VIDEO: Die große Gier: Bekenntnisse des Millionenbetrügers Harksen (2010) (6 Min)

Jürgen Harksen: Der Hamburger Millionenbetrüger ist tot

Stand: 27.03.2024 09:21 Uhr

Zwei Jahrzehnte lang prellt Jürgen Harksen Anleger um Millionen. Nach seiner Auslieferung aus Südafrika beginnt 2003 in Hamburg der Prozess. Das Urteil lautet: sechs Jahre und neun Monate Freiheitsstrafe. Am 19. März 2024 stirbt er auf Mallorca.

von Stefanie Grossmann

Ende der 1980er-Jahre narrt ein Hochstapler Hamburgs Hautevolee: Jürgen Harksen verkauft Geldanlagen und verspricht "Faktor 13", exorbitante Renditen von bis zu 1.300 Prozent. Nicht nur Kleinanleger lockt er mit seinen Versprechen an. Auch Prominente wie Udo Lindenberg und Dieter Bohlen legen bei Harksen ihr Geld an. Ebenso der Baulöwe Siegfried Greve. Viele der Anleger verlieren Millionen mit den Phantom-Geschäften in Skandinavien. Als die Blase platzt, flieht Harksen 1993 mit seiner Familie nach Südafrika - und führt dort seine Geschäfte weiter. 2002 wird er nach Deutschland ausgeliefert. Am 11. April 2003 verurteilt ihn das Landgericht Hamburg wegen Betrugs in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten. Es ist die Geschichte eines modernen Lügen-Märchens.

Start in ein Leben mit Handicaps

Jürgen Harksen kommt am 30. Dezember 1960 als drittes Kind eines Flensburger Vertreters und einer dänischen Friseurmeisterin zur Welt. Er hat zwei ältere Brüder und eine jüngere Schwester. Der schielende Junge durchlebt keine leichte Kindheit: Sein Vater ist schwerer Alkoholiker, seine Mutter schizophren. Harksen selbst leidet an einer schweren Rechtschreib-Schwäche und besucht zunächst eine Sonderschule, schafft dann aber doch den Realschulabschluss. Von 1976 an lebt Harksen im dänischen Odense und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs als Gerichtsvollzieher-Gehilfe und Kellner durch. Er lernt die Medizinstudentin Jeanette kennen und heiratet sie.

Schneeballsystem: Das Geld der Reichen für die Kleinanleger

Jürgen Harksen, Aufnahme aus dem Jahr 1995 © dpa-Bildfunk
Vom Geld anderer Leute lebte Jürgen Harksen - hier auf einer Aufnahme von 1995 - ein Hochglanz-Leben.

Als er 26 Jahre alt ist, zieht er mit seiner Frau nach Hamburg. Harksen will etwas aus seinem Leben machen - er, der keine Ausbildung hat, habe "verkaufen" wollen und sich das selber beigebracht, schreibt später die "taz". In der Hansestadt beginnt Harksen als Geldanleger zu arbeiten. Zunächst mit dem Geld seiner Frau und ihren Freunden. Ahnung von Mathematik und Finanzen hat er nicht. Aber er ist raffiniert. Harksen ködert Kunden mit gigantischen Renditen von bis zu 1.300 Prozent - und investiert deren Beteiligungen in angebliche Transaktionen, Aktiengeschäfte und Firmenübernahmen in Skandinavien.

Auch wohlhabende Hamburger werden auf Harksen aufmerksam. Nach einem Schneeballsystem zahlt er Kleinanlegern ihre Gewinne aus - und dafür braucht er das Geld der Reichen. Doch Harksen ist keiner, der seine Anleger mit Hochglanzbroschüren oder Bilanzen gewinnt. Er lockt sie mit seiner Firma "Nordanalyse" und seinem ausschweifenden Lebensstil an. "Ein grünes Dokument mit vielen Schreibfehlern drin, aber mit vielen Stempeln drauf" habe den Investoren als Sicherheit genügt, so der "Spiegel".

Angeblicher Ölfund in Norwegen soll Milliarden bringen

1987 legt Harksen den "Scan 1000" auf. Er berichtet von einem angeblich riesigen Ölfund an einem norwegischen Fjord. Für den Erwerb der Schürfrechte brauche er Millionen - und so bittet er seine Anleger, "reichlich Geld einzuzahlen". Dann behauptet er, die Rechte gewinnbringend an den norwegischen Staat verkauft zu haben. Doch bis 1993 zahlt Harksen nicht eine Mark Gewinn aus. Immer wieder findet er Gründe, die das angeblich verhindern. Und gibt vor, die milliardenschweren Gewinne würden von den Skandinaviern blockiert.

Harksen gaukelt Glanz und Glamour vor

Harksen besitzt zweifelsohne Verkaufstalent - und überzeugt mit seiner schillernden Persönlichkeit und seinem einnehmenden Wesen. Er selbst gibt sich gerne als schräger Vogel, trägt ein rotes Sakko zum gelben Hemd, sorgt aber gleichzeitig für einen seriösen Anstrich, indem er sich stets mit glaubwürdigen Figuren umgibt. Da sind zum einen der Wirtschaftsprüfer Dirk H. und andere Finanzberater und Juristen. Manchmal sind es aber auch einfach nur "Schauspieler" im dunklen Anzug. Den Kunden gefällt es, sie stehen Schlange vor seinem Büro.

Harksen packt das Geld in seinen Safe. Mit dem Geld seiner reichen Anleger lebt er in einer Villa in Hamburg-Poppenbüttel in Saus und Braus - mit Ferrari, einer Jacht und einem Learjet, Champagner und Partys. "Verbale Betäubungsspritzen" nennt er diese Partys in seinem Haus. Der schöne Schein soll vortäuschen, dass alles bestens läuft, erläutert Harksen 2010 in der NDR Sendung Panorama. Harksen lebt einen Lifestyle vor, nach dem sich die meisten seiner Kunden sehnen dürften - ein Leben im grenzenlosen Luxus.

Auch Udo Lindenberg und Dieter Bohlen investieren

Und Harksen inszeniert sich geschickt: Er hält Kundenversammlungen ab, auf denen sich die betuchten und als geizig geltenden Hamburger treffen. Das schafft gegenseitiges Vertrauen. Lust auf Geld und Ansehen lockt auch Stars in Harksens Dunstkreis. Udo Lindenberg legt damals 100.000 D-Mark an, bekommt aber über Nacht ein komisches Bauchgefühl und erhält schließlich sein Geld zurück. Auch Dieter Bohlen ist beeindruckt von Harksen. Das zeigt eine Aussage aus einem Hörbuch des prominenten Sängers, auf die sich Panorama bezieht: "Wenn wir mit Blue System ein Konzert im Kreml hatten, dann mietete Harksen mal eben eine Boeing mit 300 Plätzen. 'Komm', meinte er, 'ich flieg euch da mal alle rüber'", zitiert das Polit-Magazin des NDR den Musiker. Bohlen investiert drei Millionen D-Mark. Die Macht des Geldes sei stärker gewesen als die der Vernunft, so Harksen über den studierten Kaufmann, Sänger und Musikproduzenten.

Harksen prellt Hamburger Juweliere und Bauherren

Später gibt Harksen an, Bohlen das Geld nebst einer Abfindung von 600.000 Mark zurückgegeben zu haben. Bohlen stellt nie einen Strafantrag gegen Harksen. Doch: Vor Wut habe der Pop-Millionär in Harksens Büro in seinen Metallkoffer gebissen, als die Investment-Blase platzte, zitiert der "Spiegel" Harksen.

Mit falschen Ölquellen und nicht existenten Immobilien prellt Harksen außerdem Juweliere, Anwälte und Bauherren, darunter etwa den Bauunternehmer Siegfried Greve und das Juwelier-Ehepaar Hülse-Reutter.

Harksen provoziert - aber keiner fragt nach

Niemand will damals glauben, dass das Millionen-Märchen nicht wahr sein könnte: Die Kunden werfen Harksen das Geld nur so hinterher. Das Virus Gier habe sie blind, taub, unvernünftig und hörig gemacht. "Sie blockiert jede Vernunft", sagt Harksen Panorama gegenüber über seine Kunden. Selbst als er sich Fantasie-Worte ohne jede Bedeutung wie "epibrieren" ausdenkt, beginnt niemand zu zweifeln. Harksen will wissen, wie schlau seine Kunden sind. Schließlich haben sie die meisten von ihnen - anders als er - studiert. "Kann ich sie mit dem Wort 'epibrieren' entlarven?", fragt er sich. Und tatsächlich: Keiner kommt auf die Idee, nachzufragen.

Flucht nach Südafrika und Hinhalte-Taktik

Journalisten verfolgen am 2. März 1995 im Saal eines Hamburger Hotels auf einer Videowand die Satellitenkonferenz mit Jürgen Harksen, der sich zur Zeit im südafrikanischen Kapstadt befindet. © picture-alliance / dpa Foto: Markus Beck
Eine "Ehrenerklärung" zur Beruhigung der Anleger: Per Video-Schalte versichert Jürgen Harksen 1995 die Existenz seiner Investments.

Nach ihrem Geld fragen die Anleger dann allerdings schon. Lange Zeit kann Harksen sie mit immer neuen Versprechen hinhalten. Einlösen kann er sie nicht. 1993 flieht er mit seiner Frau und zwei Söhnen nach Südafrika, um sich den Gläubigern zu entziehen und einer bevorstehenden Verhaftung zu entgehen. In einem noblen Vorort von Kapstadt bezieht die Familie eine Villa mit künstlichem Wasserfall. Harksen führt sein Luxusleben dort weiter - und auch seine Geschäfte. Schließlich braucht er Geld, um seinen Standard zu halten. Von Kapstadt aus lässt er sich 1995 zu einer Pressekonferenz nach Hamburg ins Hotel "Atlantic" zuschalten. Er verliest eine "Ehrenerklärung", erklärt, dass es die Investments der "Nordanalyse" gibt - mit einem Wert von über einer Milliarde D-Mark. Trotz vieler Ungereimtheiten: Wieder glauben ihm seine Anleger. Sie hätten es wohl nicht wahrhaben, sich selbst nicht entlarven wollen, sagt Harksen Panorama gegenüber.

Das Spiel ums große Geld geht weiter: Unter dem Firmennamen "South Analysis" akquiriert Harksen von Kapstadt aus potenzielle neue Anleger. Die Methode bleibt die gleiche. Die alten vertröstet er, lädt sie ein und feiert mit ihnen aufwendige Feste. Seriöse Anlageberater und Finanzprüfer sorgen dabei für den schönen Schein. Wieder und wieder verspricht Harksen: In Kürze würde eine große Summe Geld zur Verfügung stehen.

Auslieferung von Südafrika nach Deutschland

Der wegen Millionenbetrugs angeklagte deutsche Finanzjongleur Jürgen Harksen (r) steigt am 30.10.2002 auf dem Flughafen in Kapstadt aus einem Polizeiauto, um ein Flugzeug nach Johannesburg zu besteigen. © picture-alliance / dpa | epa afp
Ende eines juristischen Tauziehens: Am 30. Oktober 2002 wird Jürgen Harksen nach Deutschland ausgeliefert.

Doch der Druck auf ihn wächst. Neun Jahre dauert das Katz-und-Maus-Spiel mit juristischen Schachzügen in Südafrika. Da es kein Auslieferungsabkommen zwischen beiden Ländern gibt, ist das Verfahren langwierig. Am 30. Oktober 2002 schließlich wird Harksen nach Deutschland ausgeliefert. Der ursprüngliche Betrugsvorwurf in 218 Fällen an 62 Anlegern mit einem Schaden von über 64 Millionen Mark wird allerdings fallen gelassen - eine Bedingung der Auslieferung. Die meisten Verfahren werden - zum großen Ärger der geprellten Anleger - eingestellt. Stattdessen steht der Hochstapler ab dem 28. Februar 2003 wegen gewerbsmäßigen Betruges in nur drei Fällen vor dem Hamburger Landgericht. Wegen Beihilfe mit auf der Anklagebank: Harksens Frau Jeanette und sein Wirtschaftsprüfer Dirk H..

"Die Vernunft ist auf der Strecke geblieben"

Der mutmaßliche Millionen- Betrüger Jürgen Harksen (r) mit seiner Anwältin Leonore Gottschalk-Solger am 5. März 2003 im Hamburger Landgericht. © picture-alliance / dpa Foto: Chr. Augustin
Jürgen Harksen, hier mit seiner Anwältin Leonore Gottschalk-Solger, wird zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. Er wird keinen Tag eher entlassen.

Die Beweisaufnahme der Anklage besteht aus 90 Ordnern. Die Staatsanwaltschaft fordert sechs Jahre Haft. Harksen zeigt sich reumütig vor Gericht. Doch mit dem Urteil vom 11. April 2003 geht das Gericht noch über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus: Harksen muss für sechseinhalb Jahre ins Gefängnis. Die Richter unter dem Vorsitz von Ernst-Rainer Schudt sehen als erwiesen an, dass er drei Anleger in 52 Fällen um insgesamt 28,4 Millionen D-Mark betrogen hat. Harksens Frau Jeanette kommt wegen Beihilfe zum Betrug mit zwei Jahren auf Bewährung davon. "Bei ihren Betrügereien ist bei allen Beteiligten irgendwo die Vernunft auf der Strecke geblieben, vielleicht auf einer der großen Partys auf Ibiza", zitiert der "Spiegel" Schudt. Harksens betrügerische Hochstapeleien und seine Sucht nach Luxus hätten "märchenhafte Züge" gehabt, so der Richter in der Urteilsbegründung.

Harksen landet auf dem Boden der Realität

Harksen hat seine Anleger eingewickelt - und die haben sich einwickeln lassen: Seine Geschichte schafft es sogar ins Fernsehen. 2010 verfilmt Dieter Wedel in "Gier" das Leben des Hochstaplers. Ulrich Tukur spielt die Rolle des Betrügers, der den Reichen den Spiegel vorhält. Anfangs habe er über den Film gelacht, so Harksen in der Sendung Panorama, aber am Schluss sei er nachdenklich gewesen. "War ich wirklich so?"

2015 steht er in Hamburg noch einmal wegen Betrugs vor Gericht. Er hatte einem Bekannten versprochen, ein Adoptivkind für 120.000 Euro zu vermitteln. Harksen zahlt das Geld zurück. Inzwischen lebt er mit seiner zweiten Frau unter ihrem Namen als Weinhändler auf Mallorca - in bescheidenen Verhältnissen, wie er selbst sagt.

Am 19. März 2024 stirbt Jürgen Harksen mit 63 Jahren auf Mallorca.

Weitere Informationen
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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 21.01.2010 | 21:45 Uhr

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