Massive Kritik an "Ruhetagen" aus Niedersachsens Wirtschaft
Zu den Beschlüssen des letzten Bund-Länder-Treffens gehören sogenannte "Ruhetage". Was das genau bedeutet, will der Bund noch klären. Klar ist: Die Kritik wächst bereits jetzt massiv.
Die Unternehmerverbände und der Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall werfen den Politikerinnen und Politikern Realitätsferne und eine fehlende Gesamtstrategie vor. Die Produktion könne nicht mal eben hoch und wieder heruntergefahren werden. Für die Metall- und Elektroindustrie in Niedersachsen bedeute ein weiterer Feiertag - wenn denn der Ruhetag als solcher angesehen wird - rund 750 Millionen Euro Umsatzausfall. Dies berichtet NDR 1 Niedersachsen. Der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Braunschweig berichtete am Dienstag von schwindendem Verständnis. Teile der Maßnahmen seien nicht mehr nachvollziehbar. "Die Verzweiflung bei vielen unserer Mitgliedsunternehmen wächst weiter", hieß es.
Hoffnung auf neue Phase nach Ostern
Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) nannte den Lockdown über Ostern am Dienstagabend zwar "hammerhart", er sei aber dem "prognostizierten, starken Anstieg des Infektionsgeschehens geschuldet." Ministerpräsident Weil verteidigte den Lockdown am Dienstagabend in der Sendung "ZDF Spezial". Es gehe um etwas anders als bei den bisherigen Lockdowns, sagte der SPD-Politiker. Der steile Anstieg der Fallzahlen müsse beendet werden, damit es nach Ostern in eine neue Phase gehen könne. "Dann wollen wir versuchen, Freiheit und Sicherheit zusammenzubringen", sagte Weil.
Gründonnerstag wird zum "allgemeinen Ruhetag"
Der "Oster-Lockdown" sieht vor, dass an den fünf Tagen ab Gründonnerstag allein der Lebensmittelhandel am Ostersonnabend öffnen darf. Unternehmen sollen nicht produzieren und nur wer absolut systemrelevant ist, soll zur Arbeit gehen dürfen. Weil sprach von einem "allgemeinen Ruhetag". Geregelt werde dies auf der Rechtsgrundlage des Infektionsschutzgesetzes. Die konkrete Ausgestaltung, die dann für alle 16 Bundesländer gelten soll, übernehme der Bund. Auch Kindergärten und Schulen sollen am Donnerstag vor Ostern geschlossen bleiben. Die Maßnahmen seien mit dem dringenden Appell verbunden, sich in dieser Zeit möglichst zu Hause aufzuhalten, sagte Weil. Eine Ausgangssperre wolle das Land aber nicht verhängen. Monika Dürrer vom Einzelhandelsverband Hannover mahnte an, dass der Lebensmittel-Einzelhandel durch den "Ruhetag" vor enorme Probleme gestellt und Menschen verunsichert werden würden. Auch die Fußball-Bundesliga-Partien sind betroffen: "In Niedersachsen gehen wir davon aus, dass am Osterwochenende kein Profisport stattfinden wird", sagte Regierungssprecherin Anke Pörksen.
Viele juristische Fragen offen
Bernd Wiechel vom Arbeitgeberverband Lüneburg sowie der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Niedersachsen-Bremen, Mark Alexander Krack, bemängelten die fehlende Rechtssicherheit. Hinsichtlich der "Ruhetage" gibt es auch Juristen zufolge noch viele offene Fragen. Sollten sie als Feiertage gelten, würde das "ein Beschäftigungsverbot von 0 bis 24 Uhr" bedeuten, so Kira Falter, Fachanwältin für Arbeitsrecht. Wer gegebenenfalls Lohnfortzahlung oder mögliche Zuschläge übernehmen würde, ist offen. Unterdessen ist im Gespräch, die Auszahlung von Sozialleistungen vorzuziehen, da der Gründonnerstag auf den Monatsanfang fällt.
Weil: Werden Zahlen damit nicht nachhaltig senken
Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte in der Landespressekonferenz zum geplanten Lockdown: "Wir glauben nicht, dass wir die Zahlen damit nachhaltig senken werden." Das Ziel dieser Maßnahme sei vielmehr, die Dynamik aus dem Infektionsgeschehen herauszunehmen, was laut Wissenschaftlern bereits mit einem kurzen, harten Shutdown wie diesem gelingen könne. Dies erleichtere den für nach Ostern geplanten Start in ein neues Testkonzept. Die Ansicht teilt auch Physikern Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut Göttingen. Aus ihrer Sicht gehen die Maßnahmen in Deutschland allerdings nicht weit genug. Mit den bisherigen Regeln lasse sich die britische Virusvariante nicht eindämmen.
Test-Strategie: 40 Prozent der Bevölkerung regelmäßig testen
Nach Ostern will Niedersachsen das Infektionsgeschehen durch Tests großer Bevölkerungsteile in den Griff bekommen, wie Weil erklärte. Laut Experten müssten 40 Prozent der Bevölkerung regelmäßig getestet werden. Dies erreiche man in Niedersachsen über die rund eine Millionen Schülerinnen und Schüler, die nach Ostern zweimal wöchentlich getestet werden sollen, sowie über Tests der drei Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Niedersachsen. Vertreter der niedersächsischen Wirtschaft hätten versichert, sich für die Tests am Arbeitsplatz einzusetzen. Hinzu komme die Gruppe der Bürger, die sich auf Kosten des Bundes testen lassen können, so Weil.
Land trägt Kosten für die wöchentlichen Tests
Durch diese Maßnahmen könnten Infektionen frühzeitig aufgespürt und Infektionsketten unterbrochen werden. Das neue Testregime sei die Grundlage dafür, "dass wir nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag" mit Öffnungen warten müssen, sagte Weil. Die Kosten für die Tests an Schulen und Arbeitsplätzen trägt das Land. Allein die Kosten für die Tests an den Schulen belaufen sich laut Weil pro Woche auf 75 Millionen Euro. Angestrebt sind zwei Tests pro Woche. Hinzu kommen die Tests für die arbeitende Bevölkerung. Das schlage finanziell zwar ins Kontor, so der Ministerpräsident. "Aber das muss es uns wert sein." Dahinter stecke ein wesentliches Element zur Bewältigung der größten Krise in der Landesgeschichte.
Modellprojekt: Erst testen, dann shoppen und ins Restaurant
In der Woche nach Ostern soll dann laut Weil ein Modellprojekt in ausgewählten Kommunen im Land beginnen. Dort sollen zuvor negativ auf das Coronavirus getestete Menschen in Geschäften einkaufen gehen, in der Außengastronomie sitzen und Kulturveranstaltungen besuchen können. Dieser Weg scheine wegweisend für die Zukunft zu sein, sagte Weil. Welche Kommunen an dem Projekt teilnehmen, entscheide das Landesgesundheitsamt. Kommunen mit einer Inzidenz von mehr als 200 seien ausgeschlossen. Auch müsse eine kreisfreie Stadt oder ein Landkreis das Projekt beenden, wenn währenddessen diese Grenze überschritten wird.
Weil mit Ergebnis der Bund-Länder-Konferenz zufrieden
Insgesamt zeigte sich Weil mit den Bund-Länder-Beratungen sehr zufrieden. Die lange Dauer von zwölfeinhalb Stunden erklärte Weil mit dem schwierigen Hintergrund für die Beratungen: Auf der einen Seite verdeutliche die sich zuspitzende Infektionslage, dass sich Deutschland mitten in der dritten Welle befinde. In Niedersachsen habe die Zahl der Neuinfektionen in den vergangenen zwei Wochen um 50 Prozent zugenommen. Auf der anderen Seite stehe eine ausgeprägte Corona-Müdigkeit in der Bevölkerung.
Ziel: Im Sommer alle impfen, die es wollen
Am Ende sei es der Runde der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gelungen, aus dem Klein-Klein des Krisenmanagements herauszutreten und sich auf ein Ziel zu fokussieren. Wenn große Teile der Gesellschaft geimpft seien, dann sei der Pandemie der Schrecken genommen, so Weil. Ein großes Ziel sei es deshalb, dass sich im Sommer alle Menschen, die dies möchten, impfen lassen können. Aufgrund der für April und die danach folgenden Monate angekündigten Impfstofflieferungen hält Weil dieses Ziel für realistisch.
Mallorca-Reisen: "Stimmungskiller" in der Bevölkerung
Dass sich die Nordländer bei den Beratungen am Ende nicht weiter für einen kontaktlosen Osterurlaub im eigenen Bundesland eingesetzt haben, begründete Weil damit, dass dies nicht zu der Strategie der Osterauszeit gepasst hätte, auf die sich die Runde im Laufe der Sitzung verständigt habe. "Es soll über Ostern alles so ruhig wie möglich sein", sagte Weil. Hätten die Nordländer die Osterurlaubs-Strategie weiterverfolgt, hätten sie sich damit selbst geschadet, so Weil. Die Entscheidung der Bundesregierung, Mallorca-Urlaub zu erlauben, bezeichnete er als "echten Stimmungskiller" in der Bevölkerung. Auch das sei in der Sitzung zur Sprache gekommen. Immerhin wolle die Bundesregierung eine Testpflicht vor der Rückreise in die Bundesrepublik einführen, so Weil.
Kritik vom Einzelhandel an Beschlüssen
Am Ende bewerten nicht alle die Bund-Länder-Beschlüsse so positiv wie der Ministerpräsident. Heiko Meyer, Sprecher der Einzelhändler in Lüneburgs Innenstadt, bezeichnet sie als planlos. Ihm fehlen konkretere Ansagen als lediglich "impfen und testen". Zudem befürchtet Meyer einen Ansturm auf die Supermärkte an Karsamstag. Martin Prenzler, Chef des Händlerbundes Citygemeinschaft Hannover, zeigte sich schockiert. Die Gespräche mit dem Land seien eigentlich sehr konstruktiv verlaufen.
