Debütroman "Nebel und Feuer": Katja Riemanns Plädoyer für Empathie
Katja Riemanns Romandebüt "Nebel und Feuer" ist eine bewegende und sensible Geschichte vom Verschwinden. Eine Parabel auf unsere Zeit und eine Vision von Freundschaft und Solidarität.
Das Leben ist kurz, Leute, keine Zeit für so viel Grimm. Leseprobe
Das ist der letzte Satz in diesem Buch, in den Danksagungen, "Merci" überschrieben. Ein Appell, der nicht Teil des Romans ist und doch Teil einer literarischen Reise, auf die uns Katja Riemann mitnimmt. Eine Reise hinaus aus dem Nebel von Grimm und Wut.
Ein Suizidversuch aus Liebeskummer
Menschen verschwinden hinter Türen. Oder in Kellern. Sie verschwinden in staatlichen oder privaten Gefängnissen. Unterirdischen Gefängnissen. Im Nebel oder schwarzen Löchern. Im Laufe der Zeit können sie aus unseren Leben und Beziehungen verschwinden, aus unserem Gefühl oder der Erinnerung. Leseprobe
Dieser Staccato-Ton zieht sich durch den Roman. Auch Johaenne will am Anfang verschwinden. Sie ist Sängerin der Band The girl in the other room - und: verzweifelt. Sie steht nackt auf dem Sims ihres Fensters im fünften Stock und will sich hinabstürzen. Der Grund: Ihr Freund hat sie verlassen, ihr Lebens- und Seelengefährte. Der "Mann", so wird er das ganze Buch genannt, wie ein Prototyp, eine Schablone, die langsam verblasst. Johaenne will sterben und spricht mit dem Mond - und das wirkt kein bisschen kitschig:
"Du bist wütend." "Keine Ahnung, ich weiß gerade nicht mal, ob ich noch bin. Vielleicht bin ich ja schon runtergefallen." "Bist du nicht." "Woher weißt du das." "Ich kann sehen. Schlecht, aber immerhin." Leseprobe
Der Nebel als Metapher und Herausforderung
Und dann wird sie von einer alten Frau aus der Nachbarschaft gesehen, unten von der Straße: Glück gehabt, Johaenne entscheidet sich um. Am nächsten Morgen ist ihr Körper blutig verschrammt, sie hat eine Blasenentzündung - überhaupt ist der Roman sehr körperlich -, und ihr Leben geht weiter.
Sie geht Hummus essen, Berlin scheint sie zu umarmen. Eine junge Passantin kauft ihr zwei Ein-Euro-Schlappen, weil sie einen Hausschuh verloren hat. Jamal heißt sie. Nur wenig später wird Johaenne sie zufällig mit dem Auto aufklauben - als sie auf der Straße steht, barfuß, von ihrem Freund misshandelt. Sie fahren raus aufs Land, in den 50er-Jahre-Bungalow ihres Vaters, irgendwo in einem Dorf am Waldrand: Johaenne bricht alle Kontakte ab und geht doch mitten hinein ins Leben. Wie auf eine Arche kommen hier Jamal, ihre junge Kollegin und Johaennes Band-Pianistin zusammen. Und ein ausgesetzter Hund, den sie von der Straße aufsammelt - der einzige "Mann" in dieser WG auf Zeit, heißt es augenzwinkernd.
Währenddessen geht draußen die Welt unter, denn ein Nebel zieht unerklärlicherweise über halb Europa auf. Die Menschen geraten in Panik, machen Hamsterkäufe und Gewalt bricht aus: Alles scheint zu entgleisen. Die Frauen sind vorerst in Sicherheit, aber sie werden von Alpträumen heimgesucht. Der Nebel hüllt sie ein und wird immer bedrohlicher. Er ist Metapher und Naturereignis gleichzeitig, die Welt ringsum wird still.
Katja Riemanns Geschichte einer porösen Welt
Es sind fast filmische Szenen, unheimlich und surreal, die Katja Riemann schreibt. Jede der Frauen trifft eine Entscheidung, die ihr Leben verändert. Diese Geschichte einer porösen Welt weckt Assoziationen an Corona und an die bedrohliche Gegenwart: Der Roman bleibt aber nicht im Metaphorischen stecken. Denn gleichzeitig sind die Dialoge lebensnah und konkret. "Nebel und Feuer" erzählt von einer Verwandlung, ist ein Plädoyer für Empathie und für das Loslassen. Eine gute Voraussetzung für Glück.
Nebel und Feuer
- Seitenzahl:
- 304 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- S. Fischer
- Bestellnummer:
- 978-3-10-397589-5
- Preis:
- 25 €
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Romane
