Vor zehn Jahren: Verheerender Tornado verwüstet Bützow
Für die Menschen im mecklenburgischen Bützow und Umgebung war er ein sehr einschneidendes Erlebnis: der Tornado, der am 5. Mai 2015 in wenigen Minuten große Teile der Stadt verwüstet hat. NDR Reporter David Pilgrim erinnert sich.
Es war ein außergewöhnlich schwülwarmer Tag, dieser 5. Mai 2015. Ich hatte zwei Tage zuvor meine Frau und meinen neugeborenen Sohn aus dem Krankenhaus nach Hause geholt. Wir leben wenige Kilometer westlich von Bützow. Gegen 18.30 Uhr ging ich vor die Tür, weil ich durchs Fenster eine schwarze Gewitterfront gesehen hatte, die aus Westen auf uns zu kam. Und sie sah viel bedrohlicher aus als nur nach einem Gewitter. Draußen war es gespenstisch still. Ich erinnere mich noch, dass kein einziger Vogel mehr zu hören war. Und dann brach der Sturm los. Ich rannte durchs Haus, um zu kontrollieren, dass alle Fenster geschlossen waren. Und das war nicht nur Sturm: Das Haus wackelte, draußen krachte es überall. Vor umherfliegendem Staub, Blättern und Ästen sah man nichts.
"Wir hatten Glück"
Nach etwa fünf Minuten war der Spuk vorbei. Als ich nach draußen ging, sah ich: Hunderte Jahre alte massive Bäume, die einfach auf halber Stammhöhe durchgebrochen waren, überall lagen Dachziegel herum, entwurzelte Bäume. Wir hatten aber Glück: Unser Dorf trafen nur kleinere Wirbel des Tornados - es war ein "Multivortex-Tornado" der Stufe F3 auf der sogenannten Fujita-Skala, wie ich später lernte. Der Sturm, der Minuten später auf Bützow traf, bestand nicht nur aus einer Windhose, sondern mehreren Teilwirbeln. Mit dem Smartphone in der Hand dokumentierte ich am Abend noch die Schäden für die Versicherung.
Eine Stadt in Trümmern
Erst am Morgen danach fuhr ich nach Bützow, um meinen älteren Sohn, der damals knapp zwei Jahre alt war, in den Kindergarten zu bringen. Doch ich dachte schnell, das wird wohl heute nichts, denn die Stadt mit ihren etwa 8.000 Einwohnern sah aus, als hätte es Krieg gegeben. Hunderte Häuser waren beschädigt - in den Isolierungen von Hausfassaden stecken zersplitterte Dachlatten und Dachziegel, die Hauptstraße war schon notdürftig geräumt - ein großer Radlader schob Trümmer zusammen.
Der Tornado, der nur 200 Meter von unserem Haus entfernt den Boden erreichte - "aufgesetzt hat", wie Fachleute sagen - kam in der mecklenburgischen Kleinstadt um 18.50 Uhr an. Mit etwa 300 Kilometer pro Stunde Windgeschwindigkeit, so schnell drehte sich der Hauptwirbel, das haben Experten hinterher berechnet.
Innerhalb von Sekunden verwandelte der Tornado die Innenstadt in ein Trümmerfeld. Dächer wurden teilweise vollständig abgedeckt, Dachziegel flogen wie Geschosse umher und blieben in Häuserfassaden stecken. Autos wurden durch die Luft gewirbelt. 16 Häuser waren so stark beschädigt, dass sie für unbewohnbar erklärt werden mussten.
40 Millionen Euro Schaden
Insgesamt wurden innerhalb von knapp zehn Minuten fast 400 Häuser beschädigt. Bützows freiwillige Feuerwehr mit ihrem ehrenamtlichen Wehrführer Holger Gadinger rückte sofort zum Großeinsatz aus. "Das gleiche Szenario zwei Stunden vorher, als die Kinder aus dem Hort, die Leute von der Arbeit, die Kids von der Schule kommen. Dann hätten wir heute noch viel trauriger dagestanden", erzählte mir Gadinger später. Denn wie durch ein Wunder kam niemand ums Leben. 30 Menschen wurden verletzt. Der entstandene Schaden lag bei mehr als 40 Millionen Euro.
Die Ursache für den Tornado
Eine Rotbuche in einem Rondell mit eingelassenen Dachziegeln, die der Tornado in Bützow damals von den Dächern gefegt hatte; dieses Denkmal vor dem alten Schloss erinnert heute an den 5. Mai 2015.
Damals zogen mehrere Tornados über den Nordosten Deutschlands. Ausgelöst waren sie durch extreme Luftdruckunterschiede zwischen einer Warm- und einer Kaltfront. Solche Ereignisse gelten zwar als selten, kommen aber vor und Wetterexperten warnen, dass Tornados wegen des Klimawandels häufiger auftreten könnten. Der heftigste Wirbelsturm der Kategorie F3 traf damals Bützow - 15 Kilometer lang zog er eine Spur der Verwüstung mit einer Breite von 600 Bis 1.000 Metern.
Vorstellung: "So sieht Krieg aus"
Architekt Hartmut Böhnke war am Abend des 5. Mai 2015 noch in seinem Büro in der Altstadt. Das liegt direkt neben der Stiftskirche, die gerade ein neues Dach bekommen hatte. Nach dem Tornado war die Hälfte des neuen Daches weg. Ich traf Böhnke zufällig ein paar Jahre nach dem Tornado. Ich kannte ihn nicht als besonders emotionalen Menschen, aber er sagte: "Eigentlich weinen Männer nicht. Aber ich muss ganz ehrlich sagen, nachdem wir die Straße freigeräumt hatten - so weit, dass wir gehen konnten -, das war ein Anblick, so habe ich mir vorgestellt, so sieht Krieg aus."
Eine Welle der Hilfsbereitschaft
Die geschockten Einwohner Bützows haben damals angepackt. Schon unmittelbar nach dem Sturm begannen sie, die Trümmer wegzuräumen. Die Kleinstadt war in den folgenden Tagen voller Handwerker und Helfer aus dem ganzen Bundesgebiet. Eine Welle der Hilfsbereitschaft und Tausende Euro Spenden erreichten die Menschen in Bützow. So konnten die meisten Gebäude schnell repariert werden und schon weniger als zwei Jahre nach dem Tornado waren die meisten Schäden beseitigt.
Tornado als Investitionsbeschleuniger für Bützow
Und heute?! Nach zehn Jahren? Die Bützower sind sich einig, dass die Stadt besser aussieht als vor dem Tornado. In der Innenstadt sind alle Dächer neu eingedeckt. Eine kleine Parkanlage ist entstanden und der Platz vor dem Schloss ist nach der Zerstörung komplett neugestaltet worden. Der Tornado war ein Investitionsbeschleuniger für Bützow, sagt der parteilose Bürgermeister Christian Grüschow und der Sturm habe ihm etwas über die Bewohner Bützows verraten: "Wenn es hart auf hart kommt, dann stehen wir zusammen als Stadtgesellschaft."


Ein Straßenzug in Bützow: Einmal kurz nach dem Tornado 2015 und einmal 2020 nach dem Wiederaufbau. >>> Zum Hin- und Herschieben verwenden Sie den Regler. <<<
Die Bützower haben den zehnten Jahrestag des Tornados mit einem Gottesdienst begangen. Mitte Mai wird eine Ausstellung mit Fotos, Berichten und Videos in der Stadtbibliothek eröffnet.
Ich konnte damals übrigens meinen Sohn im Kindergarten abgeben, das Gebäude hatte fast nichts abbekommen. Der Kleinere ist heute gerade zehn Jahre alt geworden. Anders als wir Erwachsenen haben die Kinder natürlich keine Erinnerung an den furchtbaren Tornado. Die wenigen Minuten, in denen viele Bützower um ihr Leben fürchteten.
