Stand: 24.01.2020 15:00 Uhr

KZ-Gedenkstätte Wöbbelin: "Man konnte das Lager riechen"

von Michael Hollenbach

Das Mecklenburgische KZ Wöbbelin, gelegen zwischen Schwerin und Ludwigslust, war eines der letzten Konzentrationslager, die die Nationalsozialisten noch errichteten. Es wurde zum Auffanglager für Häftlinge anderer KZs, die die SS durch das Vorrücken der Alliierten im Frühjahr 1945 aufgeben musste. In zehn Wochen, zwischen Februar und Mai 1945, wurden dort rund 5.000 KZ-Häftlinge zusammengepfercht. Mehr als 1.000 von ihnen starben an Hunger, Entkräftung und Krankheiten.

"Was ich am häufigsten von Überlebenden höre ist, dass sie bei der Ankunft in Wöbbelin dachten, es sei alles zu Ende. Im gesamten Lager lagen verstreut Leichen", sagt Ramona Ramsenthaler, die seit 2007 Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Wöbbelin ist. Die rund 5.000 Häftlinge, die kurz vor Kriegsende in dem KZ interniert waren, stammten aus 24 Nationen, der jüngste war neun Jahre alt. Unter den Häftlingen waren viele, die Auschwitz und andere KZs überlebt hatten. Endstation war nun Wöbbelin.

Ramsenthaler berichtet von den katastrophalen Zuständen: eine Wasserpumpe für 5.000 Häftlinge, zu essen gab es - wenn überhaupt - nur Brot und dünne Suppe. "In dem Waschhaus haben Tote gelegen, und die Amerikaner berichten, dass sie dort 155 Tote fanden und dass die Menschen von diesen Toten gegessen haben, um zu überleben", schildert Ramsenthaler.

Amerikanische Soldaten konnten das Lager riechen

Salomon Birenbaum ist Überlebender des KZ Wöbbelin © (c) dpa
Salomon Birenbaum überlebte seine Inhaftierung im KZ Wöbbelin. 1.000 seiner Mitinsassen starben an Hunger und Krankheit.

Ein Viertel der Insassen waren jüdische Häftlinge. Zu ihnen gehörte der aus Budapest stammende Filmproduzent Gyula Trebitsch: "Dass man am Leben bleiben konnte, war nur möglich, wenn man die eigene Hoffnung auf Befreiung nicht aufgegeben hat. Die Hoffnung, dass dies bald Ende ist, das war bei sehr vielen auch bei mir immer wieder da."

Am 2. Mai 1945 wird das Lager durch amerikanische Soldaten eher zufällig entdeckt: "Alle sagen das Gleiche: Man konnte das Lager riechen, ehe man es sehen konnte", so Ramsenthaler. Erschütterte US-Soldaten gaben den Verhungernden aus ihren Beständen unter anderem Kondensmilch und Schokolade.

NSDAP-Mitglieder mussten Gräber ausheben

Die Büste des Dichters Theodor Körner in der Mahn- und Gedenkstätte Wöbbelin. © (c) dpa Foto: Jens Büttner
An der Grabstätte des Dichters Theodor Körner fanden Vereidigungen von SS-Soldaten statt. Das US-Militär wählten den Ort als Grabstätte für die toten Häftlinge.

In den Wochen nach der Befreiung sterben noch 180 der KZ-Häftlinge. Das US-Militär ordnete sofort an, dass die über 500 Toten, die nicht verscharrt worden waren, in öffentlichen Beerdigungen beigesetzt werden sollten: in Einzelgräbern in den umliegenden Orten Ludwigslust, Schwerin und Hagenow. NSDAP-Mitglieder mussten die Gräber ausheben, die Bevölkerung hatte an den Bestattungen teilzunehmen. Die "Umerziehung" beginnt Anfang Mai an den Gräbern. Auch in Wöbbelin: Die Amerikaner wählten die Theodor Körner Grabstätte aus, weil sie eine Propagandastätte der Nationalsozialisten war und dort Vereidigungen von SS-Soldaten stattfanden.

Ältere bevorzugen Theodor-Körner-Ausstellung

Theodor Körner war ein junger Schriftsteller, der 1813 in Gadebusch als Mitglied eines Freikorps bei einem Überfall auf französische Soldaten starb. Er wurde später zu einer patriotischen Identifikationsfigur. Heute muss Ramona Ramsenthaler mit diesem Spannungsfeld deutscher Geschichte umgehen. Sie ist Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte sowie des Theodor-Körner-Museums. Bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen geht es aber vor allem um die Verbrechen der Nationalsozialisten: "Die Kinder machen mir Mut, weil sie an Geschichte interessiert sind. Wir erleben leider in der älteren Generation, dass viele Menschen kommen, und dann die Theodor-Körner-Ausstellung sehen wollen, und sie sagen: 'Dass mit dem KZ möchte ich mir nicht angucken, das ist ja schon so lange her.'" Genau 75 Jahre ist es her, der Tod von Theodor Körner dagegen mehr als 200 Jahre.

Weitere Informationen
Nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee tragen Angehörige des Roten Kreuzes einen Jugendlichen aus dem Vernichtungslager. © picture alliance / akg-images | akg-images

Befreiung des KZ Auschwitz: Erinnern am Holocaust-Gedenktag

Am 27. Januar 1945 wurde das KZ befreit. Über eine Million Menschen starben dort. Seit 1996 wird am Tag der Befreiung der NS-Opfer gedacht. mehr

Das ehemalige Klinkerwerk Neuengamme. © picture-alliance/dpa Foto: Soeren Stache

Holocaust: Die Gedächtniskultur in Norddeutschland

Am 27. Januar 1945 befreite die Sowjet-Armee die Häftlinge aus dem KZ Auschwitz. Auch im Norden gab es etliche Konzentrationslager. Wie wird dort an den Holocaust erinnert? mehr

Eine Frau legt mit ihren Kindern Tulpen auf einer Mauer mit der Inschrift "Bergen-Belsen, 1940 bis 1945" ab. © dpa-Bildfunk Foto: Philipp Schulze

Holocaust: "Wir brauchen eine neue Erinnerungskultur"

Bei der Aufarbeitung der Holocaust-Verbrechen brauche es eine neue Erinnerungskultur, fordert Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Wie könnte die aussehen? mehr

Herfried Münkler © imago Foto: Christian Thiel

Wie konnte der Holocaust passieren?

Bis zu 1,5 Millionen Menschen haben die Nazis in Auschwitz ermordet, rund 90 Prozent der Opfer waren Juden. Wie konnte es dazu kommen? Ein Gastbeitrag des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 27.01.2020 | 19:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

NS-Zeit

Mehr Geschichte

Rudolf Hell feiert am 19. Dezember 1991 in Kiel mit seiner Frau Jutta seinen 90. Geburtstag und hebt ein Glas Sekt in die Luft. © picture-alliance / dpa Foto: Wulf Pfeiffer

Rudolf Hell: Revolutionär der Nachrichtentechnik

Der Urvater des Faxgerätes Rudolf Hell hat die Nachrichtenübertragung revolutioniert - zunächst mit dem Blatt-Schreiber. Der wurde heute vor 75 Jahren vorgestellt. mehr

Norddeutsche Geschichte