VIDEO: "Jamel rockt den Förster": Festival erneut gefährdet (3 Min)

Jamel rockt den Förster: Das Festival gegen Rechtsextremismus

Stand: 05.03.2024 16:55 Uhr

Seit 2007 findet in Jamel das Open-Air-Festival statt, das ein Zeichen gegen Neonazis und Rechtsextremismus setzt. Veranstalter ist das Ehepaar Lohmeyer. Namhafte Bands und Musiker sind in dem kleinen Ort bereits aufgetreten.

Jamel ist ein Ortsteil der Gemeinde Gägelow im Landkreis Nordwestmecklenburg. Grevesmühlen und Wismar sind jeweils nur etwas mehr als zehn Kilometer entfernt. Die Gegend ist geprägt von Feldern, Wiesen, Wäldern und der Nähe zur Ostsee. Idylle pur - könnte man meinen. Doch Jamel hat sich seit den 1990er-Jahren zu einem Dorf entwickelt, in das immer mehr Personen und Familien aus der rechtsextremen Szene gezogen sind. Neonazis mit völkischen Gedanken sind dort in der Überzahl - ein regelrechtes Nazi-Dorf.

Daran hat sich das Künstlerpaar Horst und Birgit Lohmeyer gestört. Die beiden waren 2004 in den ehemaligen Forsthof nach Jamel gezogen und wollten nicht tatenlos zusehen, wie sich noch mehr Rechtsextreme im Ort und der Region ansiedeln.

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Festival in Jamel, viele Festivalbesucher stehen vor der Bühne. © Screenshot
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Jamel rockt den Förster: Die Geschichte hinter dem Festival (2023)

Das Ehepaar Lohmeyer lebt in Jamel, einem von Neonazis vereinnahmten Dorf. Einmal im Jahr wird ihr Garten zum Ort gegen Hass. 4 Min

Vom kleinen Sommerfest zum großen Projekt

Das Ehepaar Birgit und Horst Lohmeyer steht  vor einem Mahnmal bestehend aus den verkohlten Balken ihrer abgebrannten Scheune. © dpa-Bildfunk Foto: Axel Heimken
Das Ehepaar Birgit und Horst Lohmeyer hat das Festival 2007 ins Leben gerufen.

2007 begannen die Lohmeyers, mit öffentlichen Veranstaltungen gegen die Abschottung ihres Dorfes und dessen Vereinnahmung von Rechtsradikalen vorzugehen. In dem Jahr öffneten sie erstmals die Pforten ihres Hofes für die Öffentlichkeit - die Geburtsstunde von Jamel rockt den Förster. "Was als kleines, feines Sommerfest für Freund*innen, Verwandte und Kolleg*innen begann, entwickelte sich - beinahe zwangsläufig - zu einem ambitionierten gesellschaftspolitischen Projekt", heißt es auf der Website zu dem Festival. Die Veranstaltung ist ehrenamtlich organisiert und überwiegend durch Spenden von Sponsoren finanziert.

Schirmherrin des Open-Air-Festivals ist seit 2016 Manuela Schwesig, heutige Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Weitere Schirmherrin bis zu ihrem Tod 2019 war Landtagspräsidentin Sylvia Bretschneider. Anschließend übernahm Amtsnachfolgerin Birgit Hesse die zweite Schirmherrschaft. 

Polizei muss Festival schützen

Eine abgebrannte Scheune der Lohmeyers in Jamel (MV) © picture alliance / dpa Foto: Jens Büttner
2015 wurde eine Scheune der Lohmeyers in Brand gesteckt.

Das Engagement gegen Rechtsextremismus und für eine demokratische, offene Gesellschaft stieß von Anfang an - nicht überraschend - auf wenig Akzeptanz in der rechten Szene. In den vergangenen Jahren hätten sie und ihr Mann viele Demütigungen erfahren müssen, so Birgit Lohmeyer in einem NDR Interview. Es habe Diebstähle, Sachbeschädigungen und Beleidigungen gegeben, außerdem seien Anzeigen gegen sie bei Behörden eingegangen. Aber: Der Kampf gegen rechts sei "unsere Lebensaufgabe".

Es gab zudem mehrere Versuche, das Festival zu stören. Am 13. August 2015 - kurz vor dem Beginn des Open Air - wurde die Scheune des Hofs von Unbekannten angezündet. 2016 wurden an Autos von Festivalbesuchern Reifen zerstochen. Um Sachbeschädigungen und Ausschreitungen zu verhindern, rückt die Polizei jedes Jahr mit einem großen Aufgebot an.

2015: Reporter Abdollahi versucht, ins Gespräch zu kommen

2015 hat sich der NDR Reporter Michel Abdollahi in Jamel umgesehen und versucht, mit den rechtsgesinnten Menschen in Kontakt zu kommen - mit überschaubarem Erfolg. "Die meisten sind durchaus freundlich, wollen sich aber nicht filmen lassen", so Abdollahi. Mit "Dorf-Chef" Sven Krüger kann sich der Reporter ein wenig über politische Ansichten und Demokratie austauschen. Bizarr: Einige der Bewohner sind laut Krüger Fans der Toten Hosen um Sänger Campino - ausgerechnet einer Band, die sich erwiesenermaßen gegen Rechtsextremismus einsetzt und in dem Jahr in Jamel auftritt.

Aussagekräftig auch: NPD-Politiker Udo Pastörs bezeichnet in einem Interview einen Wegweiser in Jamel nach Braunau am Inn, dem Geburtsort Adolf Hitlers, als "Geschmackssache".

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Ein Wandbild im Jamel. © NDR
31 Min

Im Nazidorf (Panorama von 2015)

Die meisten Einwohner in Jamel gehören der rechtsextremen Szene an. Im Sommer 2015 wohnte Michel Abdollahi mitten unter ihnen. 31 Min

Immer mehr Bands und Künstler mit großem Namen

Tote-Hosen-Sänger Campino steht mit einem Mikrofon auf der Bühne. © dpa Foto: Axel Heimken
Campino kam mit den Toten Hosen 2015 nach Jamel.

Das Festival gegen Rechtsextremismus ist im Laufe der Jahre immer beliebter geworden, auch bei den teilnehmenden Musikern. Während in den Anfangsjahren kleine, damals eher wenig bekannte Bands auf der Bühne in Jamel auftraten, kamen später namhafte Bands und Musiker hinzu. So spielten zum Beispiel Alphaville im Jahr 2014. Spätestens seit dem ziemlich spontanen Auftritt der Toten Hosen 2015 hat das Festival auch überregional einen Namen. Zur Tradition geworden ist auch der Umgang mit dem Line-up: Welche Bands und welche Musiker kommen, bleibt seit 2017 immer bis kurz vor dem jeweiligen Auftritt geheim. Grund: Die Veranstalter möchten, dass die Fans besonders an der politischen Aussage des Festivals interessiert sind und ihr Kommen nicht davon abhängig machen, welcher prominente Musiker sich angesagt hat.

Auch Grönemeyer setzt sich gegen Rechtsextremismus ein

Herbert Grönemeyer singt bei seinem Auftritt in Jamel. © dpa-Bildfunk Foto: Danny Gohlke
"Klare Kante" auch von Herbert Grönemeyer.

2018 trat Herbert Grönemeyer als Überraschungsgast in Jamel auf. Schon seit Jahren setzt er sich gegen rechtsextreme Tendenzen in Deutschland und für eine freie Gesellschaft ein. Damit hat er sich zwar nicht nur Freunde gemacht, das hält ihn aber nicht davon ab, weiter zu mahnen.

Weitere bekannte Künstler, die in Jamel auf der Bühne standen, sind unter anderem: Sebastian Krumbiegel von den Prinzen, Die Ärzte, Bela B., Fettes Brot, Sportfreunde Stiller, Deichkind, Madsen, Danger Dan, Turbostaat, Beatsteaks, Juli, Bosse, Kettcar, Die Sterne, Blumfeld, Fury in the Slaughterhouse, Casper, Marteria, Kraftklub, Fehlfarben, Slime, Donots, Feine Sahne Fischfilet, Max Herre, Samy Deluxe, Mia und Grossstadtgeflüster. Nicht zu vergessen ist die "Hausband" Tequila & the Sunrise Gang aus Kiel, die schon seit Jahren für Stimmung sorgt.

"Rechts geht nicht, wir wollen es nicht!" Herbert Grönemeyer 2018 in Jamel

Zahl der Besucher stets angestiegen

Die Band "Großstadtgeflüster" tritt beim 13. Open-Air-Musikfestival "Jamel rockt den Förster" auf. © dpa-Bildfunk Foto: Rainer Jensen/dpa
2023 wurden rund 3.000 Festival-Besucher gezählt.

Dementsprechend ist auch der Besucherzuspruch mit den Jahren stets gestiegen. Während das Festival anfangs eine reine Musikveranstaltung war, gibt es inzwischen auch ein gesellschaftspolitisches Informations- und Workshop-Programm. Während 2012 und 2013 noch jeweils rund 400 Besucher gezählt wurden, waren es 2014 bereits 650. Einen deutlichen Sprung gab es 2015 sicher nicht zuletzt wegen der Toten Hosen, als an den zwei Festivaltagen 1.200 Besucher kamen. 2023 waren es rund 3.000 Fans.

Jamel rockt den Förster ist jedes Jahr wieder Anlass für viele Medien, über das Festival und den Grundgedanken dahinter zu berichten. Auch im Ausland hat man Notiz von dem Neonazi-Dorf genommen.

"Wir sind zwar 363 Tage im Jahr relativ allein mit diesen Rechtsextremen, aber zumindest sind im Geiste ganz viele Menschen bei uns." Horst Lohmeyer im NDR Interview 2022

Ehrungen für die Lohmeyers - Demokratiepreis für junge Leute

Horst und Birgit Lohmeyer, Veranstalter des Festivals Jamel rockt den Förster, werden am 6. Dezember 2018 mit dem "1Live Krone"-Sonderpreis ausgezeichnet. © picture alliance / SvenSimon Foto: Elmar Kremser/SVEN SIMON
Horst und Birgit Lohmeyer wurden 2018 mit dem "1Live-Krone"-Sonderpreis ausgezeichnet.

Für ihr gesellschaftliches Engagement sind die Lohmeyers mehrfach ausgezeichnet worden. 2011 bekamen sie den Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage des Zentralrats der Juden sowie den Bürgerpreis der Zeitungen. 2015 wurde ihnen der Georg-Leber-Preis für Zivilcourage der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt verliehen. 2018 folgten der Preis für Popkultur für Gelebte Popkultur und der Sonderpreis der "1Live-Krone". 2022 erhielt das Paar den Regine-Hildebrandt-Preis der deutschen Sozialdemokratie. 2023 bekamen die beiden den Humanismus-Preis für Menschenrechte. Die Juroren würdigten den Mut und die Entschlossenheit der Lohmeyers als herausragende Verteidiger der Demokratie.

"Sie sind Vorbilder und Wegbereiter für eine Gesellschaft, die sich gegen jede Form von Extremismus zur Wehr setzen muss. Ihr Engagement ist zugleich ein Aufruf zum Handeln und ein lebendiges Zeugnis dafür, dass der Einsatz für die Demokratie auch unter schwierigen Bedingungen möglich ist." Humanistischer Verband 2023

2023 wurde in Jamel erstmals ein mit 1.000 Euro dotierter Demokratiepreis an junge Menschen verliehen, die sich gegen Diskriminierung aussprechen. Dieser Preis soll nun jedes Jahr an ein Projekt vergeben werden, das demokratiefördernd wirkt beziehungsweise dem Gemeinwohl dient.

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Die Band "Großstadtgeflüster" tritt beim 13. Open-Air-Musikfestival "Jamel rockt den Förster" auf. © dpa-Bildfunk Foto: Rainer Jensen/dpa

"Jamel rockt den Förster": Keine Ermittlung zu Umweltvorwürfen

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Jamel rockt den Förster: 15. Ausgabe des Festivals gegen Hass

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 29.02.2024 | 10:00 Uhr

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