Jonathan Franzen © AP Photo Foto: Ennio Leanza

Verlagsbeben? Mehrere Autoren wechseln von Rowohlt zu dtv

Stand: 18.03.2022 10:58 Uhr

Eine spektakuläre Nachricht beschäftigt die deutsche Verlagsszene: Gleich fünf namhafte Autorinnen und Autoren verlassen den Hamburger Traditionsverlag Rowohlt. Ein Gespräch mit Joachim Dicks aus der NDR Literaturredaktion.

Joachim Dicks, wer packt da seinen Rucksack?

Joachim Dicks: Es sind wirklich sehr, sehr bekannte und namhafte Autoren: Jonathan Franzen, Jeffrey Eugenides, Martin Mosebach, Eugen Ruge und Julia Schoch. Wenn ein Verlag auf einen Schlag so etwas verkraften muss, ist das schon sehr, sehr außergewöhnlich.

Ein Beben in der Bücherbranche - kann man das so sagen?

Joachim Dicks: Es ist beides zugleich: ein starkes Beben und ein ganz normaler Vorgang. Hier handelt es sich genau genommen um ein Nachbeben, denn im Grunde genommen passiert jetzt nur das, was bereits 2018 seinen Anfang genommen hat. Denn da wurde die verlegerische Geschäftsführerin Barbara Laugwitz beim Rowohlt Verlag entlassen. Das hat das Vertrauen von vielen, vielen Rowohlt-Autorinnen und Autoren nachhaltig erschüttert. Dann gab es den Nachfolger Florian Illies. Da dachten sie beim Rowohlt-Verlag, sie hätten einen großen Coup gelandet - ein Bestseller-Autor als neuer Verleger. Aber Illies hat nach einem Jahr auch wieder das Handtuch geworfen. Ihm folgte Nicola Bartels. Das ist für einen Verlag wirklich äußerst chaotisch in der Außenwirkung.

Barbara Laugwitz hat aber, weil das nun mal eine sehr erfolgreiche Verlegerin ist, sehr schnell Anschluss gefunden. Mit einer Zwischenstation kam sie zum dtv-Verlag und konnte ihren früheren Mentor Alexander Fest davon überzeugen, den Schritt zum dtv-Verlag mitzugehen. Und da hängen Autoren dran. Das heißt, Autoren sind nicht nur an Verlage gebunden, sondern auch an Lektoren. Alexander Fest hat zum Beispiel Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides beim Rowohlt Verlag groß gemacht. Insofern ist das nicht ganz so überraschend.

Es gibt auch Stimmen, die darin so etwas wie einen Strukturwandel im Verlagswesen sehen. Was meinen Sie?

Joachim Dicks: Ich würde nicht so weit gehen. Der Strukturwandel mit den großen Verlagsgruppen, Randomhouse und Holtzbrinck wären da zu nennen, hat schon vor langer Zeit stattgefunden. Rowohlt gehört schon seit 1982 zu Holtzbrinck. Verlage stehen stellvertretend für alle Bereiche, in denen Kreativität und Ökonomie, Kunst und Geld aufeinandertreffen. Das ist immer brisant. Wir Bücherfreunde wollen es nicht immer wahrhaben, aber bei Literatur geht es auch immer ums Geschäft.

Bedauernswert ist nur, wenn dieser Wettbewerb auch von Rachegefühlen und Missgunst geprägt ist. Darüber lesen wir lieber in Romanen als in der Wirklichkeit. Aber es könnte sein, dass mit diesen Wechseln auch alte Rechnungen beglichen werden. Das kann ich nicht genau beurteilen. Aber aus der Rowohlt- und Holtzbrinck-Perspektive sehe ich das bestimmt so.

Was ist mit Daniel Kehlmann - bleibt er? Er hat mit der "Vermessung der Welt" und auch mit "Tyll" zwei der erfolgreichsten deutschsprachigen Bücher der letzten Dekaden geschrieben. Wenn er noch geht - das wäre schon hart, oder?

Ja, das wäre hart. Aber Kehlmann hat sich noch nicht geäußert. Er war bei dem Protest bei dem Weggang von Barbara Laugwitz ganz vorne dabei. Da hat er sich ganz klar positioniert. Insofern wäre es jetzt nicht überraschend, wenn er diesen Schritt auch noch bekannt gibt. Andererseits ist das auch ein Risiko für die Autoren. dtv ist für die meisten immer noch der Taschenbuch verlegende Verlag, also Zweitverwertungs-Verlag.

Das hat sich in den letzten Jahren schon deutlich geändert. Aber diese Verlagshistorie von Rowohlt bringt dtv noch lange nicht mit. Vielleicht sagt sich Kehlmann auch, das Beben dürfte jetzt genug Wirkung gezeigt haben. Bessere Bedingungen als bei Rowohlt kann mir dtv eigentlich nicht bieten. Wir werden sehen. Ein bisschen hat das Ganze auch etwas von einer Seifenoper. Ich wünsche mir vor allem, dass am Ende nicht die Bücher und die literarische Qualität leiden. Das ist für uns immer das Wichtigste.

Das Gespräch führte Hans-Jürgen Mende.

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