Aus Haren wird Maczków: Das Kriegsende im Emsland
20. Mai 1945: Seit knapp zwei Wochen ist der Zweite Weltkrieg in Europa offiziell beendet. Auch in der Kleinstadt Haren im Emsland gehen die Menschen davon aus, dass sie nun zupackend in die Zukunft steuern können. Doch an diesem Pfingstsonntag soll ihr Leben schlagartig noch einmal eine neue Wendung nehmen: Auf Befehl der britischen Militärregierung vom 19. Mai muss die deutsche Bevölkerung von Haren innerhalb von 48 Stunden die Stadt verlassen. Die Menschen sollen Platz machen für polnische "Displaced Persons", die wegen mangelnder Transportkapazitäten und auch wegen der politischen Lage in Polen nicht in ihre Heimat zurückkehren können oder wollen.
Nach dem Krieg erneut ins Provisorium
Der von den Besatzern wieder eingesetzte Harener Bürgermeister Hermann Wiechers hat die schwere Aufgabe, den Befehl der Alliierten an jenem 20. Mai zu verkünden:
Zur vorübergehenden Unterbringung von Ausländern ist Haren zu räumen. Aufnahmegebiet sind die umliegenden Gemeinden. Mitgenommen werden dürften Wertsachen, Kleidung und Wäsche - aber keine Möbel, Tassen und Teller. Hermann Wiechers am 20. Mai 1945
Knapp 1.000 Familien - rund 5.000 Menschen - müssen damit von heute auf morgen aus ihren insgesamt 514 Häusern raus und versuchen, bei Verwandten und Freunden in den umliegenden Dörfern unterzukommen, richten sich in Notunterkünften ein. Das meiste von ihrem Hab und Gut müssen sie zurücklassen.
Maczków wird zur polnischen Enklave an der Ems

Am 21. Mai ist die Evakuierung abgeschlossen, die ersten polnischen Familien treffen ein: Soldaten der polnischen Armee, aber auch Vertriebene und Befreite aus den Arbeitslagern der emsländischen Umgebung. Mehr als 40.000 polnische Exilanten kommen in den folgenden Tagen, Wochen und Monaten nach Haren. Die Stadt wird am 24. Juni in Maczków umbenannt und zu einer komplett polnischen Stadt - und damit zum Zentrum eines polnischen Besatzungsgebiets im Emsland. Ein Kuriosum der Geschichte, über das sogar die ausländische Presse berichtet:
Haren ist die Hauptstadt von einem kleinen Polen, um ein schwieriges Problem zu lösen. Das Problem von polnischen Zwangsarbeitern, die befreit wurden, und die entweder nicht nach Hause können oder nicht nach Hause wollen. Die Polen haben bereits ihre eigene Verwaltung gewählt. Sie pflegen die Pflanzungen der Deutschen und beginnen bereits mit der ersten Ernte. Daily Mail, 1945
Schulen, Krankenhaus, Theater und Kino
Junge Polen wie der Künstler Joseph Scheiner hatten jahrelang in Konzentrationslagern gelitten. In einem Brief schreibt er rückblickend über seine Zeit im Emsland: "Zum ersten Mal nach sechs Jahren wohnte ich in einem normalen Zimmer mit Küche und WC. Wir lebten sehr bescheiden. In Maczków liebten sich die Menschen, gründeten Familien." Die Polen leben gut in Maczków - mit den Möbeln, mit dem Geschirr der Harener - und bauen sich schnell ein funktionierendes Gemeinwesen auf: mit Bürgermeister, Stadtrat, Schulen und einem Krankenhaus. Zwei Theater und ein Kino bieten lang entbehrte Kultur.
Sorglose Kinder und hartes Leben im nassen Stall
Die Harener hingegen leben nun im Stroh auf dem Land. Die damaligen Kinder genießen die Zeit ohne Schule vermutlich mehrheitlich. "Wir haben als Kind Volleyball gelernt, das kannten wir ja nicht", erinnerte sich Heinz Scheper, der beim Kriegsende elf Jahre alt war, vor einigen Jahren im Gespräch mit dem NDR. "Wir haben Tischtennis gespielt, Jungen und Mädchen tanzten auf der Diele. Wir hatten ja keine Sorgen." Der älteren Generation beschert das provisorische Leben in der Enklave hingegen durchaus Sorgen: Neben dem Verlust des Zuhauses und wirtschaftlichen Nöten führt das Leben in den nassen Stellen auch zu hygienischen Problemen.
September 1948: Maczków wird wieder zu Haren
Für drei Jahre bleibt Haren Maczków. Deutsche Behörden bemühen sich in dieser Zeit intensiv darum, dass die Harener wieder in ihre Heimat zurück können. Im Herbst 1946 zieht Polen die ersten Soldaten aus Maczków zurück, im September 1947 übergeben die britischen Besatzer die Stadt zurück an die Deutschen, die Häuser werden sukzessive restituiert. Im August 1948 schließlich verlässt die letzte polnische Familie ihr Maczków - und Haren wird am 10. September mit einer Feierstunde wieder zu Haren.
