Gedenken heißt, an alle Opfer der Kriege zu erinnern
In Ramlingen-Ehlershausen (Region Hannover) ehrt seit 100 Jahren ein Denkmal die gefallenen deutschen Soldaten beider Weltkriege. Jetzt wird auch der hier verstorbenen britischen Soldaten und der Kinder von Zwangsarbeitern gedacht.
Es ist der 27. September 1943, kurz vor Mitternacht. Hannover brennt. Britische Bomber der Royal Air Force haben in der Dunkelheit ihre tödliche Fracht über der Stadt abgeworfen - einer von vielen Angriffen auf Hannover im Zweiten Weltkrieg. In einem der 700 Flugzeuge befindet sich die achtköpfige Crew des Piloten Maurice Hodson. Im Cockpit und an den Bordgeschützen sitzen allesamt junge Männer - der jüngste ist erst 18 Jahre alt. Und nur einer von ihnen wird diesen Tag überleben.
Jagdflugzeuge schießen den Stirling-Bomber ab
Zwölf Einsätze ist die Crew bereits zusammen geflogen. Der Dreizehnte wird ihr letzter sein. Jagdflugzeuge schießen den großen Stirling-Bomber über Ramlingen zwischen Hannover und Celle ab. "Plötzlich flog ein Flugzeug über unsere Köpfe hinweg und brannte", erinnert sich Gisela Müller. Die damals 14-Jährige hatte sich nicht wie vorgeschrieben im Luftschutzbunker aufgehalten und wurde so Augenzeugin. Es gab am Waldrand eine Explosion, berichtet sie. Heute sitzt sie an ihrem Küchentisch und zeigt auf ein altes Foto von damals. Zu sehen sind Einzelteile, die weit verteilt auf einem Kartoffelacker liegen. Sieben Soldaten kommen bei dem Absturz ums Leben. Nur der 21-jährige Robert Taylor überlebt und gerät in Gefangenschaft. Nach Kriegsende kehrt er nach Hause zurück. Er stirbt im Jahre 1993.
Bronzetafeln für zivile und alliierte Kriegsopfer
Auf dem Dorffriedhof von Ramlingen wurden die toten Soldaten damals zunächst bestattet. Heute, mehr als 80 Jahre später und nur ein paar Meter entfernt, erinnern nun Bronzetafeln an ihr Schicksal. Sie sind jetzt Teil des 100 Jahre alten Gefallenendenkmals im Dorf, das bis Dato ausschließlich die toten deutschen Soldaten des Ersten und Zweiten Weltkrieges ehrte. Ortsratsmitglied und Historiker Sven Voigt wollte das Gedenken erneuern. Auch die Geschichten alliierter und ziviler Kriegsopfer sollten erzählt werden. Hierfür wurde das in einem Halbkreis gebaute Denkmal mit Pflastersteinen zu einem Kreis erweitert. Die Idee dahinter: So entstand - aus der Vogelperspektive betrachtet - eine neue Mitte. "Man ist umringt von Geschichte", sagt Voigt.
Neue Perspektive des Gedenkens
Es gehe aber nicht darum, das bisherige Gedenken zu überschreiben, sondern durch andere Perspektiven zu erweitern. So sind jetzt neben den sieben alliierten Soldaten auch die Namen von Zbyszek Genza und Christa Sokol in Bronzeplatten eingraviert. Die beiden vier Monate alten Kinder polnischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter starben in den letzten Monaten des Krieges an Krankheit. Ihre Eltern gehörten zu 170 Zwangsarbeitern im Dorf. Sie mussten auf Höfen arbeiten. In Ramlingen trugen sie ihre Kinder zu Grabe.
Historiker recherchiert über zwei Jahre

Um diese Geschichten zu erzählen, hat Historiker Voigt zwei Jahre lang recherchiert. Neben der intensiven Suche in Archiven hat er auch über 50 Gespräche mit Dorfbewohnern und Zeitzeugen geführt. Um mehr über die verstorbenen Zwangsarbeiterkinder herauszufinden, reiste er sogar nach Polen und sprach mit deren Verwandten. Er entdeckte zudem eine Skizze des damaligen Dorffriedhofs, auf der die Gräber von unbekannten englischen Fliegern verzeichnet sind. Schnell fand er heraus, dass es sich um die Besatzung des abgeschossenen Bombers handelt. Voigt machte deren Angehörige in England, Schottland, den USA, und Neuseeland ausfindig. Auch mit dem Sohn des einzigen Überlebenden kam er in Kontakt. Hier entstand die Idee, die britischen Soldaten mit in das Denkmal zu integrieren, sagt Voigt.
Nicht alle Dorfbewohner waren sofort überzeugt
Bereits vor Jahren wurde im Ortsrat von Ramlingen-Ehlershausen darüber diskutiert, dem Ehrenmal neue historische Erkenntnisse hinzuzufügen. Die Umsetzung blieb jedoch unklar. Im Jahr 2022 entwickelte der gerade in den Ortsrat gewählte Historiker Voigt ein Konzept, das auch die Einbindung der Dorfbewohner vorsieht. Bei "Denkmal-Dialogen" wurden sie über die Arbeit und die Pläne informiert. Aber nicht alle waren von der Idee sofort begeistert, erinnert sich Voigt. Es gab die Angst, Erinnerung könne überschrieben werden. Einige Ramlinger haben selbst einen Verwandten auf der Erinnerungstafel und somit eine starke emotionale Bindung an das Ehrenmal. Voigt wusste aber durch viele Gespräche zu überzeugen.
Einweihung am Tag der Befreiung
Finanziell ermöglicht wurde das Vorhaben durch die Stadt Burgdorf sowie durch Spenden von Vereinen und Privatpersonen. Nach der langen Vorarbeit ging dann alles sehr schnell. Innerhalb von nur zwei Wochen wurden die neuen Steine verlegt und Bronzeplatten angebracht. Historiker Voigt zeigt sich mit dem Ergebnis sichtlich zufrieden. Er hofft, dass neben Angehörigen auch Schulklassen hier vorbeischauen, um zu forschen. Am 80. Jahrestag des Kriegsendes in Europa, dem 8. Mai 2025, wird das erweiterte Denkmal eingeweiht. Das Gedenken ist damit jedoch längst nicht abgeschlossen. Es können noch weitere Bronzeplatten auf den Steinen installiert werden, sagt Voigt. Es sei noch mehr Platz für die Opfer des Krieges und ihre Geschichten. Sie wollen erzählt werden.
