Foto von Volker Handloik, Journalist © Screenshot

Volker Handloik: Ein Tod im Afghanistan-Krieg

Stand: 25.01.2022 15:30 Uhr

Der Rostocker Volker Handloik wurde am 11. November 2001 in Afghanistan erschossen. Er war damals als Kriegsberichterstatter für den "Stern" unterwegs. Vorausgegangen war ein Leben, das vom VEB Fischfang Rostock rund um den Globus führte.

von Benjamin Unger

Dass der Rostocker Volker Handloik kein gewöhnlicher Jugendlicher in der DDR ist, sieht man sofort: Auf Fotos aus den 70er- und 80er-Jahren fallen seine lockige Mähne und sein eindringlicher Blick auf. Auffällig war er - und das passte den DDR-Oberen gar nicht: Ihm wird das Abitur verwehrt. Und so verpackt er erstmal Dosen im VEB-Fischfang und macht dann bei der "Ostsee-Zeitung" in Rostock eine Lehre zum Offset-Drucker.

"Volker wollte gar nicht rüber in den Westen"

Foto von einem jungen Mann mit langen Haaren.
Handloik als Jugendlicher in der DDR - lockige Mähne und eindringlicher Blick.

Später zieht es ihn nach Berlin, in den Prenzlauer Berg, wo er den Mauerfall erlebt. "Volker wollte gar nicht rüber in den Westen", erzählt seine damalige Freundin Susanne Schleyer. "Jahrelang wurde er vom DDR-System gegängelt und jetzt fällt die Mauer, er kann einfach rüber spazieren und dann sagt er: Nein. Das war irgendwie alles zu viel für ihn."

Mit Fernweh und Reiselust im Kopf

Doch kurz danach scheint sich dann ein Ventil bei ihm zu öffnen: Sein ganzes Leben eingeengt in der DDR, immer mit Fernweh und Reiselust im Kopf - und jetzt darf er überall hin. Er bereist die Welt und will das zum Beruf machen: In Hamburg marschiert er mit Chuzpe und Charme einfach so ohne Anmeldung oder Bewerbung in die großen Redaktionen und will Reisereporter werden - als Quereinsteiger. Ein ungewöhnlicher Schritt, denn in die Medien führen damals vor allem Kontakte und Ausbildungen an traditionellen Journalistenschulen.

Immer bestens und präzise vorbereitet

Doch ihm gelingt es, seine einnehmende Art verfängt. Er bekommt eine Chance und überzeugt mit einem genauen, eigenwilligen und klugen Schreibstil. Fortan schreibt er für die besten Magazine im Land: "Geo", "Mare", "Stern", "Spiegel". Immer mit einem besonderen Zugang zu den Menschen, immer bestens und präzise vorbereitet: Wochenlang bereitet er sich auf seine Reisen vor und recherchiert intensiv in Bibliotheken. 1995 erhält er dann die größte Anerkennung: Er wird für den renommierten Kisch-Preis nominiert.

"Volki, der macht das schon"

Mehr und mehr berichtet er auch aus Krisengebieten: Ihn reizt das Abenteuer. "Volker Handloik hat keine Frontberichte geschrieben, Säbelrasseln und Panzer interessierten ihn nicht. Er hat immer besonders Stücke über die betroffenen Menschen geliefert, über die Auswirkungen von Krieg und Gewalt auf die ganz normale Bevölkerung", erzählt der ehemalige Auslandschef vom "Stern", Peter Meroth. Handloik ist oft umgeben von Tod und Krieg, aber seine Freunde machen sich wenig Sorgen um ihn: "Irgendwie war da immer das Gefühl: Volki, der macht das schon". Und in der Tat passiert ihm nichts, auch 1995 in Tschetschenien nicht, als ganz in seiner Nähe eine Autobombe in Grosny detoniert. Dann aber, im Jahr 2001, kommt es in Afghanistan zu einer tragischen Nacht.

Besichtigungstour mit anderen Journalisten wird Handloik zum Verhängnis

"Am 11. November ist Volker noch mit anderen JournalistInnen zu einer kleinen Besichtigungstour aufgebrochen", erzählt Peter Meroth vom "Stern". "Es schien absolut ungefährlich, denn sie wollten verlassene Stellungen der Taliban anschauen". Auch Levon Sevunts ist dabei, ein kanadischer Journalist: "Wir saßen auf einem Panzer oben drauf. Das war damals so üblich: Es war im Panzer extrem heiß und staubig, außerdem hatten wir Angst vor Mienen und da ist man dann auf einem Panzer fast sicherer als drinnen. Volker saß direkt neben mir oben auf dem Panzer."

Erschossen oder vom Panzer überrollt

Die Ausfahrt beginnt in dunkler Nacht, ein Strahler vorne am Panzer beleuchtet den Weg. "Wie aus dem Nichts sah ich dann plötzlich Mündungsfeuer und wir wurden mit mindestens fünf Sturmgewehren beschossen", erzählt Levon Sevunts. "Ich hörte die Schüsse direkt an mir vorbeifliegen, wurde zum Glück nicht getroffen". Volker Handloik ist es offenbar zu gefährlich auf dem Panzer, er springt ab. "Es ist unklar, wie er genau gestorben ist", erzählt "Stern"-Redakteur Peter Meroth, "er wurde offenbar erschossen oder vom Panzer überrollt, als der versucht hat zu wenden und dem Hinterhalt zu entfliehen."

Ein atemberaubendes Leben

Zeitungsartikel mit Foto von einem Sarg
Dass Volker Handloik auf seinen Reisen etwas zustößt, schien undenkbar - und doch starb er auf Reporter-Reise in Afghanistan.

Seine Freunde und Beobachter sind sich sicher, dass sein Tod nicht die Folge von Abenteuerlust eines Kriegsreporters war: "Da war kein Risiko, das war eine eigentlich sichere Ausfahrt", erzählt seine Freundin Susanne Schleyer. Sie kümmert sich heute um einen Teil des Nachlasses von Volker Handloik. "Irgendwie hatte Volker ein atemberaubendes Leben: Gegängelt in der DDR und dann nach der Wende ein Aufbruch in die Welt, der unfassbar spannend war."

Drei Wochen nach dem tödlichen Vorfall in Afghanistan wird Volker Handloik beerdigt. Dort, wo er schon zu seiner Zeit beim VEB Fischfang Rostock immer unterwegs war: auf der Ostsee.

 

Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 23.01.2022 | 19:30 Uhr

Mehr Geschichte

Das Passagierschiff "Cap Arcona" © Carl Müller & Sohn, Hamburg-Altona / Stadtarchiv Neustadt

#everynamecounts: Infos zu "Cap Arcona"-Überlebenden digitalisieren

Freiwillige sind aufgerufen, Infos einer historischen Kartei zu digitalisieren. Beim Untergang der "Cap Arcona" und der "Thielbek" starben 1945 rund 7.000 Menschen. mehr

Norddeutsche Geschichte