Werftgründer R.C. Rickmers auf einem Gemälde. © NDR

Rickmers - Ein Leben für die Schifffahrt

Stand: 22.05.2023 19:54 Uhr

1834 gründet Rickmer Clasen Rickmers in Bremerhaven eine Werft. Das Familienunternehmen meistert über die Jahre viele Krisen. 2017 muss die Rickmers-Group allerdings Insolvenz anmelden und wird übernommen.

Das Herz hat immer Recht. Deshalb heiratet der Helgoländer Holzschiffbauer Rickmer Clasen Rickmers (1807-1886) seine Verlobte Margaretha Reimers 1831 auch ohne deren väterlichen Segen. Der Pfarrer auf der Insel weigert sich, das Paar zu trauen. Die Eltern der Brautleute hatten sich während der Besatzungszeit der Engländer zerstritten. Das Paar flüchtet von Helgoland und beschließt den Bund fürs Leben heimlich im ostfriesischen Esens.

Nach Feierabend Boote auf eigene Rechnung gebaut

Rickmer Clasen Rickmers um 1850, der Gründer der Rickmers Werft in Bremerhaven. © Rickmers Group Foto: Rickmers Group
Ein Mann mit Unternehmergeist: der Helgoländer Rickmer Clasen Rickmers um 1850.

Sie ziehen 1932 nach Bremerhaven - damals eine junge aufstrebende Stadt, gebaut als neuer Hafen für Bremen. Rickmers findet eine Anstellung als Meisterknecht. Bei der an der Geeste gelegenen Cornelius Janssen Werft wird er Vorarbeiter. Doch der gelernte Schiffszimmermann will aufsteigen - und dafür arbeitet er hart: Er baut nach Feierabend Boote auf eigene Rechnung und verdient sein Geld zudem als Lotse. Sein Konfirmationsspruch ist dabei sein Lebensmotto: "Fürchte Gott, tue Recht, scheue niemand."

Von der Schiffsbauwerkstatt zum Großbetrieb

Blick auf die Arbeitsagentur von Bremerhaven, das sich auf dem ehemaligen Gelände der traditionsreichen Rickmers-Werft befindet (aufgenommen am 3.4.1997). Das alte Werfttor steht unter Denkmalschutz. © picture-alliance / dpa Foto: Ingo Wagner
In Bremerhaven baut Rickmers eine moderne Werft. Das Tor steht heute unter Denkmalschutz. Dahinter befindet sich seit Jahren die Arbeitsagentur.

Nach 20 Monaten eröffnet er 1834 seine eigene Schiffsbauwerkstatt. Von Bremerhaven aus verlassen immer mehr Auswanderer Europa. Ein lohnendes Geschäft sind die Umbauten zu Auswandererschiffen. Rickmers sieht in dem Auswanderboom seine Chance: 1848 lässt er erstmals ein Schiff unter eigener Flagge fahren. Mit Auswanderern legt es ab und kommt mit Gütern beladen zurück.

1857 baut R.C. Rickmers seine Werft neu. Er braucht mehr Platz. Mit schnellen Klippern hat er sich einen Namen gemacht und gut verdient. Die Rickmers Werft ist inzwischen ein moderner Großbetrieb mit Werkstätten und Konstruktionsbüros. 1866 wird die Rickmers Rhederei gegründet.

Vom Spezialisten für Reistransporte zum Reis-Müller

Rickmers spezialisiert sich ab 1870 auf Reistransporte im ostasiatischen Raum. Holzschiffe sind dafür gut geeignet: Bei Wärme entsteht kaum Kondenswasser, das die Körner verdirbt. Wenn der Reis in Europa zu wenig Gewinn bringt, setzt er die Schiffe für Fahrten zwischen den Häfen an den asiatischen Küsten ein.

Um den Absatz für die Reisfahrten auf eigene Rechnung zu sichern, wird Rickmers Reis-Müller. In Bremen beteiligt er sich 1872 an einer Reis-Mühle, die er wenig später ganz übernimmt. Nach dem Umbau ist sie die größte ihrer Zeit in Europa. Zwei Jahrzehnte später erwirbt die Familie sogar eine Mühle in Bangkok.

Großsegler "Rickmer Rickmers" in Helgoland-Farben

Bug und Galionsfigur des Museumsschiffes "Rickmer Rickmers" im Hamburger Hafen © picture alliance / imageBROKER Foto: Carsten Leuzinger
Den Bug der "Rickmer Rickmers" schmückt eine Galionsfigur, die den Enkel des Firmengründers im Alter von drei Jahren zeigt.

Die Verbundenheit zu seiner Heimat Helgoland kommt in der Firmenflagge zum Ausdruck. Auch die Farben der Insel, Grün - Rot- Weiß, werden vom Unternehmen verwendet. Diese finden sich zum Beispiel auch Jahre später im Anstrich des berühmten Segelschiffs "Rickmer Rickmers" wieder, das 1896 gebaut wird. Den Namen erhält der Großsegler nach dem Enkel des Firmengründers Rickmer Clasen Rickmers. Heute liegt der Segler als Museumsschiff im Hamburger Hafen und ist längst ein Wahrzeichen der Hansestadt geworden, das viele Besucher anzieht.

Sozial engagiert: Wohnhäuser, Schule, Krankenhaus

Soziales Engagement zeigt Rickmers, als er Häuser und Wohnungen für seine Arbeiter und Angestellten bauen lässt. Damit deren Kinder keinen langen Schulweg haben, unterhält er eine private Schule. Auch am Bau des Bremerhavener Krankenhauses beteiligt er sich.

Mit fast 80 Jahren stirbt Rickmer Clasen Rickmers im November 1886 und wird in Bremerhaven beigesetzt. Der Unternehmer, ausgezeichnet als Königlich-Preußischer Kommerzienrat, hinterlässt ein Firmenimperium. 

Paul Rickmers wird zum starken Mann

Rickmers drei Söhne Andreas Clasen, Peter und Wilhelm Heinrich übernehmen die Führung. Sie arbeiten bereits seit Jahren im Unternehmen, hatten aber bis zum Tod des Vaters nichts zu entscheiden. 1889 gründen sie die Rickmers Reismühlen, Rhederei & Schiffbau AG mit Firmensitz in Bremen. Nur die Familie hält Anteile.

Wilhelm Heinrich stirbt bereits 1891. Seine beiden Brüder treiben die Umstellung auf Dampfschiffe voran und nehmen 1895 die ersten fünf in Betrieb. 1912 trennt sich die Reederei von allen Segelschiffen. Nachdem sein Bruder Peter im Jahr 1902 an Typhus stirbt, führt Andreas das Unternehmen alleine weiter.

Andreas und Paul Rickmers ringen um die Macht

Porträt des Reeders Andreas Rickmers © NDR/Fa. Rickmers
Nach dem Tod seiner Brüder führt Andreas Rickmers das Unternehmen ab 1902 allein.

Da Andreas keine Söhne hat, führt er die Söhne seines Bruders Peter ins Unternehmen ein. Robert, der älteste Sohn, heiratet eine Schauspielerin und wird von den Eltern verstoßen. Er leitet aber zusammen mit seinem Onkel die Reis-Mühle. Paul dagegen wird Kaufmann und entwickelt bald seine eigenen Visionen: ein Schleppdienst für Segelschiffe zwischen Japan und China - vielleicht auch eine Werft in Schanghai. Auch einen Liniendienst auf dem Yangtse möchte er etablieren. Doch sein Onkel Andreas gibt die Linienschifffahrt in Asien auf.

Enttäuscht verlässt Paul Rickmers 1904 das Unternehmen. Mit einem Teilhaber gründet er das Handelshaus Rickmers und Co. und plant von Hamburg aus den Machtwechsel, denn er will das Unternehmen alleine lenken. Seine Mutter Sophie ist seine Verbündete. Nach dem Tod ihres Mannes hat sie dessen Aktien geerbt und ihre Aufgaben im Aufsichtsrat ihrem Sohn übergeben. Paul gelingt es, dem Onkel Unregelmäßigkeiten in den Bilanzen nachzuweisen. Andreas Rickmers zieht sich aus dem Unternehmen zurück und verkauft seine Aktien an Sophie. Paul expandiert weltweit in der Linienschifffahrt - einem Feld, das sein Onkel bisher per Vertrag dem Konkurrenten Norddeutscher Lloyd überlassen hatte.

Paul Rickmers wird Alleininhaber

1912 beschließt Paul, den Firmensitz nach Hamburg zu verlegen. Zudem ändert sich der Unternehmensname von Rickmers Reismühlen Rhederei & Schiffbau AG in Rickmers Rhederei und Schiffbau AG und spiegelt so die neue Ausrichtung des Unternehmens wider. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 bricht der Seehandel ein, die Werft erhält aber Aufträge von der Marine. Paul Rickmers profitiert von den unsicheren Kriegsjahren: Alle Familienmitglieder verkaufen ihre Aktien an die Nationalbank. Er erwirbt sie später zurück und ist damit Alleininhaber.

Nach Kriegsende setzt eine Inflation ein, niemand hat Geld, um neue Schiffe zu bauen. Paul Rickmers schließt deshalb die Werft. Die Reederei fährt dagegen mit Waffenlieferungen nach Asien gut durch die Krise.

Kriegsmaschinerie bringt Vollbeschäftigung

Die Werft in Bremerhaven im Jahre 1942. © © NDR/Fa. Rickmers
Auf der Werft in Bremerhaven werden während des Zweiten Weltkriegs Minensuchboote gebaut.

Als Hitler die Macht übernimmt, fällt es Paul Rickmers nicht schwer, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. "Paul Rickmers war von Hitler sehr angetan. Er hat geglaubt, dass wir einen Führer bräuchten, der Deutschland wieder nach vorn bringen würde", berichtet Enkel Erck Rickmers später. In einer Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Unternehmens nennt sich Paul Rickmers "Führer seiner Gefolgschaft". 1937 herrscht auch auf der stillgelegten Werft wieder Leben. Die Aufträge der Kriegsmarine schaffen bald Vollbeschäftigung. Parolen wie "Wir sterben, auf dass Deutschland lebe" stehen 1939 auf dem Werbe-Kalender der Rickmers Werft.

Einsatz von Zwangsarbeitern

Auf der Werft werden Minensuchboote gebaut. Arbeiter, die an die Front müssen, werden durch Frauen ersetzt. Später müssen Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter dort schuften. In Stoßzeiten fordert die Werft bis zu 700 Arbeiter aus den Lagern an. Ohne Mittagessen müssen die Gefangenen aus Russland mindestens zehn Stunden am Tag arbeiten. Einmal verweigern sie den Frondienst - mit Hunden und Knüppeln treibt die Stadtpolizei sie zum Einsatz.

Der Untergang der Werft und der Neuanfang

Die Brüder Peter, Bertram und Claus Rickmers © NDR/Fa. Rickmers
Nach dem Tod ihres Vaters übernehmen Claus, Bertram und Peter Rickmers 1946 das Unternehmen. (Foto aus dem Jahr 1938)

AmEnde des Krieges steht die Reederei vor dem Nichts, denn sie hat ihre gesamte Flotte verloren. Für die Werft sieht es besser aus: Dort läuft der Reparaturbetrieb schnell wieder an. Auftraggeber ist die US Navy. 1946 stirbt Patriarch Paul Rickmers in der Schweiz. Seine drei Söhne Peter, Bertram R. J. und Claus übernehmen die Führung. Peter und Claus widmen sich dem Wiederaufbau der Reederei, Bertram der Werft.

Sie erlebt Anfang der 1950er-Jahre einen Aufschwung. Gebaut werden Hochseedampfer für die Fischerei. Rickmers Neukonstruktionen haben einen guten Ruf. Mehr als 1.000 Beschäftigte hat die Werft 1953. Das erste Schiff auf eigene Rechnung ist 1954 das Frachtschiff "Paul Rickmers". In den 1960er-Jahren fahren auch wieder regelmäßig Frachtschiffe nach Asien, auch wenn die Margen im Liniendienst gering sind.

Schifffahrtskrise: Rickmers geht an Hapag-Lloyd

Von links: Bertram Rickmers, Erck Rickmers und Bertram Rickmers. © © NDR/Fa. Rickmers
Bertram Rickmers (r.), hier mit seinen Söhnen Bertram (l.) und Erck (Mitte), leitet das Unternehmen von 1946 bis 1971.

Als Bertram R. J. Rickmers 1971 überraschend an einem Herzinfarkt stirbt, befindet sich die Schifffahrtsbranche bereits in der Krise. 1974 steigt Hapag-Lloyd bei der Rickmers-Linie ein, später - 1988 - übernimmt der Konkurrent sie komplett. Um Aufträge zu bekommen, beteiligt sich die verbliebene Werft - als weiterer Bestandteil des Rickmers-Unternehmens - an Schiffsneubauten und nimmt dafür Kredite auf. Die Schulden wachsen unaufhaltsam: Als die Firma am 1. Februar 1986 Konkurs anmeldet, sind es 148 Millionen D-Mark. Das Land Bremen übernimmt keine Bürgschaft mehr, ein Vergleich wird abgelehnt.

Ururenkel wagen Unternehmen Rickmers erneut

Die Brüder und Reeder Erck Rickmers (l.) und Bertram Rickmers stehen am 23.02.2011 in Hamburg an einem Exponat während der Ausstellunsgeröffnung "Rickmers - Eine norddeutsche Unternehmergeschichte" an Bord des Museumsschiffes "Rickmer Rickmers". © picture alliance / dpa Foto: Markus Scholz
1992 wagen Erck Rickmers und sein Bruder Bertram (rechts) den Neuanfang.

Rickmers ist am Ende - vorerst. 1992 wagen Bertram Rickmers und sein Bruder Erck den Neuanfang: Sie gründen das Emissionshaus Nordcapital, das unter anderem Geld für Schiffsneubauten sammelt, trennen sich jedoch bereits vier Jahre später. Bertram kauft im Jahr 2000 die Rickmers-Linie von Hapag Lloyd zurück und baut einen Konzern auf, der weltweit verschiedene Dienstleistungen in der Schifffahrtsindustrie anbietet. Die Rickmers-Gruppe beschäftigt über 2.000 Mitarbeiter. Den Namen der Dynastie darf nur er im Firmennamen führen. Doch im Zuge der Schifffahrtskrise gerät die Rickmers-Reederei erneut in Schieflage. Im Juni 2017 muss sie schließlich Insolvenz anmelden. Große Teile des Unternehmens werden wenig später von der Bremer Zeaborn-Gruppe übernommen.

Bertrams Bruder Erck Rickmers gründet 1998 die Schifffahrtsgruppe E.R. Schifffahrt, eine der weltgrößten Charter-Reedereien für Containerschiffe. Nach einem Zwischenspiel als SPD-Politiker in der Hamburischen Bürgerschaft von 2010 bis 2011 widmet er sich wieder voll seinem Unternehmen. Im Februar 2018 verkauft Erck Rickmers sein Unternehmen ebenfalls an die Zeaborn-Gruppe.

2023 Anzeige gegen Bertram Rickmers

Im April 2023 wird bekannt, dass ein geschädigter Anleger Bertram Rickmers angezeigt hat. Rickmers soll 2015 zu Unrecht mehr als 36 Millionen Euro aus der Reederei entnommen haben. Ein Rickmers-Sprecher weist auf Anfrage alle erhobenen Anschuldigungen zurück und erklärt, die damals erfolgte Geldentnahme sei rechtmäßig und transparent erfolgt. Ziel sei es gewesen, Steuerschulden zu begleichen.

Am 22. Mai 2023 stirbt Bertram Rickmers im Alter von 70 Jahren. Nach einem Treppensturz erliegt er seinen schweren Verletzungen.


15.05.2023 18:00 Uhr

Hinweis der Redaktion: Gegenüber einer vorherigen Version dieses Artikels haben wir die Erklärung des Rickmers-Sprechers zu der Anzeige von 2023 ergänzt.

 

Der Hamburger Reeder Bertram Rickmers sitzt an einem Tisch. (Archivfoto) © picture alliance / Daniel Reinhardt/dpa
AUDIO: Anzeige gegen Promi-Reeder Rickmers (1 Min)
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Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | NDR 90,3 Aktuell | 22.05.2023 | 19:00 Uhr

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