Lücken beim neuen Tierwohl-Label für Schweinefleisch
Verbraucherinnen und Verbraucher sollen besser darüber Bescheid wissen, wie die Tiere gehalten wurden, die auf ihrem Teller landen. Das ist ein Ziel der neuen Tierhaltungs-Kennzeichnung für Schweinefleisch, die Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) vorgestellt hat. Doch es gibt Lücken in dem Konzept.
Ein Besuch bei Landwirt Enno Garbade in Niedersachsen macht deutlich, was Verbraucherinnen und Verbraucher von dem geplanten Tierwohl-Label erwarten können - und was es eben nicht leistet. Der Sauenhalter aus Bramstedt im Landkreis Cuxhaven ist besonders stolz auf seinen Maststall. Dort toben grunzende Schweine durch relativ geräumige Boxen, bekommen frisches Stroh. Sie haben keinen Außenbereich, aber können das Tageslicht sehen.
"Wir haben hier Vorhänge in den Ställen, die meistens oben sind. Die Schweine können morgens sehen, was für Wetter ist, ich kann es auch sehen. Es ist nicht nur für die Schweine schön, es ist auch ein angenehmer Arbeitsplatz", erzählt der Landwirt.
Özdemirs Konzept greift erst im vierten Stall
Im Maststall beginnt allerdings nicht das Schweineleben auf Enno Garbades Hof, vorher waren die Tiere in drei weiteren Ställen. Ein Rundgang im Schnelldurchlauf: Die trächtigen Sauen liegen in der Deckstation. Zur Welt kommen die Ferkel dann im Abferkelstall. Dann geht es weiter in die Ferkelaufzucht. In allen drei Ställen vor dem Maststall gilt: Wie die Schweine hier gehalten werden, hat auf das neue Tierwohl-Label gar keinen Einfluss. Denn Özdemirs Pläne beziehen sich nur auf die letzte Lebensphase vor dem Schlachthof, die 16 Wochen lange Schweinemast.
Tierwohl-Label sagt nichts über die Herkunft aus
Der Landwirt kritisiert einen weiteren Punkt: Verbraucherinnen und Verbraucher könnten auf der Verpackung nicht einmal sehen, wo das Schwein geboren wurde. Es sei also nicht erkennbar, ob das Tier sein Leben lang nach deutschen Standards gehalten oder nur hier gemästet wurde. Ob es zum Beispiel im Ausland geboren und ohne Betäubung kastriert wurde, sei laut dem aktuellen Entwurf nicht an der Kennzeichnung erkennbar. Deshalb fordern Sauenhalter wie Enno Garbade, dass außerdem eine verpflichtende Herkunfts-Kennzeichnung eingeführt wird. Auch Tierschützer kritisieren, dass das Tierwohl-Label hier zu kurz greife.
Landwirte begrüßen das Konzept grundsätzlich
Trotzdem finden Bauernverbände wie das Landvolk Niedersachsen Özdemirs Pläne im Grundsatz richtig. Auch Enno Garbade begrüßt, dass es eine verpflichtende Tierwohl-Kennzeichnung geben soll: "Über die Haltungsstufen diskutieren wir schon seit Jahren. Eines darf man nicht vergessen: Zurzeit sind wir auch nur im Ankündigungsmodus. Aber Herr Özdemir hat ja noch vier Jahre Zeit." Er fordert allerdings, dass die Lücken geschlossen werden und Landwirte Planungssicherheit bekommen.
Experten fordern Gesamtpaket für mehr Tierwohl
Auch Agrarökonom Achim Spilller von der Uni Göttingen ist der Meinung, dass ein Tierwohl-Label allein nicht ausreicht. Das sei "nicht der Game-Changer". Auch Genehmigungen müssten erleichtert werden - und es brauche mehr Geld. Eine Milliarde Euro für die kommenden drei Jahre habe Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir bisher in Aussicht gestellt, zum Beispiel um Ställe tierfreundlicher umzubauen.
Nach Einschätzung des Agrarökonomen reicht das bei Weitem nicht aus. Gemeinsam mit anderen Fachleuten in der sogenannten Borchert-Kommission hat er im Auftrag der Vorgänger-Bundesregierung den Finanzbedarf errechnet, um für alle Nutztierarten die Haltungsbedingungen zu verbessern. Die Kommission kam auf drei Milliarden Euro pro Jahr.
Der Agrarökonom warnt: "Die Gefahr ist, dass wir dann eine Kennzeichnung haben, aber die Tierhalter nicht in eine tierfreundliche Haltung investieren." Die Landwirte würden nicht in eine tierfreundliche Haltung investieren, wenn sie es sich nicht leisten könnten.
Millionen-Investitionen für Freilauf-Ställe wären notwendig
Im Maststall von Enno Garbade wird klar, was der Agrarökonom kritisiert. Nach Özdemirs Konzept könnte der Stall Haltungsstufe 3 - Frischluftstall - entsprechen. Der Landwirt würde daraus zwar gern einen Freiluftstall mit Außenbereich machen, in dem die Schweine sich unter freiem Himmel suhlen können. Aber Enno Garbade ist skeptisch, denn dafür müsste er für etwa 1.300 Schweine rund 1,3 Millionen Euro investieren, ohne dass klar sei, ob sich das rechnet.
Situation der Tierhalter ist ohnehin schon schwierig
Schon jetzt machen teure Umbauten und steigende Futterpreise dem Sauenhalter zu schaffen. Er bewältigt zusammen mit seiner Frau und seinem 25 Jahre alten Sohn die Arbeit in dem Familienbetrieb. Noch nie hätten sie so intensiv daran gedacht aufzuhören, sagt Enno Garbade. Er und die anderen Sauenhalter in Niedersachsen, deren Interessen er vertritt, bräuchten dringend auch Programme, um Höfe gegebenenfalls stillzulegen, die sich nicht mehr rechnen.
Aber noch will Enno Garbade durchhalten: "Ich liebe meine Schweine. Das klingt jetzt blöd, denn sie gehen auch zum Schlachter. Aber wenn der Betrieb gut läuft, dann gibt mir das Selbstvertrauen, das muss ich ehrlich sagen."