Annette Laug sitz im Hörfunkstudio. © NDR

Kommentar: Freispruch für Högel Ex-Vorgesetzte folgerichtig

Stand: 13.10.2022 16:58 Uhr

Im Prozess gegen frühere Vorgesetzte des verurteilten Patientenmörders Niels Högel sind am Donnerstag die sieben Angeklagten freigesprochen worden - das mag für Empörung sorgen, aber es ist richtig.

Ein Kommentar von Annette Laug, NDR Studio Oldenburg

Akte zu, der Fall geschlossen. Mehr als 20 Jahre nachdem Niels Högel in seinem Beruf als Krankenpfleger die ersten Menschen im Klinikum Oldenburg ermordete. Zuerst war es bei Högel dabei nur der Wunsch, sich wichtig zu machen: Medikamente spritzen, die Herzstillstände herbeiführen und dann bei der Reanimation als Held dastehen. Vermutlich haben das mehr als 100 Patienten in den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst nicht überlebt. Für 85 Taten war Högel schließlich - Jahre später - verurteilt worden.

Nach Delmenhorst weggelobt - obwohl alle etwas ahnten

Dabei hatten Kollegen damals schnell mitbekommen, dass etwas nicht stimmt. Es wurde getuschelt, eine Strichliste gefertigt, Vorgesetzte wollten Högel schließlich nicht mehr in ihren Abteilungen haben. Im Klinikum Oldenburg wollte man ihn schließlich loswerden - Högel wurde mit einem guten Zeugnis nach Delmenhorst weggelobt. Für die Kollegen und die Patienten dort gab es keine Warnung. Er mordete weiter.

Es war keine Vorsätzliche Beihilfe

All das ist empörend. All das war von Chefs und Kollegen Unrecht. Und es war feige. Womöglich war es sogar eine Straftat - aber eben keine vorsätzliche Beihilfe zu Patientenmorden. Die ganze Dimension des Schreckens war den Beschäftigten damals ganz sicher nicht klar. Man hätte sie vielleicht vor Jahren wegen Fahrlässigkeit anklagen und verurteilen können - doch das wäre längst verjährt. Somit ist der Freispruch heute für alle Beteiligten nur folgerichtig. Wer je etwas anderes erwartet hatte, war naiv.

Vom Prozess geht eine Botschaft aus

War der Prozess dennoch nötig? Ja, denn die Justiz selbst war es sich schuldig. Die Staatsanwaltschaft hatte es versäumt, frühzeitiger zu ermitteln. Erst der Druck von Angehörigen brachte schließlich Bewegung in die Sache. Der Prozess war aber auch nötig, damit Krankenhäuser und Kliniken sich klar machen, dass sie sich für das Leben und Wohl ihrer Patienten verantworten müssen. Nicht nur die direkt Pflegenden, auch die Chefetage. Sich vor der Verantwortung wegducken, kostet Menschenleben! Das ist die Botschaft.

Wir alle müssen eine traurige Lektion lernen

Der Prozess war aber auch nötig, damit wir alle uns von Illusionen trennen: Wir müssen es für möglich halten, dass so unfassbare Dinge passieren. Dass ein Krankenpfleger ohne Mitgefühl absichtlich Patienten gefährdet und tötet. Hinsehen und für möglich halten - eine traurige Lektion. Die müssen nun als allererstes diejenigen lernen, die die Pflege organisieren, und die für das Arbeitsklima in Klinken und Pflegeheimen verantwortlich sind. Sie müssen es schaffen, Menschen, die Missstände aufzeigen wollen und den Mut haben hinzuschauen und die Wahrheit auszusprechen, nicht als  Nestbeschmutzer zu verunglimpfen.

Dieses Thema im Programm:

Regional Oldenburg | 13.10.2022 | 15:00 Uhr

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