Die Hochbrücke Rendsburg ist fast fertig gebaut. © Landesarchiv Schleswig-Holstein LASH LSH_Abt. 548.3 Nr. 3213(1)

Nord-Ostsee-Kanal: Erst nur eine Vision, dann Technik-Meisterwerk

Stand: 12.02.2024 16:35 Uhr

Mit dem Bau des Nord-Ostsee-Kanals, seinen Brücken und Schleusen betreten Ingenieure Ende des 19. Jahrhunderts technologisches Neuland, bei dessen Durchführung modernste Maschinen zum Einsatz kommen. In nur acht Jahren entsteht ein Wunderwerk der Ingenieurskunst.

von Stefanie Grossmann

Die ehrgeizigen Ingenieure um Oberbaurat Otto Baensch stehen vor großen Herausforderungen, als sie 1886 vom Reichsamt des Inneren den Auftrag bekommen, den Bauplan für den Nord-Ostsee-Kanal zu entwerfen. Stimmen ihre Berechnungen für den Bau nicht, könnte halb Schleswig-Holstein im Schlamm versinken. Denn das Land zwischen den Meeren ist geprägt von schwierigem Gelände.

Wichtigstes Bauprojekt des Deutschen Reiches

Als die Bauarbeiten im März 1888 schließlich beginnen, wächst in Schleswig-Holstein die größte Erd- und Wasserbaustelle Europas. Fast 100 Kilometer lang, 67 Meter breit und neun Meter tief soll die neue Wasserstraße zwischen Kiel und Brunsbüttel werden. Das Projekt gilt als das wichtigste Bauwerk des Deutschen Reiches.

Sumpfiges Marschland ist typisch für den westlichen Teil des Baugebiets, das teilweise unter dem Meeresspiegel liegt. Im Osten liegen von der Eiszeit geformte Hügelketten, die steil zur Ostsee abfallen. Zwei Drittel der Bauarbeiten sind im trockenen Erdreich geplant, das von kleineren Seeflächen und Mooren unterbrochen ist. Ein Drittel des Bau-Areals folgt dem Verlauf des alten Eiderkanals auf einer Länge von 38 Kilometern von Holtenau nach Rendsburg. Der auszugrabende Boden besteht häufig aus Sand und Lehm. An festem Felsboden, der für eine stabile Konstruktion des Kanal nötig ist, mangelt es dagegen. Dafür ist Erdreich mit vielen großen Findlingen durchsetzt, die mühsam ausgehoben werden müssen.

Nord-Ostsee-Kanal: Neubau trennt Dörfer und Menschen

Das für den Bau benötigte Land gehört zum Teil Privatbesitzern, die enteignet und entschädigt werden müssen. Das verschlingt allein zehn der veranschlagten 156 Millionen Goldmark. Darüber hinaus stehen Begradigungen an, dafür wird zum Beispiel zwischen Auberg und Gut Knoop bei Holtenau Land abgetragen. Alte Parklandschaften weichen dem Mammutprojekt. Der Kanal-Neubau verändert Städte wie Rendsburg, zerschneidet Straßen sowie Eisenbahnlinien und trennt Dörfer wie Sehestedt und ihre Bewohner - manchmal gar Familien - von einem auf den anderen Tag. Nur mittels von Hand betriebener Fähren kommen sie fortan auf die jeweils andere Fluss-Seite. Insgesamt entstehen am Nord-Ostsee-Kanal 16 Fähranleger.

VIDEO: Probelauf für Nord-Ostsee-Kanal bei Brunsbüttel (4 Min)

Der gesamte Kanal soll auf Meeresspiegelhöhe verlaufen

Laut Planungen soll der neue Kanal auf Höhe des Meeresspiegels verlaufen, das heißt, der Wasserstand der Kieler Förde muss bis nach Brunsbüttel durchgeführt werden. Dafür senken die Ingenieure nicht nur den Wasserspiegel des Flemhuder Sees bei Achterwehr um sieben Meter, sondern auch den der Eider. Im Gegenzug muss der Kanal im weiten, großen Dithmarschen höher verlaufen als das Land. Eindeichen und absichern lautet deshalb die Devise der Planer. Und da das Wasser an diesen Stellen nicht mehr ablaufen kann, muss das Land durch Pumpen permanent entwässert werden.

Sand und Steine befestigen Uferböschungen

Uferdeckwerk zwischen Kilometer 66,76 und 67 auf der Nordseite am Nord-Ostsee-Kanal © Landesarchiv Schleswig-Holstein LASH 32_III_145, Abt. 2003.8 Nr. 1115
Mit Sand schützen die Arbeiter beim Bau des Nord-Ostsee-Kanals die häufig instabilen Uferböschungen - hier auf der Nordseite.

Das Moor ist schwer zu bändigen, immer wieder rutschen die Deiche ab. 1,8 Millionen Kubikmeter Sand sind nötig, um den schlickigen Boden trocken zu legen. Dafür schneiden Arbeiter die Bodendecke auf, schütten Sand in die Narbe und pressen diesen fest. Um das Ufer zu befestigen und zu schützen, sind außerdem 800 Millionen Pflaster- und Mauersteine nötig. Diese werden in zwei eigens dafür gebauten Ziegeleien gefertigt. Noch bis kurz vor Bauende des Kanals im Jahr 1894 rutscht an manchen Stellen immer wieder die Uferbefestigung ab - auf der Nordseite bis zu einer Länge von 430 Metern. Denn der magere Flöhnsand bietet einfach zu wenig Stabilität.

Brücken verbinden die Menschen am Kanal wieder

Arbeiter legen Sicherungen in der Südrampe ein, um eine Rutschung beim Bau der Hochbrücke Holtenau zu verhindern. © Landesarchiv Schleswig-Holstein LASH 53_V_570, Abt. 2003.8 Nr. 826
Arbeiter legen Sicherungen in der Südrampe ein, um das Abrutschen beim Bau der Hochbrücke Holtenau zu verhindern.

Dass der Kanal fast das ganze Land trennt, stellt die ausführenden Ingenieure vor Probleme. Lösen sollen diese mehrere Brückenbauten, um ihn zu überqueren. In den Planungen vorgesehen sind zwei Hochbrücken bei Grünental und Levensau für Straße und Schiene. Ihre Höhe soll einheitlich 42 Meter über dem höchsten Wasserspiegel liegen. Wegen des unwegsamen Geländes und des Risikos von Rutschungen an Uferböschungen werden die Bogen relativ flach gehalten, abgestützt auf Widerlagern in Form von Tortürmen.

Eisenbahnhochbrücke bei Rendsburg wird zum Meisterwerk

Ansicht des oberen Windverbandes des nördlichen Kragträgers an der Hochbrücke Rendsburg © Landesarchiv Schleswig-Holstein LASH 51_B_164, Abt. 2003.8 Nr. 1111
Die Bau der Eisenbahnhochbrücke bei Rendsburg (1911-1913) gehört zu den Meisterwerken deutscher Ingenieursbaukunst.

Anders verhält es sich bei den fünf geplanten Drehbrücken. Der bautechnische Vorteil an dieser Konstruktion: Sie verläuft auf Deichhöhe und lässt sich auf weniger tragfähigem Boden bauen. Der Nachteil daran: Sie sind nur zu bedienen, wenn kein Schiff auf dem Kanal fährt. Eine der strategisch wichtigsten Drehbrücken verläuft bei Rendsburg, um die wichtige Verkehrsverbindung von Hamburg nach Flensburg zu bedienen. Dort entstehen zwei einzelne, eingleisige Drehbrücken in einem Abstand von 150 Metern. Ihr Betrieb funktioniert hydraulisch in Form eines Flaschenzuges. Heute führt hier eine Eisenbahnhochbrücke über den Kanal - die beeindruckende Stahlkonstruktion ist eines der berühmtesten Technikdenkmäler Deutschlands und fast so berühmt wie der Pariser Eiffelturm.

Doppelschleusen sind Meilensteine im Kanalbau

Bau einer Schleuse am Nord-Ostsee-Kanal © Landesarchiv Schleswig-Holstein LASH VI_11_A10
Am 29. September 1894 hat die offizielle Eröffnung der Holtenauer Schleuse stattgefunden.

Der Nord-Ostsee-Kanal ist ein spiegelgleicher Durchstichkanal mit Schleusenanlagen an den Enden. Sie überwinden keine Höhenunterschiede, sondern gleichen lediglich den unterschiedlichen Wasserstand von Nord- und Ostsee aus. Er darf nicht mehr als 30 Zentimeter über dem Normalstand liegen, da Fähren sonst nicht mehr an die Anleger kommen. Der Bau der Schleusen kommt einem Kunstwerk gleich - an den Kanal-Enden entstehen je zwei wuchtige Schleusenkammern: 150 Meter lang und 25 Meter breit. Doppelte Ebbe- und Fluttore sollen dem enormen Wasserdruck standhalten, insbesondere dem Hochwasser der Nordsee. Die Holtenauer Schleuse entsteht ausschließlich als Trockenbau - anders das Bauwerk in Brunsbüttel, dessen Basis und ersten Aufbau die Arbeiter im Wasser hochziehen. Eine dicke Betonschicht und Pumpen halten das Wasser bei den Maurerarbeiten fern. Am Ende sind 90 Millionen Mauersteine verbaut. 1894 sind die imposanten Schleusen fertig.

Nord-Ostsee-Kanal gibt dem Land ein anderes Gesicht

Bei seiner Fertigstellung gilt der Nord-Ostsee-Kanal als Wunderwerk der Ingenieurskunst, doch schon bei seiner Eröffnung stellt er sich als zu klein für die Passage von Kriegsschiffen heraus. Bereits 1907 muss der Bau massiv erweitert werden. 1914 sind die Arbeiten dazu abgeschlossen, Aufwand und Kosten sind höher als der eigentliche Bau selbst.

Anders als vermutet, bekommt der Kanal sein Wasser nicht vom Meer. Im Gegenteil: Durch die Eider und andere kleinere Kanäle sowie künstliche Schöpfwerke leitet der Nord-Ostsee-Kanal das Wasser in die Nordsee. Insgesamt entwässert er ein Gebiet von 1.580 Quadratkilometern. Das ist bis heute so. Die Wasserstraße ist sozusagen ein Vorfluter, der Überschwemmungen verhindert. Ohne ihn stünde ein großer Teil Schleswig-Holsteins unter Wasser. Der Kanal bringt also eine völlig neue Kulturlandschaft hervor, die die Meere verbindet, das Land aber teilt.

Weitere Informationen
Fertiges Baugerüst für den nördlichen Kragträger zum Bau der Hochbrücke Rendsburg © Landesarchiv Schleswig-Holstein LASH LSH_1000096604016

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Unsere Geschichte | 09.04.2023 | 20:15 Uhr

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