Warum die Nonnengans nicht gejagt werden darf

Stand: 30.10.2022 05:00 Uhr

Pünktlich zum Herbst sind sie zurück auf Pellworm: Die Nonnengänse. In Scharen schlagen sie sich auf den Wiesen die Bäuche voll und vernichten das Grünfutter von Landwirten wie Nico Nommsen. Doch stärker gejagt werden darf der Zugvogel nicht. Das hat die EU-Kommission entschieden.

von Judith Pape, NDR.de

Morgens schon, kurz nach dem Aufwachen, hört Nico Nommsen es: das aufgeregte Gackern der Nonnengänse auf den Wiesen vor seinem Hof auf Pellworm.

In immer größeren Schwärmen überwintern die Zugvögel mit dem markanten schwarz-weißen Gefieder auf der Nordseeinsel. Und wegen des Klimawandels und den milderen Temperaturen bleiben sie auch immer länger. Etwa von Oktober bis Mitte Mai füllen die Tiere ihre Fettdepots auf und verursachen dabei immense Schäden auf Weiden und Äckern in vielen Regionen an der Nordseeküste. "Gerade im Januar und Februar erholt sich das Weidegras eigentlich", sagt Nommsen, "diese Regenerationsphase fällt jetzt komplett weg". Zudem hemme der saure Kot der Gänse das Wachstum.

"Die Nonnengans klaut die Futtergrundlage"

Für Landwirte wie Nommsen wird dadurch das Winterfutter für seine Milchkühe knapp. Diese brauchen energieintensives Futter - und das scheint auch den Nonnengänsen zu schmecken. Etwa 50 Prozent weniger konnten der Pellwormer und seine Kollegen in diesem Jahr auf den Wiesen ernten. "Die Nonnengans nimmt uns die ganze Futtergrundlage für unsere Tiere", sagt Nommsen, "das müssen wir teuer zukaufen, wenn es schlecht läuft". Auf einer Insel wie Pellworm kommen dann noch die Transportkosten für die Fähre hinzu.

Landwirt Nico Nommsen steht für ein Interview auf seinem Acker © NDR Schleswig-Holstein Magazin Foto: NDR
Für Landwirt Nico Nommsen ist die Entscheidung der EU "eine Ohrfeige für alle betroffenen Landwirte an der Küste".

Nommsen hat sein Vieh schon deutlich reduziert - von 160 auf 110 Tiere. Geld verdient er auch mit den sechs Ferienwohnungen auf seinem Hof, aber die Milchviehhaltung hat Tradition bei der Familie: Schon der Großvater und Urgroßvater hielten Milchkühe. Seit fast 100 Jahren gibt es den auf einer Warft in Sichtweite zum Deich gelegenen Bauernhof. Nico Nommsen würde die Tradition gerne an seinen Sohn Michel weitergeben, doch daran zweifelt er gerade. "Die nächste Generation hat doch keine Lust mehr bei den Bedingungen. Normale Landwirtschaft ist so nicht mehr möglich", so Nommsen.

Artenschutz gegen Landwirtschaft

Die Landwirte fordern, dass die Nonnengans intensiver gejagt werden darf. Bislang geht das nur mit Ausnahmegenehmigungen in einem eng begrenzten Zeitraum zwischen September und Oktober sowie im Januar. Die Nonnengans ist geschützt.

Das Problem ist altbekannt und auch die Debatte darüber. Doch im Zuge der Koalitionsverhandlungen in Schleswig-Holstein kam Bewegung in das Thema: Das neu geordnete SH-Landwirtschaftsministerium unter CDU-Führung und das grüne Umweltministerium suchten einen Kompromiss, indem sie delegierten. Sie beantragten Ende August gemeinsam ein erweitertes Jagdrecht bei der EU-Kommission.

Die Antwort kam für die Behörde überraschend schnell: Anfang Oktober erklärt der Kommissar für Umwelt, Virginijus Sinkevicius aus Litauen, er stimme mit den Antragstellern in der Einschätzung überein, dass die Nonnengans erhebliche Fressschäden auf landwirtschaftlichen Acker- und Grünlandkulturen verursache. Einer Erweiterung des Jagdrechts erteilt er jedoch eine Absage. "Die Vogelschutzrichtlinie bietet bereits ausreichende Flexibilität, um die (...) Probleme zu lösen", heißt es in dem Schreiben.

Population nicht ausreichend erholt

Grundlage der EU-Entscheidung: Im gesamten Gebiet der Nordseeküste - also auch in den Niederlanden - habe sich die Population der Nonnengänse noch nicht ausreichend erholt. Dabei stützt sich die Kommission auf die Ergebnisse der sogenannten Gänse-Management-Plattform (EGMP). Demnach müssten mindestens 24.000 Brutpaare der Gänse in der Region von Norddeutschland bis in die Niederlande zu finden sein. Im Jahr 2020 waren es demnach lediglich 19.500. Eine Abschussgenehmigung liegt also in weiter Ferne.

Eine Nonnengans mit ausgebreiteten Flügeln auf einer Wiese. © imago/imagebroker
An der Nordseeküste gilt die Population der Nonnengänse als noch nicht ausreichend erholt. 2020 gab es 19.500 Brutpaare.

Eine herbe Enttäuschung für Nico Nommsen auf Pellworm: "Es wäre ein Zeichen gewesen, dass man uns hilft und uns hört. Da ist null aus Brüssel gekommen. Das ist so eine Ohrfeige für alle betroffenen Landwirte an der Küste."

Entschädigungen für Landwirte

Die Ministerien in Kiel wollen jetzt zumindest ihre Hilfen erweitern: Schon jetzt werden Landwirte zum Einen für Ernteausfälle durch Fressschäden auf Ackerflächen entschädigt und zum Anderen bekommen sie Geld, wenn sie Grünflächen zur Verfügung stellen, auf denen die Gänse grasen können. 13.500 Hektar Fläche waren das im vergangenen Jahr. Etwa 3,8 Millionen Euro hat das Land den Bauern dafür gezahlt.

Doch Nico Nommsen sieht darin keine tragfähige Lösung für die Zukunft: "Letztlich kann man die Kuh nicht mit Geld füttern", sagt er. Ein Ende in dem Konflikt zwischen Artenschutz und Landwirtschaft ist damit vorerst nicht in Sicht.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 28.10.2022 | 19:30 Uhr