Liebe Deinen Körper, wie er ist!
Wer definiert, was schön ist und was hässlich? Vor allem in den USA setzen sich Frauen seit Jahren dafür ein, dass angebliche Makel vollkommen in Ordnung sind. Dafür zeigen sie sich mit Speckrollen, Hängebusen, behaarten Beinen oder Cellulite. "Body Positivity" nennt sich die Bewegung. Sie plädiert für Körperakzeptanz oder auch Selbstliebe. Mittlerweile hat die Bewegung auch Deutschland erreicht.
Die Hamburgerin Melanie Jeske leitet eine PR-Agentur. Darüber hinaus postet sie unter dem Namen "Melodie Michelberger" regelmäßig Fotos von sich auf ihren Instagram-Account. Mit ihren 42 Jahren und der Kleidergröße 42 ist sie ungewöhnlich alt und rund für ein Modell. Allerdings zeigten Magazine wie "Brigitte" oder "Neon" Fotos von ihr in Unterwäsche, die "emotion" wählte ein Foto von ihr für ein Titelbild im Herbst 2018 aus. Durch ihre Arbeit in den Medien wurde Jeske nach und nach eine Vorkämpferin von Body Positivity. Sie erklärt, dass die Bewegung alle Menschen ansprechen soll, "sich in ihrem Körper wohlzufühlen."
Alles ändert sich: Die Pubertät und mein Körper
Die erste Hürde für das Körperbewusstsein erleben Heranwachsende in der Pubertät. Die Brüste wachsen, der Stimmbruch setzt ein, die Körperformen definieren sich. Vor allem Mädchen beobachten sich selbst kritisch. In der letzten Kinder- und Jugendgesundheitsstudie, genannt "HBSC", sagten mehr als 42 Prozent der Heranwachsenden zwischen 11 und 15 Jahren, dass sie ihren Körper zu dick finden. Die Studie zeigt, dass Mädchen im Verlauf der Pubertät immer unzufriedener werden. Während sich bei den 11-Jährigen noch unter 30 Prozent zu dick finden, sind es bei den 15-Jährigen fast die Hälfte der Mädchen und ein Viertel der Jungen.
Dünn werden - bis zur Magersucht
Melanie Jeske erinnert sich bis heute an den Moment, als ihr zum ersten Mal gesagt wurde, sie sei zu dick. Sie war gerade 11 Jahre alt, stand in einem weißen Badeanzug auf einem Badesteg, als ein Junge zu ihr sagte: "Du schiebst aber auch eine ganz schöne Wampe vor dir her." Sie meint, "da fing das eigentlich an. Dass ich auf einmal merkte, okay, so kann es nicht weitergehen. Also ich muss dünn sein, sonst klappt das mit den Jungs auch nicht." Ab dann hieß es: dünn werden - bis zur Magersucht.
Der Weg zur Body Positivity beginnt für Jeske mit einem Zusammenbruch. Nach der Häme über ihren Bauch in dem weißen Badeanzug setzt sie sich auf Diät. Zusätzlich treibt sie exzessiv Sport. Dann kommt der Burnout. Da habe sie angefangen, auf andere Sachen zu schauen, erklärt sie, auf alles, was sie und damit auch ihr Körper geleistet habe. Und so habe sie "mit ihrem Körper Frieden geschlossen".
In der Zeit macht Jeske die Pressearbeit für ein Modelabel, das Bademode für alle Größen herstellt: von 34 bis 56. Für eine Fotostrecke schlägt sie vor, verschiedene Körpertypen auszuwählen. Und auch sie selbst steht in einem kupferfarbenen Badeanzug vor der Kamera. Verschiedene Zeitungen und Magazine loben die Kampagne. Sie beglückwünschen Jeske zu ihrem Mut. Die hat mit allen möglichen Reaktionen gerechnet, aber von diesen Glückwünschen ist sie überrascht.
Abnehmen bis zur Selbstzerstörung
In Hornburg, rund 30 Minuten von Braunschweig entfernt, sitzt die 29-jährige Louisa Dellert mit ihrem Laptop in ihrer Wohnung. Sie ist sportlich-schlank, trägt Jeans, einen schlichten Pullover, ihre blauen Augen blitzen unter ihrem braunen Pony. Dellert hat eine radikale Wende in ihrem Leben hinter sich. "Ich habe mich vor fünf Jahren auf Instagram angemeldet und hab mich damals zu dick gefühlt." Dellert zeigt alte Bilder von sich. Ihr Ziel waren ein Sixpack, ein fester Hintern, tolle Beine und keine Cellulite. Auf 1,63 Metern wog sie damals 55 Kilo - und fühlte sich im Vergleich zu den Frauen der anderen Accounts damit zu dick.
Durch die anderen Accounts bekommt sie die erhoffte Motivation, allerdings in einer selbstzerstörenden Form. Bis zu drei Mal am Tag macht Dellert Sport. Sie zählt akribisch Kalorien und schreibt täglich ihr Gewicht auf. Sie sei immer dünner geworden, erzählt sie. "Das haben die Leute total gefeiert." Schließlich hungert sich Dellert auf 46 Kilo herunter. Auch dafür bekommt sie positive Rückmeldungen. "Je mehr ich abgenommen habe und je mehr Muskeln man gesehen hat, umso mehr Likes habe ich bekommen, umso mehr Follower sind dazugekommen und Kommentare habe ich bekommen."
Warnzeichen des Körpers
Doch ihr Körper fängt an zu streiken. Er kann nicht noch mehr arbeiten. Mehrfach verliert sie beim Sport das Bewusstsein. Ein Arzt findet schließlich heraus, dass sie ein Loch in der Herzklappe hat. Sie wusste das bislang nicht. "Der exzessiven Sport, das wenige Essen haben meinem Körper den Rest gegeben. Mein Herz konnte das nicht mehr verarbeiten." Sie muss operiert werden. Im Anschluss an die Operation darf sie für sechs Monate keinen Sport mehr machen. Es sei gut, dass das so passiert sei, sagt Louisa Dellert heute. In der aufgezwungenen Sportpause fängt sie an, über die vergangenen Monate nachzudenken. Und sie beginnt, ihren Körper anzunehmen. Irgendwie habe sich ein Schalter umgedreht. "Und da habe ich gemerkt, dass man sich nicht so für andere Menschen verbiegen sollte."
Kritik an der Body-Positivity-Bewegung
Melanie Jeske weiß, dass sie sich mit ihrem Körperumfang noch in einem Graubereich befinde, in einem Rahmen, den die Gesellschaft akzeptiere. Sie nennt das "acceptable fat". Doch gibt es eine Grenze? Eine britische Ausgabe der Cosmopolitan zeigte im Herbst Tess Holliday im Badeanzug auf dem Cover. Holliday wiegt auf 1,65 Metern rund 120 Kilo, was einen BMI von über 40 bedeutet. Laut einer Definition der Weltgesundheitsorganisation entspricht dieser BMI der Adipositas, starkem Übergewicht. Kann Holliday damit ein Vorbild sein? Melanie Jeske kennt diese Kritik. Sie rät, genau hinzuschauen und zu differenzieren. "Eine ganz schlanke Person kann auch krank sein und ebenso eine sehr dicke Person. Aber Gesundheit hat so viele Aspekte."
Unterschiedliche Reaktionen in der Öffentlichkeit
Die meisten Follower reagieren positiv auf die ehrlichen Bilder der beiden Frauen. Es gibt aber auch gegenteilige Reaktionen. Viele wohlwollende, aber eben auch negative Kommentare hat Melanie Jeske zu einem Bild bekommen, bei dem der Schriftzug "More than a body" auf ihrem Bauch steht. Aber Jeske meint, sie habe gelernt damit umzugehen. "Es prallt tatsächlich an mir ab."
Louisa Dellert überlegte eine Zeitlang, sich bei Instagram abzumelden. Doch sie ist geblieben. Durch ihren Wandel hat sie einige Follower verloren und dafür andere dazugewonnen. Sie gibt aber auch zu, dass der Druck der Social-Media-Gemeinschaft durchaus hart sei.
Sowohl Melanie Jeske als auch Louisa Dellert fühlen sich nicht an jedem Tag danach, sich in Unterwäsche zu zeigen. Aber sie zeigen Präsenz in sozialen Medien und in Zeitschriften, um mehr Bewusstsein für Body Positivity zu schaffen. Noch sei das in Deutschland ein Nischenthema, sagt Jeske. Sie wünscht sich, dass es selbstverständlich wird, verschiedene Körpertypen zu zeigen. Manche Frauen würden ihr Nachrichten schicken: Wie sehr ihnen die Fotos helfen würden, ebenfalls eine positivere Einstellung zu ihrem Körper zu bekommen.
