"Die Winter werden immer kürzer"
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Wachstums- und Entwicklungserscheinungen der Pflanzen, die in enger Beziehung zur Witterung und zum Klima stehen. Diese phänologischen Daten werden von meist ehrenamtlichen Beobachtern erfasst und beim DWD wissenschaftlich ausgewertet. Jens Fildebrandt ist Berater im Zentrum für agrarmeteorologische Forschung des Deutschen Wetterdienstes (DWD) in Braunschweig. Er sprach mit NDR.de über die Aussagekraft der Daten.
Seit Jahrzehnten beobachten Freiwillige für den Deutschen Wetterdienst, wann welche Pflanze blüht, wann die Früchte reif sind und wann der Blattfall einsetzt. Warum erhebt der DWD die phänologischen Daten?
Jens Fildebrandt: Die phänologischen Beobachtungen zeigen uns sehr gut, dass die Vegetationsperiode über die Jahre länger geworden ist und die Winter sich verkürzen. Wir bedienen uns in der Phänologie sogenannter Zeigerpflanzen, die den Beginn der zehn phänologischen Jahreszeiten anzeigen. Die Hasel zeigt den Vorfrühling und damit das Ende der Vegetationspause im Winter an - sie blüht im langjährigen Trend immer früher. Auch die Apfelblüte, die den Vollfrühling einläutet, ist über die Jahre nach vorne gerückt.
Sind die Daten damit ein Beleg für den Klimawandel?
Fildebrandt: Der Anstieg der verschiedenen Treibhausgase weltweit und die dadurch bedingt steigenden Temperaturen werden gemessen und sind unstrittig. Die phänologischen Daten und deren Auswertung sind ein weiterer zusätzlicher Hinweis für die in der Natur bereits jetzt auftretenden Veränderungen. Messungen weltweit zeigen, dass sich die Temperatur auf der Erde in den vergangenen 100 Jahren um durchschnittlich ein Grad erwärmt hat. Die phänologischen Daten demonstrieren, wie sich die Natur aufgrund der Erwärmung bereits verändert hat. Dadurch, dass es wärmer geworden ist, blühen die Pflanzen früher. Das wirkt sich vor allem im Frühling aus, wenn die Natur aus der Winterpause erwacht - daher sind die Verschiebungen dort am deutlichsten. Die weiteren Jahreszeiten verschieben sich nicht ganz so stark, weil die Vegetationsstadien dann nicht mehr ganz so temperaturabhängig sind.
Welche Folgen haben die Verschiebungen für die Natur?
Fildebrandt: Die Natur ist relativ anpassungsfähig - für die Wildpflanzen ist das im jetzigen Ausmaß kein großes Problem. Problematisch wird es aber bei einem sehr frühen Vegetationsbeginn und nachfolgenden Spätfrösten für keimende Ackerpflanzen und Obstbäume wie zum Beispiel Mais, Apfel und Kirsche. Wenn sie früher blühen und es dann noch einmal richtig kalt wird, kann die Frucht geschädigt werden. Das war zum Beispiel 2017 der Fall - den Obstbauern blieben damals nur Maßnahmen wie eine Frostschutzberegnung, um ihre Bäume vor Schäden zu schützen. Klimaprognosen weisen darauf hin, dass die Natur auch künftig immer früher erwachen wird, wobei uns die Spätfröste im April und Mai erhalten bleiben. Damit steigt die Gefahr, dass es zu Schäden an Obstbäumen oder Weinreben kommen kann.
In einigen Regionen blüht die Hasel schon. In manchen Jahren war dies sogar schon im Dezember der Fall. Was bedeutet das?
Fildebrandt: Bei der Hasel ist eine sehr frühe Blüte auch in früheren Jahren immer wieder vorgekommen. Die Blütenstände der Hasel werden schon im Herbst ausgebildet. Im Prinzip reicht ein warmer Tag aus, damit sich kleine Blüten öffnen und die Pflanze stäubt. Kälte macht der Hasel nichts aus - sie stäubt einfach weiter, wenn es zum Ende einer Frostphase wieder wärmer wird.
Sie sagen, die Verschiebungen haben derzeit noch keine großen Folgen für Wildpflanzen - aber wie sieht es in Zukunft aus?
Fildebrandt: Nach allen Klima-Szenarien wird sich die Erwärmung fortsetzen, der Treibhauseffekt wird sich verschärfen. Momentan sprechen wir von einer Erwärmung um "nur" ein Grad. Die Frage ist, wie die Entwicklung weitergeht. Bei einer weiteren Erwärmung um zwei oder drei Grad könnte es sein, dass manche Pflanzen mit der Klimaveränderung nicht mehr klarkommen, da sie sich nicht so schnell den neuen Gegebenheiten anpassen können. Neue Schädlingspopulationen könnten sich ansiedeln. Letztlich sind die Folgen derzeit noch nicht absehbar. Wirklich schlimm für die Natur wäre es, wenn es überhaupt keine Frostphasen gäbe, weil viele Pflanzen die Kältereize zur Ausbildung der Blüte brauchen.
Laut Deutschem Wetterdienst fallen acht der neun wärmsten Jahre seit 1881 in das 21. Jahrhundert. Ist das ein Zeichen dafür, dass sich die Erderwärmung beschleunigt?
Fildebrandt: Ausreißer-Jahre gab es immer wieder, in den vergangenen Jahren traten sie aber gehäuft auf. Insofern müssen wir tatsächlich davon ausgehen, dass sich die Erderwärmung beschleunigt. Welche Auswirkungen das haben wir, ist derzeit noch nicht abzusehen.
2018 war laut DWD in Deutschland zudem eines der niederschlagsärmsten Jahre seit 1881. Erwarten uns auch künftig heiße und trockene Sommer?
Fildebrandt: Das besondere an 2018 war die Dürre, die sich praktisch von April bis November zog und enorme Auswirkungen hatte. Bei Kulturfrüchten gab es hohe Ertragsverluste, es kam zu Futterknappheit, weil vielerorts nur ein einziger Grünschnitt möglich war. In den Städten starben Bäume ab, der Blattfall setzte extrem früh ein. Die Wahrscheinlichkeit, dass es 2019 wieder so warm und trocken wird wie 2018, ist nicht ausgeschlossen, aber gering. Allerdings müssen wir davon ausgehen, dass Extremwetterereignisse in Zukunft zunehmen, weil durch die Erwärmung der Erde auch mehr Energie in der Erdatmosphäre ist. Das können Hitzerekorde und längere Dürren sein - aber auch Starkregenereignisse mit Gewittern und Hagel. Die Herausforderung für Landwirte wird sein, sich auf die neuen Begebenheiten einzustellen.
Wie können sich Landwirte denn für extreme Wetterbedingungen wappnen?
Fildebrandt: Das ist schwierig zu beurteilen. 2018 hätte ich wüstentaugliche Pflanzen gebraucht, die mit ganz wenig Wasser auskommen - 2017 hätte man fast schon Wasserpflanzen anbauen müssen, weil es so viel geregnet hat. Somit ist es für Landwirte sehr schwierig, sich auf die veränderten Bedingungen einzustellen. Künftig wird man wohl über neue Sorten nachdenken müssen, die auch mit extremen Bedingungen klarkommen.
Das Interview führte Stefanie Lambernd, NDR.de.
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