Blick in den Lochersaal der sogenannten Verkehrssünderkartei des Kraftfahrt-Bundesamtes in Flensburg 1966. Hier stehen 150 Loch- und Prüfmaschinen, mit denen die Daten der Statistik und aus den Erfassungskarteien in Lochkarten übertragen werden. © picture alliance / Hans-J. Höhne Foto: Hans-J. Höhne

Die Punkte-Sammler aus Flensburg

Stand: 09.02.2024 14:00 Uhr

Seit dem 5. Mai 1952 hat das 1951 gegründete Kraftfahrt-Bundesamt seinen Sitz in Flensburg. Seit 1958 erfasst die Behörde Vergehen im Straßenverkehr in der "Verkehrssünderkartei". Das Punktesystem wurde zum 1. Mai 1974 eingeführt.

Während der Fahrt eine SMS ins Handy tippen, bei Rot über die Ampel fahren oder mit 80 Kilometern pro Stunde durch die Tempo-30-Zone rasen: Wer bei diesen Vergehen im Straßenverkehr von der Polizei erwischt wird, muss mit Punkten in Flensburg rechnen. Die notiert das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) im sogenannten Fahreignungsregister, bis zur Reformation im Jahr 2014 auch Verkehrszentralregister (VZR) genannt. Am 2. Januar 1958 ging die sogenannte Verkehrssünderkartei an den Start. Der Grund: Der Autoverkehr hatte rasant zugenommen, die Zahl der schweren Unfälle auch. Doch die Erfassung von "Verkehrssündern" ist weder die einzige noch die erste Aufgabe des KBA.

KBA-Geschichte weist zurück bis ins Jahr 1910

Palais Kaiser Wilhelms I. in Berlin, Unter den Linden, Postkarten-Motiv von 1910. © picture-alliance / akg-images | akg-images
Berlin 1910: Das Automobil löst langsam die Pferde-Droschke ab.

Die Geschichte um das legendäre Register beginnt eigentlich schon Anfang des vergangenen Jahrhunderts. 1910 gibt es bereits eine sogenannte Sammelstelle für Nachrichten über Führer von Kraftfahrzeugen. Sie liegt damals beim Berliner Polizeipräsidium, registriert jede Person, die ein Fahrzeug besitzt und wird 1934 um eine weitere Stelle erweitert, die alle zugelassenen Kraftfahrzeuge registriert. 1937 kommt noch eine weitere Stelle dazu, die einheitliche Sicherheitsstandards für Fahrzeuge aus Serienproduktion und ebensolche Fahrzeugteile umsetzt.

Gründung des KBA - und Umzug nach Flensburg

Jahrzehnte später, am 4. August 1951, werden mit der Gründung des KBA alle drei Aufgaben an einer Stelle zusammengeführt. Die Sammelstellen für die Informationen über Fahrzeuge und deren Führer waren nach Ende des Zweiten Weltkriegs von den Alliierten nach Bielefeld verlegt worden, so nimmt die neue Behörde ihre Arbeit zunächst dort auf. Am 5. Mai schließlich folgt der Umzug nach Flensburg-Mürwik.

Mehr Autos - und mehr Verkehrstote

Ein Mitarbeiter des Kraftfahrtbundesamtes in Flensburg-Mürwik steht an einem Register, in dem "Verkehrssünder" in Stichworten vermerkt sind (Archivfoto von 1958). © dpa
Zu Beginn aufwendige Handarbeit: Ein Mitarbeiter des Kraftfahrtbundesamtes in Flensburg-Mürwik steht 1958 an einem Register, in dem "Verkehrssünder" in Stichworten vermerkt sind.

Neben dem reinen Sammeln von Informationen über zugelassene Fahrzeuge und deren Halter wachsen die Aufgaben der Behörde zunehmend in Richtung Überprüfung und Überwachung. Denn in puncto Sicherheit drängt sich ein Problem in den Fokus: Da es der jungen Bundesrepublik in den 50er-Jahren immer besser geht, können sich mehr und mehr Menschen im Wirtschaftswunderland ein eigenes Auto leisten. Gegen Ende des Jahrzehnts sind schon sieben Millionen Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs. In dieser Zeit gibt es aber auch bereits rund 12.000 Verkehrstote.

Die Politik reagiert: Ein neu zu schaffendes Organ soll Verkehrsverstöße dokumentieren und verwalten - in der Hoffnung, dass die Zahl der Unfalltoten wieder sinkt.

"Die Vermehrung der Kraftfahrzeuge aller Art hat zu einer Spannung zwischen den Verkehrswegen und den Verkehrsmitteln im Straßenverkehr geführt, wie wir sie bei den anderen Verkehrsarten niemals haben feststellen können."

Der damalige Bundesminister für Verkehr, Hans-Christoph Seebohm, beschließt per Gesetz, das Verkehrszentralregister (VZR) einzurichten - später wird es umgangssprachlich als "Verkehrssünderkartei" bekannt sein. Die entsprechende Verordnung stammt vom 25. Juli 1957. Am 2. Januar 1958 geht das vom KBA geführte Register in Betrieb. Dort sammeln sich in den nächsten Jahren größere Vorfälle wie Fahrerlaubnisentzug oder Fahrverbote in personenbezogenen Akten.

Punktesystem nach 20.000 Verkehrstoten im Jahr

Beamte des Kraftfahrt-Bundesamtes in Flensburg im Dezember 1968 beim Vernichten von Verurteilungsakten. Etwa 650.000 Kraftfahrer in der Bundesrepublik können damals aufatmen, denn ihr Name wurde mit Ablauf des Jahres 1968 in den Zentralregistern desKBA gelöscht und kamen in den Reißwolf. Insgesamt wurden 1968 über eine Million Mitteilungen dieser Verurteilung von Kraftfahrern im Strassenverkehr getilgt. Die Tilgungsfristen betrugen zwischen zwei und zehn Jahren. © picture alliance / dpa Foto: dpa
Ende der 60er landen Einträge in den KBA-Zentralegistern noch jährlich im Reißwolf.

Das Punktesystem gibt es anfangs noch nicht. Es wird zum 1. Mai 1974 eingeführt, nachdem das Statistische Bundesamt Anfang der 1970er-Jahre einen Rekordwert von rund 20.000 Verkehrstoten jährlich beklagt hatte. Damals waren 20,8 Millionen Fahrzeuge auf deutschen Straßen unterwegs. Statistisch gesehen kamen jährlich 101 Tote auf 100.000 Fahrzeuge.

Zum Vergleich: 3.046 Verkehrstote verzeichneten die Behörden für das Jahr 2019. Im Jahr 2020 lag die Zahl der Verkehrstoten - vermutlich auch bedingt durch die Corona-Pandemie - deutlich niedriger bei 2.719, 2021 bei 2.569. Bei heutzutage rund 59 Millionen in Deutschland zugelassenen Kfz sind das jährlich "nur" noch knapp fünf Tote auf 100.000 Fahrzeuge. Aus Sicht des KBA haben auch die Flensburger Punkte zu den sinkenden Zahlen beigetragen.

Zahl der tödlichen Unfälle macht Reform des Registers nötig

Anfangs ist das VZR noch in einem alten Flensburger Hafengebäude untergebracht. 70 bis 80 Beschäftigte führen die Karteien der Verkehrsteilnehmer, notieren alles in Akten, die in Regalen und Drehständern lagern. Bis Ende des Jahres sind bereits 810.000 Personen im Register eingetragen.

Von der "Sünderkartei" zum Fahreignungsregister

Doch die Zahl der Unfälle auf den Straßen bundesweit nimmt nicht ab - im Gegenteil. Anfang der 70er-Jahre steigt die Zahl der Verkehrstoten auf rund 20.000 pro Jahr. Als Konsequenz wird die "Sünderkartei" 1976 erstmals reformiert - das Punktesystem ist geboren. Ab da gilt: Für Verkehrsdelikte gibt es Punkte, ab 18 ist das Konto voll. Dann müssen Wiederholungstäter in einer Prüfung ihre Fahreignung beweisen. 2014 folgt die zweite Reform: Nun heißt die Kartei offiziell Fahreignungsregister. Die einzelnen Delikte werden neu bewertet - und den Führerschein ist man nun bereits mit acht Punkten los.

Wiedervereinigung 1990: KBA-Zuständigkeit wird erweitert

In der Zwischenzeit ist die Zahl der registrierten Verkehrsteilnehmer sprunghaft angestiegen: Mit der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 erweitert sich der Zuständigkeitsbereich des KBA auf das Gebiet der ehemaligen DDR. Das Kraftsfahrzeugtechnische Amt der DDR (KTA) in Dresden, das zuvor unter anderem dafür zuständig war, die Einhaltung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung zu überprüfen, wird zur Außenstelle des KBA. Ein kleinerer Teil der Mitarbeiter wird dabei übernommen. Bis Anfang 1994 dauert es, bis alle knapp acht Millionen zugelassenen Fahrzeuge mit DDR-Kennzeichen - davon rund 3,7 Millionen Pkw - vom Kraftfahrt-Bundesamt erfasst sind.

Punkte in Flensburg länger "frisch"

Eingang des Hauptsitzes des Kraftfahrt-Bundesamtes in Flensburg. © dpa Foto: Carsten Rehder
Mittlerweile hat das KBA seinen Sitz in der Fördestraße und beschäftigt mehr als 1.000 Mitarbeitende.

Mittlerweile ist das KBA in seinem Dienstgebäude an der Flensburger Fördestraße zu Hause. Bei mehr als 57 Millionen Menschen mit Pkw-Führerschein in Deutschland (Stand 2021) ist etwa jeder Fünfte in der "Verkehrssünderkartei erfasst". Das sind so viele wie noch nie - und das liegt an der zweiten Reform: Heutzutage bleiben die Punkte länger "frisch" - das bedeutet, sie brauchen länger zum Verfallen. Während sie früher nach einer "Bewährungszeit" von zwei Jahren standardmäßig wieder weg waren, können sie heute bis zu fünf Jahre stehen bleiben.

Raserei und Männer führen die Statistiken an

Auf Platz eins der Verstöße ist seit langen Jahren zu schnelles Fahren, gefolgt vom Handy am Steuer sowie Drogen- und Alkoholverstößen. Ebenfalls relativ konstant zeigt sich dabei der Unterschied, wer am Steuer sitzt: Laut KBA waren 2021 rund 8,3 Millionen Männer im Fahreignungsregister eingetragen - gegenüber 2,6 Millionen Frauen im gleichen Zeitraum. Die unterschiedliche Verteilung von Fahrerlaubnissen - 85 Prozent der Männer und 79 Prozent der Frauen in Deutschland hatten 2021 einen Führerschein - dürfte bei dieser Differenz kaum eine Rolle spielen. Den Punktezählern in Flensburg wird die Arbeit wohl nicht so schnell ausgehen.

Und auch die weiteren Aufgaben der Behörde werden bei nach wie vor steigender Individualmobilität und vielerlei technischen Innovationen im Autoverkehr nicht weniger: Neben dem Verwalten zum Beispiel des Führerscheinregisters erteilt etwa die technische Abteilung des KBA pro Jahr mehrere Tausend Typgenehmigungen für Fahrzeuge und -teile nach nationalem und europäischem Recht, wobei sie auch die Einhaltung ihrer Genehmigungen überwacht. 

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Unsere Geschichte | 16.10.2021 | 12:00 Uhr

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