Der Holocaust-Überlebende Ivar Buterfas-Frankenthal im September 2021 in seinem Haus. © picture alliance / dpa Foto: Philipp Schulze

Ivar Buterfas-Frankenthal: "Dachte, wir hätten es überwunden"

Stand: 17.11.2023 10:00 Uhr

Ivar Buterfas-Frankenthal hat den Holocaust überlebt. Immer wieder bricht der gebürtige Hamburger auf, um an die Grauen der NS-Herrschaft zu erinnern. Die aktuelle Lage aufgrund des Gaza-Kriegs bereitet ihm Sorge.

von Björn Ahrend

Es ist diese Erinnerung, die den heute 90-jährigen Ivar Buterfas-Frankenthal seit mehr als 80 Jahren verfolgt: der kleine Ivar, von halbwüchsigen Hitlerjungen umringt. Sie stellen ihn auf ein Eisengitter, zünden Papier an, wollen ihn verbrennen. Nur knapp entkommt der Hamburger Junge einer christlichen Mutter und eines jüdischen Vaters seinen Peinigern.

Jahrzehnte später lässt ihn dieses Erlebnis zum Mahner werden. Gegen Unmenschlichkeit und gegen das Vergessen. "Ich bin durch die Hölle gegangen", sagt er rückblickend. "Ich konnte keine Nacht mehr schlafen. Mich holte mit einer solchen Geschwindigkeit die ganze Vergangenheit ein, die Verfolgung, der Hass. Und dann hab ich zu meiner Frau gesagt: Ich muss was tun. Ich muss mich befreien, sonst muss ich mir das Leben nehmen. Ich komm nicht mehr klar."

Mutter und Kinder entgehen nur knapp der Deportation

Der Holocaust-Überlebende Ivar Buterfas-Frankenthal im September 2021 in seinem Garten. © picture alliance / dpa Foto: Philipp Schulze
Mit seinen persönlichen Erinnerungen vermittelt Buterfas-Frankenthal jungen Menschen ein Verständnis von Demokratie.

Seitdem widmet sich Buterfas-Frankenthal, der mittlerweile in Bendestorf im Norden Niedersachsens lebt, der Erinnerungsarbeit. Mit "Sunny Goj" und "Mut ist nicht Leichtsinn - Ich musste eine Lücke schließen" hat er zwei Bücher geschrieben, in denen er seine Lebensgeschichte erzählt. Er engagiert sich für Gedenkorte in Norddeutschland, wie etwa die Gedenkstätte am ehemaligen Straf- und Gefangenenlager Sandbostel.

Und er geht an Schulen. Mehr als 1.500 Mal hat er, dessen Vater im Konzentrationslager Esterwegen landete, Kindern und Jugendlichen seit den 80er-Jahren seine Lebensgeschichte erzählt. Wie er als kleiner Hamburger Butjer aus der Grundschule gejagt wird - keine sechs Wochen nach der Einschulung. Wie seine Mutter und ihre Kinder nur dank eines Tipps der Deportation entgeht. Und in Keller-Löchern ausharren, bis die Briten die Stadt besetzen.

"Da wird verdrängt. Und das ist falsch"

Eine Geschichte, die fassungslos macht. Auch, weil Kinder heutzutage in ihren Familien entweder keine oder nur ausweichende Antworten bekommen, glaubt der Buterfas-Frankenthal. "Dat is vorbiede Tied. Da wird verdrängt. Und das ist falsch. Und deswegen: Gebt unseren nachrückenden Generationen die Chance, dass sich so etwas nie wiederholt."

"Ich bin Deutscher, ich liebe dieses Land"

Offen und ehrlich sein, das sei der Schlüssel, sagt er. Auch wenn seine Geschichte viele Jugendliche zunächst einschüchtere. "Erstmal hören sie eine Stecknadel fallen. Und dann kommen die Fragen: 'Warum sind Sie in einem Land geblieben, das Ihnen so weh getan hat?'" Über die Antwort muss Buterfas-Frankenthal nicht lange nachdenken: "Ich bin Deutscher, ich liebe dieses Land." Es zu verlassen, habe für ihn immer außer Frage gestanden. "Wo hätte ich hingehen können? Wo hätte ich Wurzeln schlagen können? Nein! Das war für mich klar."

Sorge um Situation aufgrund des Gaza-Kriegs

Über die Lage in Deutschland infolge des Gaza-Kriegs im Jahr 2023 zeigt sich Buterfas-Frankenthal hingegen besorgt:  "Es ist sehr unruhig auf Deutschlands Straßen, unruhiger als 1934." Zu einer Gedenkveranstaltung in Bremen sei er von Polizisten empfangen worden, die seinem Schutz dienten. "Das ist etwas, was ich geglaubt habe, haben wir überwunden. Scheinbar nicht", gibt sich Buterfas-Frankenthal nachdenklich. Wie geht es ihm dabei? "Unbeschreiblich, unbeschreiblich. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie beschissen ich mich fühle. Entschuldigen Sie den Ausdruck", sagt er dem NDR.

Ivar Buterfas-Frankenthal steht in seinem Garten. © picture alliance/dpa | Philipp Schulze Foto: Philipp Schulze
AUDIO: Hamburger Holocaust-Überlebender: "Wir haben zu viel verdrängt" (4 Min)

Aber er ist sich sicher, nur durch Aufklärung könne verhindert werden, dass sich Geschichte wiederholt: "Ich gebe meine Erinnerung ja deswegen weiter, damit wir verhindern, was sich leider in Deutschland schon sehr stark intensiviert hat: ein Wiederaufleben von Antisemitismus in höchster Form." Es sei zu viel verdrängt worden.

Weitere Informationen
Ivar Büterfas Frankenthal im Interview. © Screenshot
2 Min

Gedenken an den Holocaust: Erinnerungen lebendig halten

Ivar Buterfas-Frankenthal hat den Holocaust überlebt. Seit 30 Jahren erzählt der 90-Jährige Schülern davon, was er durchgemacht hat. 2 Min

Davidstern auf Corona-Demos: "Widerwärtige Entgleisung"

Der jährliche Holocaust-Gedenktag erinnert ihn an die vielen Freunde und Zeitzeugen, die inzwischen gestorben sind. Dass er wegen der Corona-Pandemie rund zwei Jahre nicht mehr in Schulen gehen konnte, hat Buterfas-Frankenthal in der Zeit sehr geschmerzt.

Noch mehr regte es ihn jedoch auf, wenn Menschen auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen Armbinden tragen, auf denen ein Davidstern mit dem Schriftzug "Ungeimpft" prangt. "Ich hoffe, dass sie sehr bald mal mit ein paar drakonischen Strafen loslegen. Für solche wirklichen Entgleisungen. Ganz widerwärtige Entgleisungen. Aber ganz werden sie solche Dinge nie aus der Welt schaffen können, weder Antisemitismus noch Rassenhass", sagt er damals.

Ein Jugendlicher schenkte ihm das Bild seines Lebens

Für sein Engagement hat der 90-Jährige bereits 37 hohe internationale Orden und Preise erhalten, 2020 etwa das Verdienstkreuz Erster Klasse. Besonders in Ehren hält er jedoch eine Zeichnung, die ihm ein Jugendlicher vor einiger Zeit überreicht hat. "Er hat mich gemalt, mein Mund ist aufgerissen. Und über mir die Hakenkreuzfahne. Das ist so überwältigend und so beeindruckend. Wenn Sie so etwas bekommen, sind sie so was von entschädigt."

Es ist das Bild seines Lebens. Als Kind zwangen sie den kleinen Ivar in ihre Mitte, um ihn anzuzünden. Jetzt stellt sich Buterfas-Frankenthal selbst dahin - um zu berichten. Und das will er tun, so lange er lebt.

Weitere Informationen
Der Davidstern auf der Kuppel des Centrum Judaicum, in dem sich auch die Neue Synagoge Berlin und die Jüdische Gemeinde zu Berlin befindet, leuchtet vor blauem Himmel. © picture alliance Foto: Sebastian Gollnow
5 Min

Holocaust-Überlebender Buterfas-Frankenthal entsetzt über deutschen Antisemitismus

Ivar Buterfas-Frankenthal spricht viel mit jungen Menschen über seine Erfahrungen, auch jetzt über Anfeindungen in Deutschland. 5 Min

NDR Info Redezeit am 09.11.2023: Moderator Marius Zekri spricht mit Ivar Buterfas-Frankenthal (Holocaust-Überlebender), Historikerin Ulrike Jureit und Marie Zachger (Presenterin des TikTok-Kanals der KZ-Gedenkstätte Neuengamme). © Screenshot
86 Min

NDR Info Redezeit: Welche Rolle spielt die Erinnerungskultur?

Hörerinnen und Hörer haben in der NDR Info Redezeit zusammen mit Experten über moderne Erinnerungskultur diskutiert. Die komplette Sendung als Video-Mitschnitt. 86 Min

Nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee tragen Angehörige des Roten Kreuzes einen Jugendlichen aus dem Vernichtungslager. © picture alliance / akg-images | akg-images

Befreiung des KZ Auschwitz: Erinnern am Holocaust-Gedenktag

Am 27. Januar 1945 wurde das KZ befreit. Über eine Million Menschen starben dort. Seit 1996 wird am Tag der Befreiung der NS-Opfer gedacht. mehr

Holocaust-Übelebende Anita Lasker-Wallfisch (hier während einer Gedenkstunde des Bundestags an die Opfer des Nationalsozialismus am 31.01.2018)  Foto: Wolfgang Kumm

Anita Lasker-Wallfisch: Die Cellistin von Auschwitz

Ihr Cello rettet ihr im Konzentrationslager das Leben. Für ihren Einsatz gegen Hass und Antisemitismus wird sie mehrfach ausgezeichnet. mehr

Gedenkstein an die Opfer des Holocaust auf dem Jüdischen Friedhof in Rostock. © picture-alliance/ dpa/dpaweb Foto: Bernd Wüstneck

Holocaust: Der Völkermord der Nazis an den Juden

Mehr als sechs Millionen Juden wurden während der NS-Zeit ermordet. Daran erinnert jedes Jahr am 27. Januar ein Gedenktag. mehr

Ausgemergelte Männer liegen dicht an dicht in Holzkojen - Aufnahme von 1944 aus einer Gefangenen-Baracke in Auschwitz. © picture-alliance / Mary Evans Picture Library/WEIMA

Konzentrationslager:"Alltag" in der Hölle

Das Leben im KZ war ein Martyrium für die Gefangenen. Der Willkür der SS vollkommen ausgeliefert endete es oft mit dem Tod. mehr

Esther Bejarano © dpa Foto: Unger

Esther Bejarano - Das Erbe der Mahnerin gegen Antisemitismus

In der Nazi-Zeit hatte sie das KZ Auschwitz überlebt, weil sie im Orchester mitspielte. Am 10. Juli 2021 ist Esther Bejarano gestorben. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 27.01.2022 | 07:35 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

NS-Zeit

Hamburger Geschichte

Zweiter Weltkrieg

Mehr Geschichte

Polizisten verschanzen sich hinter einem Polizeiauto. Männer stehen vor einem Im-und Exportgeschäft. © Staatsarchiv Hamburg Plankammer (720-1_388_00_79877_18)

Vor 50 Jahren fiel in Hamburg der erste finale Rettungsschuss

Ein Bankräuber nimmt am 18. April 1974 in Hamburg mehrere Geiseln. Als er nach draußen kommt, erschießen Polizisten den Mann gezielt. mehr

Norddeutsche Geschichte