Rudolf Eucken: Der vergessene Nobelpreisträger
Rudolf Christoph Eucken - er gilt als der Begründer des Neu-Idealismus. Nennt man den Namen Eucken, fällt vielen der Ökonom Walter Eucken ein, Sohn Rudolf Christoph Euckens; der Vater ist heute eher unbekannt. Dabei waren die gängig formulierten Schriften und Aufsätze des Philosophen - es waren insgesamt an die 1.000 - zu seiner Zeit durchaus populär. Vor allem in Skandinavien haben sich viele mit den Theorien des Ostfriesen auseinandergesetzt. Die 1907 veröffentlichten "Grundlinien einer neuen Lebensanschauung" wurden sofort nach ihrer Veröffentlichung ins Schwedische übersetzt.
Ein Verlegenheitskandidat
Auch der schwedische König Oscar II. befasste sich mit Euckens religionsphilosophischen Schriften und hielt große Stücke auf den Philosophen.
Eucken wurde schon vor der Verleihung des Literaturnobelpreises zum auswärtigen Mitglied der schwedischen Akademie der Wissenschaften ernannt. Dennoch: Dass Eucken 1908 als zweitem Deutschen nach dem Historiker Theodor Mommsen der Nobelpreis verliehen wurde, war eine Kompromisslösung. In der engeren Wahl standen der englische Dichter Algernon Charles Swinburne und die Nils Holgersson-Erschafferin Selma Lagerlöf. Letztere sollte den Nobelpreis dann ein Jahr später bekommen.
Da es in der Akademie keine Mehrheit für den einen oder anderen Kandidaten gab, einigte man sich schließlich auf eine dritte Person: Rudolf C. Eucken. In Deutschland blieb die Resonanz auf die Verleihung des Preises verhalten. Der Evolutionsbiologe Ernst Haeckel - wie Eucken Professor an der Universität Jena - äußerte sogar völliges Unverständnis: Eucken sei "ein guter Redner und frommer Kantianer ..., hat auch 'schöne Bücher' über 'höhere Ziele' et cetera geschrieben, aber nicht eine einzige originale Arbeit von Wert geleistet". Er glaubte, selbst übergangen worden zu sein und den Preis eher verdient zu haben. Auch andere deutsche Gelehrte waren kritisch - Eucken galt als Außenseiter, dem es an Systematik und Sprachgewalt mangelte.
Die Rettung der Welt
Eucken reagierte verblüfft darauf, dass die Preisvergabe im Ausland so viel mehr gewürdigt wurde als in Deutschland. Es ging ihm nicht um schön Formuliertes oder prägnant Durchdachtes.
Einseitigen Intellektualismus lehnte er ab, darin "versande die Tiefe des Lebens". Gegen die Theoriegebilde der Gelehrtenphilosophie forderte er eine "intuitive Lehre" und praktisches Handeln. In der einsetzenden Industrialisierung seiner Zeit sah er eine gefährliche "Scheinkultur des Technischen" aufziehen, diese belaste mit ihrer "fiebrigen Arbeitskultur" die Seele. Dagegen forderte er eine stärkere Auseinandersetzung mit der Natur, nicht um der Natur willen, sondern um den Menschen zur Ganzheitlichkeit zu bringen und ihn eine höhere Geistesstufe erlangen zu lassen. Diesen "heilen Zustand" nannte er das "Beisichselbstsein des Lebens". Kurz: Der Philosoph sah die Welt in einem Zustand der Krise und er wollte nicht weniger, als die Welt und den Menschen durch eine neue Sinngebung retten.
Leidenschaftliche Studien über die "großen Denker"
Von diesem Impetus ist vieles, was Eucken geschrieben hat, durchzogen. Er promovierte über Aristoteles' Bemerkungen zur Vernunft und setzte sich intensiv mit den Theorien der "großen Denker" auseinander: Neben Aristoteles beschäftigte er sich vor allem mit Plato und Thomas von Aquin. Auf der Suche nach der idealen Weltanschauung entstanden Bücher wie "Der Kampf um einen geistigen Lebensinhalt" (1896), "Der Wahrheitsgehalt der Religion" (1901) und seine beiden Hauptwerke: "Der Sinn und Wert des Lebens" (1908) sowie "Mensch und Welt" (1918), für Eucken nicht weniger als eine "Philosophie des Lebens", wie der Untertitel des Letzteren lautet.
- Teil 1: Ein Verlegenheitskandidat
- Teil 2: Der Lebensweg
