Stand: 10.11.2015 15:00 Uhr

DDR als Quotenrenner in Dänemark

von Inga Bork

Die DDR ist für viele Dänen topaktuell. Dänische Fernsehfilme und Radioserien zu den Stasimachenschaften in Dänemark sind Quotenrenner, Bücher zur ostdeutschen Ausbildung dänischer Kommunisten Verkaufshits. Auch finden immer mehr Dänen den Weg ins "Grenzhus" in Schlagsdorf - als Besucher oder Mitarbeiter.

Grenzhus Museum © dpa Zentralbild Foto: Grit Büttner
Schlagsdorf in Mecklenburg: Das Grenzlandmuseum "Grenzhus" zieht viele Besucher an - darunter viel dänische.

Bent aus Südjütland will alles sehen: Selbstschussanlagen und Streckmetallzaun, aber auch Fotos von geschleiften Dörfern im Sperrgebiet. Dabei ist der 60-Jährige schon zum zweiten Mal im Grenzhus-Museum im mecklenburgischen Schlagsdorf, diesmal mit dänischen Campingfreunden.

"Wir kommen ja aus Süddänemark, wir kennen das fast alle. Durch unsere Großeltern hatten wir es mitgekriegt. Aber einige von uns kommen auch aus Fünen, Seeland, die kennen das, glaube ich, gar nicht. Die haben es vielleicht gehört, aber nie gesehen", sagt Bent.

Grenzposten als Besuchermagnet

Auch, weil viele Dänen zu DDR-Zeit einen großen Bogen gemacht haben um die Deutsche Demokratische Republik. Heute finden immer mehr den Weg - auch ins Grenzhus. Allein 1.000 Dänen waren es im vergangenen Jahr, fast jeder zweite ausländische Besucher. Tendenz steigend! Die meisten: Mecklenburg-Urlauber oder Durchreisende auf dem Weg nach Berlin.

"Als erstes fragen sie immer, ob sie im Osten oder im Westen sind, denn das haben sie gar nicht mitgekriegt", erzählt Geschichtsstudent und Grenzhus-Praktikant Jon Tuhlstrupp von der dänischen Odense-Universität. Er drückt seinen Landsleuten einen druckfrischen Museumsführer in die Hand - selbst erarbeitet und ins Dänische übersetzt - mit Orten und Geschichten zu Flucht, Zwangsaussiedlung, Staatssicherheit.

DDR-Flucht als Bestsellergeschichte

Jesper Clemmensen
Bei der Flucht aus der DDR über die Ostsee nach Dänemark sind über 200 Menschen gestorben. Der dänische Journalist Jesper Clemmensen hat 20 Schicksale in einem Buch beschrieben.

"Später, wenn man dann wieder mit ihnen reden, dann sind sie - ich würde nicht sagen – geschockt, aber schon ein bisschen überrascht. Die Dimensionen der Grenzsperranlagen zum Beispiel, das wissen die ja nicht. Oder die Fluchten, dass das Dramatik pur ist", erzählt Jon Tuhlstrupp.

Dramatische Fluchtgeschichten von DDR-Bürgern taugen sogar zum Bestseller: Schicksalsberichte über die "Fluchtroute: Ostsee" von Jesper Clemmensen wurde 2014 Dänisches Buch des Jahres. Es erscheint bald auch auf Deutsch: im Rostocker Hinstorff-Verlag.

DDR als Beispiel für praktischen Kommunismus

Wie dänische Künstler, Kommunisten und sogar Kinder in der DDR gelebt, geliebt und gearbeitet haben, thematisierte dafür der Vierteiler "Dänen in der DDR" - zur besten Sendezeit im Kultur-Fernsehen des öffentlich-dänischen Rundfunks. Co- Autorin Camilla Pedersen dazu: "Es war in den Top Ten der erfolgreichsten Fernsehsendungen der vergangenen Jahre. Weil es eine politische Dimension hat! In den 1970er- und 80er-Jahren haben sich viele Dänen für den Kommunismus und für Parteien des linken Flügels begeistert, vor allem junge Leute. Die DDR war das beste Beispiel, wie Kommunismus praktisch funktioniert."

CIA verweigert Herausgabe von Spionage-Kartei

Viele Menschen denken heute, dass diese Geschichte noch nicht kritisch genug aufgearbeitet sei, gerade bei denen, die in den linken Parteien engagiert waren und die von der DDR profitiert haben – sei es durch politische Schulungen in Ost-Berlin oder durch Parteispenden ostdeutscher Genossen. Ebenso wenig aufgearbeitet: die Stasi-Machenschaften in Dänemark: Auch weil die Amerikaner die sogenannten Rosenholz-Karteien bis heute nicht komplett rausrücken; sagt der Historiker Thomas Wegener Friis vom Zentrum für Studien zum Kalten Krieg in Odense.

Die Gesamtkartei aller Namen, die von der Auslandsspionage der Staatssicherheit, die liegen noch immer gut und geborgen in Langley bei der CIA.

Auch die Dänen haben in der DDR spioniert

Norwegen bemühe sich zwar aktuell um einen Zugang zu den insgesamt 381 CD-Roms, die dänische Regierung halte sich dafür zurück. Im Rahmen eines Forschungsprojektes wolle man deshalb die DDR-Forschung mit Norwegern, Schweden und Deutschen bündeln, so Friis Wegener. Und: Dänemark habe zwar nicht die gesamten Rosenholz-Karteien, aber sie hätten ihre eigenen Abwehrakten weitgehend freigemacht für die Forschung, so dass man "mit beiden Augen auf den Kalten Krieg gucken kann".

Diese Akten beweisen, dass auch die Dänen fleißig spioniert haben in der DDR: vor allem aus militärischem Interesse - auch auf der Ostseewoche in Rostock! "Im Kalten Krieg drohte man nun mal. Da standen Soldaten der NVA dänischen Soldaten gegenüber. Der dänische Nachrichtendienst war recht gut informiert darüber, was für den Kriegsfall vorgesehen war: Dänemark wäre von den Truppen des Warschauer Vertrages in den ersten 10 Tagen einzunehmen und genau darauf hat man sich vorbereitet", beschreibt Friis das Szenario.

Doch manchmal war der politische Feind schneller. So erforscht Thomas Wegener Friis gerade den spektakulären Spionagefall eines dänischen Journalisten, der auf der Rostocker Ostseewoche angeworben ist und am Ende für drei Geheimdienste spitzelte - auch für die Staatsicherheit der DDR.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | 10.11.2015 | 19:02 Uhr

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