Vogelwelt: "Meisen haben einen Startvorteil"
Die Winter werden kürzer, die Vegetationsperiode immer länger: Der Klimawandel zeigt sich in der Pflanzenwelt, wie phänologische Daten belegen. Doch auch in der Tierwelt sorgt die Erwärmung für Veränderungen - zum Beispiel bei Vögeln und Insekten, deren Bestände sich durch Nahrungsbeziehungen gegenseitig beeinflussen. Welche Auswirkungen der Klimawandel auf die Vogelwelt hat, erklärt Eric Neuling, Referent für Vogelschutz beim Naturschutzbund Deutschland (NABU), im Gespräch mit NDR.de.
Welche Auswirkungen des Klimawandels beobachten Sie?
Eric Neuling: Der Klimawandel führt in zweierlei Hinsicht zu Veränderungen, nämlich zum einen beim Vogelzug und zum anderen bei der Verfügbarkeit der Nahrung, vor allem bei den Insekten. Die immer milderen Temperaturen hierzulande beeinflussen vor allem das Verhalten der sogenannten Kurzstreckenzieher, die normalerweise in den wärmeren Regionen Europas überwintern. Sie treten den risikoreichen Vogelzug entweder gar nicht mehr an oder sie kehren früher aus ihrem Winterquartier zurück. Ein Beispiel ist die Mönchsgrasmücke, die inzwischen nicht mehr bis nach Spanien fliegt, sondern in Großbritannien überwintert. Auch Stare, Kraniche und Feldlerchen kommen inzwischen früher zurück.
Finden die Vögel denn genug Nahrung, wenn sie früher als gewohnt zurückkehren?
Neuling: Ja, das ist normalerweise kein Problem, weil wir gerade in Norddeutschland kaum noch eine geschlossene Schneedecke haben, die die Nahrungssuche für die Vögel erschweren würde. Der Star zum Beispiel ernährt sich von Früchten, von denen im Winter noch Reste an den Bäumen hängen - und die findet er auch, wenn er früher zurückkehrt. Es ist vielmehr so, dass Vögel, die früher aus dem Winterquartier zurückkehren, einen Vorteil gegenüber den sogenannten Langstreckenziehern haben, die weiter in den Süden fliegen. Die Kurzstreckenzieher gehören also eher zu den Gewinnern des Klimawandel. Ebenfalls einen Startvorteil gegenüber anderen Arten, die spät von ihrem Vogelzug zurückkehren, haben die Meisen, die inzwischen zwei Wochen früher mit der Brut beginnen als vor einigen Jahren. Generell können sich Arten, die keine Langstreckenzieher sind, besser und schneller an die veränderten Begebenheiten anpassen. Gründe für die Vorteile der Kurzstreckenzieher sind, dass sie die Brutreviere eher besetzen und früher zu brüten beginnen können.
Kehren die Vögel, die weiter in den Süden ziehen, denn nicht früher zurück?
Neuling: Bei den Langstreckenziehern hat sich das Zugverhalten bislang viel langsamer geändert, weil es genetisch vorgegeben ist. Einige dieser Arten finden inzwischen schwerer Brutplätze und Nahrung, weil sich die Insektenarten, die sie fressen, aufgrund der Temperaturerhöhung schon weiterentwickelt haben, wenn sie aus dem Süden zurückgekommen sind. Ein weiteres Problem für die Langstreckenzieher ist, dass sich die Wüsten aufgrund des Klimawandels immer weiter ausbreiten. Das stellt Zugvögel, die über die Sahara hinwegfliegen müssen, vor ein großes Problem. Ihre Kraftreserven reichen nicht aus, sie können die Strecke einfach nicht mehr schaffen, wenn die Hindernisse größer werden.
Wer sind denn konkret die Verlierer des Klimawandels in der Vogelwelt?

Neuling: Ein Beispiel dafür ist der Trauerschnäpper, der südlich der Sahara überwintert und Ende April nach Deutschland zurückkehrt. Er benötigt weiche Schmetterlingsraupen, um seine Jungen damit zu ernähren. Die haben sich inzwischen allerdings schon verpuppt, wenn die Jungen des Vogels sie als Nahrung brauchen. Die Folge ist, dass die Brut des Vogels schwächer ist und mehr Küken im Nest verhungern. Es gibt auch weitere Arten, bei denen man dieses Phänomen beobachten kann: Sie finden keine Bruthöhlen und die Nahrung, die sie brauchen, hat sich schon weiterentwickelt. Vor Probleme stellt der Klimawandel auch den Kuckuck. Er kehrt zuverlässig im April aus Westafrika zurück, legt seine Eier in fremde Nester und hofft, dass andere Vögel sie ausbrüten. Haben diese Vögel im Zuge der Erwärmung aber schon früher mit dem Ausbrüten begonnen, erkennen sie die Kuckuckseier leichter und werfen sie aus dem Nest.
Wetterexperten gehen davon aus, dass die Erwärmung weiter zunimmt, die Fröste im April und Mai aber bleiben werden. Welche Auswirkungen hätte das auf die Vogelwelt?
Neuling: Das ist durchaus ein Problem, weil viele Vögel im Zuge der Erwärmung ja immer früher brüten. Sie müssen für ihre Jungen ständig Nahrung suchen und können sie in dieser Zeit nicht wärmen. Die Folge ist, dass die Jungen in ihren Nestern nass werden, auskühlen und so lebenswichtige Energie verlieren. Übrigens ist auch Trockenheit im Frühjahr ein Problem und führt dazu, dass zum Beispiel beim Star der Bruterfolg ausbleibt - er findet keine Regenwürmer, wenn diese sich bei Trockenheit in tiefere Erdschichten zurückziehen.
Die Lebensräume der heimischen Vögel schwinden Experten zufolge zusehends. Was sind die Gründe dafür?
Neuling: Die Vogelpopulationen gehen insgesamt zurück, wofür neben dem Klimawandel auch weitere Faktoren eine Rolle spielen. Dazu gehören die Veränderungen in der Lebenswelt der Vögel, wie etwa der Rückgang der Insekten und die industrielle Landwirtschaft. In Deutschland gibt es immer weniger unbebaute Flächen und besonders in den Städten immer weniger alte Bäumen, in deren Höhlen die Vögel nisten können. Dazu kommt, dass durch die Stürme beziehungsweise Extremwetterereignisse aufgrund des Klimawandels viele Bäume gefällt werden müssen, die den Vögeln dann als Brutplätze fehlen. In der Summe heißt das, dass die intakten Lebensräume zurückgehen und die Konkurrenz unter einzelnen Vogelarten zunimmt.
Wie wird sich die Vogelpopulation hierzulande aus Ihrer Sicht entwickeln?
Neuling: Eine Folge des Klimawandels wird sein, dass sich wärmeliebende Arten wie Bienenfresser oder Wiedehopf von Südeuropa weiter in unsere Gefilde ausbreiten. Spechte stoßen öfter auf ein reichhaltiges Nahrungsangebot, weil sich der Borkenkäfer in geschwächten Fichten stark ausbreitet. Für Kälte liebende Vogelarten, die heute schon in Skandinavien und in Richtung des Nordpols zu finden sind, schrumpfen demgegenüber künftig wichtige Lebensräume. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die vogelartenreichen Regionen Europas durch den Klimawandel weiter nach Norden verschieben werden und die vogelartenarmen Regionen wie die Trockenzonen in Südeuropa sich flächenmäßig ausweiten. Ein moderater Temperaturanstieg vorausgesetzt, werden mehr Arten ihr Brutareal ausweiten können, als Arten Brutareale verlieren. Wie sich der Klimawandel auf den Bestand der einzelnen Arten auswirkt, kann man derzeit noch nicht sagen.
Das Interview führte Stefanie Lambernd, NDR.de.
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