehoben. Es richtet sich an Frauen mit Migrationshintergrund, die politische Verantwortung übernehmen wollen. Es ist Netzwerk und Coaching-Angebot zugleich und arbeitet parteiübergreifend und bundesweit. Gefördert wird es von der Bundeszentrale für politische Bildung.
Erfolge bei Kommunalwahlen in Hessen
Beachtliche Erfolge hat das Programm bereits bei den Kommunalwahlen in Hessen erzielt. Von insgesamt 50 Teilnehmerinnen des Programms wurden 37 in Kommunalparlamente gewählt. In Niedersachsen will Ortmann diese Zahlen noch übertreffen: "Wir wollen zeigen: Trotz struktureller und persönlicher Hürden ist es möglich, auch Frauen zu unterstützen, in Parlamente zu kommen." Auf eine Quote will Ortmann nicht warten. Sie setzt auf eine selbstbewusste Bewegung engagierter Frauen, eine Entwicklung "von unten nach oben".
Parteien reagieren aufgeschlossen
SPD, CDU, Grüne und Linke haben Kandidatinnen bei "Politfix" für die Kommunalwahl in Niedersachsen ins Rennen geschickt. Rückenwind kommt auch vom niedersächsischen Landesfrauenrat: Es sei wünschenswert, insbesondere mehr Frauen mit Migrationserbe zukünftig in kommunalen Mandaten zu sehen. Das wichtige Thema werde den Vorstand des Landesfrauenrates in der aktuellen Vorstandsperiode verstärkt beschäftigen.
Demokratische Aufklärung nötig
Eine der Teilnehmerinnen von "Politfix" ist Tatjana Becker aus Langenhagen. Sie kandidiert für die SPD im Rat der Stadt und im Rat ihres Ortsteils Kaltenweide. Auf beiden Listen steht sie auf Platz vier. Wenn sie gewählt würde, dann wäre das für sie ein Durchbruch. Mitgestalten zu dürfen, das war für sie nämlich lange nicht selbstverständlich. Sie stammt wie Ortmann aus Kasachstan: "Wir sprechen viel darüber, dass Frauen unterrepräsentiert sind in der Politik und in der Kommunalpolitik generell und Migrantinnen innerhalb dieser Gruppe auch nochmal unterrepräsentiert sind, aber was sind eigentlich die Gründe dafür? Eventuell muss diese Gruppe auch mehr aufgeklärt werden, denn viele Migrantinnen kommen auch aus Ländern, in denen sie diese Art der Beteiligung oder der Selbstverwaltung gar nicht kennen."
Migrantinnen sind nicht bedürftig

Beckers Mentorin bei "Politfix" ist Pearl Hahn. Sie ist Linken-Abgeordnete im Rat der Stadt Frankfurt und Mitglied im Landesvorstand ihrer Partei. Hahn ist in Kenia geboren. Die beiden tauschen sich regelmäßig online aus. Hahn will vor allem Mut machen. Ihr Credo: Frauen mit Zuwanderungsgeschichte sind nicht bedürftig, sie sind bereichernd: "Ich erkenne, dass es ein strukturelles Problem gibt und dass die Frauen im Projekt und viele Frauen, die ich kenne, so viele Kompetenzen mitbringen, die Deutschland leider nicht abruft. Ich möchte, dass Deutschland Migration als etwas Positives sieht, dass Deutschland diese Kompetenzen, die die Frauen mitbringen, tatsächlich abruft und implementiert."
Galina Ortmanns Ziel nach der Kommunalwahl: Mindestens drei Personen mit Migrationsgeschichte in jedem Stadtrat und in jedem Kreistag. Wenn Politfix weiter so erfolgreich Netzwerke knüpft, könnten die Kommunalparlamente tatsächlich bald deutlich anders aussehen.
