Lieferketten: Stau auf dem Meer mit Folgen für den Handel
In der Nordsee warten viele Schiffe auf die Einfahrt in die Elbe - ein Stau auf offenem Meer. Doch das könnte erst der Anfang einer noch viel größeren Schlange sein. Schließlich warten in Chinas Häfen noch immer Tausende Container auf ihre Abwicklung.
Der Wissenschaftler Vincent Stamer erforscht am Institut für Weltwirtschaft in Kiel die Effizienz und Funktionalität von globalen Lieferketten. Welche Auswirkung hat der Stau auf den Weltmeeren auf die globalen Lieferketten? Was bedeutet es für die Menschen und Unternehmen, die direkt in dieser Lieferkette arbeiten?
NDR: Wie sieht es aktuell vor der Elbmündung aus, wie viele Containerschiffe stecken da im Moment noch fest?

Vincent Stamer: Wir befinden uns in der Elbmündung immer noch auf einem sehr hohen Stauniveau. Wir haben vor zwei Wochen erstmals die Anzahl von über 20 großen Containerschiffen erreicht, die dort warten. Seitdem hat sich die Lage kaum verändert.
Jetzt könnte man denken: 20 Schiffe, das ist ja nicht so viel. Warum hat das so gravierende Auswirkungen auf die Lieferketten?
Stamer: Die 20 Schiffe sind sehr große Containerschiffe. Es sind keine kleinen Schiffe, die Sie vielleicht von Binnengewässern kennen, sondern diese großen Containerschiffe können bis zu 24.000 Container transportieren. Und der große Teil des Handels Deutschlands mit dem Rest der Welt läuft eben über das Containerschiffnetzwerk ab.
Ist das wie der Stau im Suezkanal - nur 20 mal so schlimm?
Stamer: Bei der Suezkanal-Krise gab es eine enorme Unsicherheit, wann die Schiffe endlich wieder durchfahren können durch den Kanal. Das haben wir hier nicht, weil ja ständig auch Schiffe beispielsweise den Hamburger Hafen ansteuern können. Ja, es gibt einen Stau, aber es werden auch immer wieder Schiffe die Häfen anlaufen können. Deswegen ist es vielleicht nicht perfekt vergleichbar mit dem Suezkanal, aber es spielt schon in der gleichen Liga.
Was sagt die Position der stehenden Schiffe dort über den Zustand der Weltwirtschaft aus?
Stamer: Es zeigt, dass sehr viele Güter unterwegs sind. Der Stau belegt also, dass der Handel grundsätzlich läuft - aber eben die Logistik an ihre Grenzen stößt.
Im Augenblick hat man den Eindruck, dass kleine Störungen irgendwo in den Abläufen auf der Welt sofort massive Auswirkungen haben. Hat das zugenommen oder war das immer schon so gravierend?
Stamer: Ich glaube, dass die Störungen, die wir jetzt beobachten, durchaus massiv sind. Zum Beispiel die Hafenschließungen 2021 oder auch die Lockdowns in Shanghai - das waren tatsächlich sehr massive Eingriffe in die Weltwirtschaft. Die Eingriffe und die Störungen sind massiver geworden!
Was bedeutet das für die Menschen, die in den Lieferketten beschäftigt sind?
Stamer: Die Menschen und Unternehmen, die an diesen Lieferketten hängen, müssen sich noch weiter in Geduld üben. Seit Beginn der Corona-Pandemie dauert es etwa einen Monat länger, ein Gut zum Beispiel von Ostasien nach Europa zu transportieren. Hier muss man sich weiter auf höhere Wartezeiten einstellen, aber eben auch auf höhere Unsicherheit.
Wie wird sich das im nächsten halben Jahr weiterentwickeln?
Stamer: Ich glaube gerade im nächsten halben Jahr müssen wir weiter versuchen, Kapazitäten aufzubauen, um Flexibilität zu gewährleisten. Das sagt sich so leicht, aber das ist natürlich schwierig. Aber man kann zum Beispiel bei Verspätungen von Containerschiffen nur mit Flexibilität reagieren, zum Beispiel indem man Waren zwischenlagert. All das wird schon gemacht, aber daran müsste man weiterarbeiten.
Kann man aus wissenschaftlicher Sicht sagen, ab welcher Anzahl gestauter Containerschiffe in der Deutschen Bucht es zum Problem für die weltweiten Lieferketten wird?
Stamer: An einer Anzahl von Schiffen kann man es nicht festmachen. Aber ich glaube schon, dass die Containerschiffstaus insgesamt für die Weltwirtschaft problematisch sind. Das bedeutet, dass der Transport von Gütern zwischen Ländern deutlich teurer geworden ist. Das ist auch ein Grund für die Inflation und auch ein Hindernis für die Weltwirtschaft.
Das Interview führte Tobias Lickes.
