Leipziger Buchpreis für Tomer Gardi: Dynamik durch Verwechslung
Zum dritten Mal in Folge ist die Leipziger Buchmesse ausgefallen - nicht aber die Verleihung der Preise. Nun stehen die Ausgezeichneten in den Kategorien Belletristik, Sachbuch und Übersetzung fest: Tomer Gardi, Uljana Wolf und Anne Weber.
Das aufgeregte Summen, das Rauschen und Tuscheln wie noch vor Corona, als der Preis der Leipziger Buchmesse inmitten der Menschenströme verliehen wurde, die sich durch die Glashalle schlängelten, bleibt auch in diesem Jahr aus. Stattdessen: einige Dutzend geladene Gäste und viel Hall, als Buchmesse-Direktor Oliver Zille nicht umhin kann, mit Worten zum Krieg in der Ukraine einzusteigen: "Wir sind in diesen Tagen mit Kopf und Herz bei den Ukrainerinnen und Ukrainern, bei unseren Partnern, Autorinnen und Autoren im Lande."
Belletristik-Preis der Leipziger Buchmesse geht an Tomer Gardi
Dann ist man mit Kopf und Herz bei den diesjährigen Nominierten, die allesamt eines eine, wie die Jury hervorhebt: Sie würden in die Lücken schauen, dorthin gehen, wo sich etwas auftue, verletzlich und offen - allen voran der israelische Schriftsteller Tomer Gardi, der für seinen Roman "Eine runde Sache" den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik bekommt. Ein tollkühnes und großzügiges Buch, sagt die Laudatorin Shirin Sojitrawalla: "'Ein Schriftsteller ist jemand, der Schwierigkeiten hat mit die deutsche Sprache', schreibt er und hinterfragt unser Bedürfnis nach Korrektheit und Geradlinigkeit ebenso wie ästhetische Normen."
Dynamik der Handlung durch die Verwechslung von Wörtern
Tomer Gardi verwebt in seinem Roman zwei Handlungsstränge. Ein schräges Märchen, indem er selbst als literarisches Ich auftritt, und die Erzählung eines Künstlerlebens. Das Ganze beginnt mit einer Salzgurke: "Da hat der Theaterintendant eine Scheibe Salzgurke, die von Tomer Gardis Brot ausgerutscht ist und verlässt sich selbst. Dann hat Tomer Gardi die Aufgabe, eine Geschichte von dem Theaterintendant auszudenken. Warum seine Auge jetzt so blau ist und warum der Intendant so komisch aussieht", erzählt Tomer Gardi.
Dieser Teil ist in gebrochenem Deutsch verfasst. Die Dynamik der Handlung entsteht allein durch die Verwechslung von Wörtern - Jacht und Jagd zum Beispiel. Der andere Strang ist aus dem Hebräischen übersetzt. "Mein Grundkonzept hinter diesem Roman war, dass ich wissen wollte, wie unsere Sprachen unsere Fantasie beeinflussen", sagt Gardi.
Leipziger Sachbuch-Preis für Uljana Wolf
Einen vergleichbaren Ansatz verfolgt die Lyrikerin und Übersetzerin Uljana Wolf mit ihrem Band "Etymologischer Gossip. Essays und Reden", ausgezeichnet in der Kategorie Sachbuch. Das Werk sei eine Art intellektuelle Autobiografie, so die Jury. Wer wissen wolle, wie sich eine fröhliche Sprachwissenschaft lese, habe damit die geeignete Lektüre. Einfach gesagt: ein Sachbuch über das Übersetzen von Lyrik, eine Sammlung von Essays, Reden und Gesprächen. "Es ist für mich interessant, dass wir in die Ursprünge von Worten schauen und sie vielleicht auch kritisch lesen. Und der Gossip, der in meinem Essayband stattfindet, ist der, dass sich ich in Gesprächen und Gedichten genau zwischen die Sprachen schaue", sagt Uljana Wolf.
Anne Weber erhält Übersetzungs-Preis
Wie verschiedene Sprachen miteinander kommunizieren, lässt sich in der Übersetzungsarbeit von Anne Weber nachempfinden. 2020 gewann sie als Autorin bereits den Deutschen Buchpreis. Nun bekommt Weber die Ehrung der Leipziger Buchmesse als Übersetzerin für die deutsche Fassung des Romans "Nevermore" von Cécile Wajsbrot. Darin geht es um eine Übersetzerin, die Virginia Woolf überträgt. "Es ist einfach ein wundervolles Buch von Cécile Wajsbrot", erzählt Anne Weber. "Es ist für eine Übersetzerin tatsächlich etwas tricky, weil diese Übersetzerin Virginia Woolf ins Französische übersetzt. Man liest das natürlich auf Deutsch und muss trotzdem verstehen, dass es hier eigentlich Französisch ist, was man liest."
Die Preise - das gilt in diesem Jahr für alle drei Geehrten - sind wie die prämierten Werke eine Verneigung vor der Sprache selbst, vor den Wörtern, die Anne Weber, Uljana Wolf und Tomer Gardi in ihren Büchern zugleich sezieren und erblühen lassen.
