Buchcover: Katja Riemann, "Nebel und Feuer" © S. Fischer

Debütroman "Nebel und Feuer": Katja Riemanns Plädoyer für Empathie

Stand: 08.05.2025 06:00 Uhr

Katja Riemanns Romandebüt "Nebel und Feuer" ist eine bewegende und sensible Geschichte vom Verschwinden. Eine Parabel auf unsere Zeit und eine Vision von Freundschaft und Solidarität.

von Peter Helling

Das Leben ist kurz, Leute, keine Zeit für so viel Grimm. Leseprobe

Das ist der letzte Satz in diesem Buch, in den Danksagungen, "Merci" überschrieben. Ein Appell, der nicht Teil des Romans ist und doch Teil einer literarischen Reise, auf die uns Katja Riemann mitnimmt. Eine Reise hinaus aus dem Nebel von Grimm und Wut.

VIDEO: Katja Riemann stellt Roman "Nebel und Feuer" in Rostock vor (2 Min)

Ein Suizidversuch aus Liebeskummer

Menschen verschwinden hinter Türen. Oder in Kellern. Sie verschwinden in staatlichen oder privaten Gefängnissen. Unterirdischen Gefängnissen. Im Nebel oder schwarzen Löchern. Im Laufe der Zeit können sie aus unseren Leben und Beziehungen verschwinden, aus unserem Gefühl oder der Erinnerung. Leseprobe

Dieser Staccato-Ton zieht sich durch den Roman. Auch Johaenne will am Anfang verschwinden. Sie ist Sängerin der Band The girl in the other room - und: verzweifelt. Sie steht nackt auf dem Sims ihres Fensters im fünften Stock und will sich hinabstürzen. Der Grund: Ihr Freund hat sie verlassen, ihr Lebens- und Seelengefährte. Der "Mann", so wird er das ganze Buch genannt, wie ein Prototyp, eine Schablone, die langsam verblasst. Johaenne will sterben und spricht mit dem Mond - und das wirkt kein bisschen kitschig:

"Du bist wütend." "Keine Ahnung, ich weiß gerade nicht mal, ob ich noch bin. Vielleicht bin ich ja schon runtergefallen." "Bist du nicht." "Woher weißt du das." "Ich kann sehen. Schlecht, aber immerhin." Leseprobe

Der Nebel als Metapher und Herausforderung

Und dann wird sie von einer alten Frau aus der Nachbarschaft gesehen, unten von der Straße: Glück gehabt, Johaenne entscheidet sich um. Am nächsten Morgen ist ihr Körper blutig verschrammt, sie hat eine Blasenentzündung - überhaupt ist der Roman sehr körperlich -, und ihr Leben geht weiter.

Sie geht Hummus essen, Berlin scheint sie zu umarmen. Eine junge Passantin kauft ihr zwei Ein-Euro-Schlappen, weil sie einen Hausschuh verloren hat. Jamal heißt sie. Nur wenig später wird Johaenne sie zufällig mit dem Auto aufklauben - als sie auf der Straße steht, barfuß, von ihrem Freund misshandelt. Sie fahren raus aufs Land, in den 50er-Jahre-Bungalow ihres Vaters, irgendwo in einem Dorf am Waldrand: Johaenne bricht alle Kontakte ab und geht doch mitten hinein ins Leben. Wie auf eine Arche kommen hier Jamal, ihre junge Kollegin und Johaennes Band-Pianistin zusammen. Und ein ausgesetzter Hund, den sie von der Straße aufsammelt - der einzige "Mann" in dieser WG auf Zeit, heißt es augenzwinkernd.

Währenddessen geht draußen die Welt unter, denn ein Nebel zieht unerklärlicherweise über halb Europa auf. Die Menschen geraten in Panik, machen Hamsterkäufe und Gewalt bricht aus: Alles scheint zu entgleisen. Die Frauen sind vorerst in Sicherheit, aber sie werden von Alpträumen heimgesucht. Der Nebel hüllt sie ein und wird immer bedrohlicher. Er ist Metapher und Naturereignis gleichzeitig, die Welt ringsum wird still.

Weitere Informationen
Katja Riemann © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild Foto: Britta Pedersen

"Streicheln" statt "rütteln": Katja Riemann über Menschenrechte und Klimawandel

Die Schauspielerin erklärt im Gespräch, warum sie davon träumt, nur noch kommerzielle Filme über den Klimawandel zu machen. mehr

Katja Riemanns Geschichte einer porösen Welt

Es sind fast filmische Szenen, unheimlich und surreal, die Katja Riemann schreibt. Jede der Frauen trifft eine Entscheidung, die ihr Leben verändert. Diese Geschichte einer porösen Welt weckt Assoziationen an Corona und an die bedrohliche Gegenwart: Der Roman bleibt aber nicht im Metaphorischen stecken. Denn gleichzeitig sind die Dialoge lebensnah und konkret. "Nebel und Feuer" erzählt von einer Verwandlung, ist ein Plädoyer für Empathie und für das Loslassen. Eine gute Voraussetzung für Glück.

Nebel und Feuer

von Katja Riemann
Seitenzahl:
304 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
S. Fischer
Bestellnummer:
978-3-10-397589-5
Preis:
25 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 08.05.2025 | 12:40 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Romane

Rote und rosafarbene Bücher stehen vor einen rosafarbenen Hintergrund. © IMAGO / Panthermedia

Neue Bücher 2025: Was erschienen ist - und was noch kommt

Neues gibt es beispielsweise von Christian Kracht, Wolf Haas oder Kristine Bilkau und vielen weiteren. Ein Blick aufs Literaturjahr. mehr

Logo vom NDR Kultur Podcast "eat.READ.sleep" © NDR Foto: Sinje Hasheider

eat.READ.sleep. Bücher für dich

Lieblingsbücher, Neuerscheinungen, Bestseller – wir geben Tipps und Orientierung. Außerdem: Interviews mit Büchermenschen, Fun Facts und eine literarische Vorspeise. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Eine ältere Frau blickt lächelnd in die Kamera © Valerie Assmann

80 Jahre Kriegsende: "Von Anfang an war dieser Jahrestag kontrovers"

Die Historikerin Aleida Assmann erklärt im Gespräch, wieso Erinnerungsrituale wichtig sind, gerade an einem Tag wie dem 8. Mai. mehr