Sendedatum: 04.11.2014 18:45 Uhr

Die Mütter vom DRK

von Ilka Kreutzträger

"Die ganze Zeit war ein Abenteuer"

Paneuropäisches Picknick: Österreichische Grenzbeamte öffnen bei Sopron am 19 August 1989 ein Grenztor. © dpa Foto: Votava
Österreichische Grenzbeamte öffnen am 19. August 1989 in Sopron ein Grenztor - der Flüchtlingsansturm begann.

Doch nach dempaneuropäischen Picknick am 19. August 1989 im ungarischen Sopron stieg die Zahl der Flüchtlinge, die nach Schleswig-Holstein kamen. "Und da hatte der damalige Sozialminister Günter Jansen dann die Idee, dass das Rote Kreuz in Neumünster die Aufnahme der Übersiedler ganz übernehmen könnte", erzählt Markowski-Bachmann und öffnet sich eine weitere Cola. "Er hat uns dann gefragt und unser Chef hat Gott sei Dank freudestrahlend 'Ja!' gesagt." Am Anfang übernahmen vier Mitarbeiter an zwei Schreibtischen die Aufnahme der Übersiedler im etwa 30 Quadratmeter großen Büro des DRK im Schleusberg 22, in dem auch die Kleiderkammer untergebracht war. In der heißen Phase von September bis November waren es dann zwölf Mitarbeiter an sechs Schreibtischen. Eine ungewöhnliche Lösung, die in Schleswig-Holstein gewählt wurde, denn die zentrale Betreuung der Übersiedler war originär eine Bundes- oder Landesaufgabe.

"Diese ganze Zeit war ein Abenteuer", erinnert sich Mona Rödel, die seit 25 Jahren für das DRK arbeitet. Sie sitzt im schwarzen T-Shirt ihrer Kollegin gegenüber, trinkt Cola und raucht. "Wir haben erst viel später begriffen, dass wir Geschichte mit gestaltet haben, wenn auch nur einen ganz kleinen Teil." "Aber für uns war es gewaltig!", wirft Markowski-Bachmann ein und erzählt, dass sie lange Gespräche mit den Übersiedlern führten, um für die Menschen dort eine Bleibe zu finden, wo es für sie aus ihrem familiären oder beruflichen Umfeld Sinn ergab. "Wir haben da ganz neue Sachen gelernt, zum Beispiel den Begriff des Zootechnikers." Die beiden Frauen lachen auf. "Anfangs dachten wir, wir müssten die alle zu 'Hagenbeck' schicken", schmunzelt Markowski-Bachmann. "Aber dann lernten wir, dass ein Zootechniker ein landwirtschaftlicher Helfer ist."

Nicht dieselbe Sprache

Bis dahin hatten die beiden Frauen Flüchtlinge aus dem Ausland betreut, aber die Arbeit mit den DDR-Bürgern war etwas vollkommen Neues. "Man kann ja nicht von Integration reden, denn das waren ja Bundesbürger", sagt Markowski-Bachmann. "Zumindest anfangs glaubten wir, dass wir uns mit der gleichen Sprache verständigen könnten. Aber das war falsch. Manches Mal haben wir die Menschen einfach nicht verstanden, die Dialekte, die anderen Begriffe, Wörter wie Broiler. Die Uhrzeiten! Da gab es enorme Schwierigkeiten." 

Petra Markowski-Bachmann
Petra Markowski-Bachmann vom DRK Neumünster hat nie wieder eine derartige Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung erlebt.

Besonders überrascht hat die beiden Frauen die große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung. "Aus der Asylarbeit sind wir es nicht gewohnt, dass uns die Bürger die Bude einrennen und unbedingt helfen wollen", sagt Markowski-Bachmann. Doch je mehr über die Flüchtlinge aus der DDR berichtet wurde, desto mehr Leute meldeten sich beim DRK. "Wir brauchten am Anfang gar nicht so viele Unterkünfte zu organisieren, denn viele Flüchtlinge wurden uns sofort vom Schreibtisch weggeklaut, wie wir das genannt haben. Das heißt, da standen schon ganz viele Bürger, die sagten, wenn ein Übersiedler kommt, ich habe ein Gästezimmer, ich nehme den mit", erzählt die 52-Jährige. Zu Hochzeiten der Flüchtlingswelle konnte das DRK Neumünster auf 80 bis 90 Unterkünfte in ganz Schleswig-Holstein zurückgreifen.

Dieses Thema im Programm:

DAS! | 04.11.2014 | 18:45 Uhr

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