Ein Ausschnitt eines alten Hochzeitsfotos mit Julius Katz (Bildmitte). © Calluna-Verlag

Wie ein Dorf den Juden Julius Katz rettete

Stand: 13.04.2025 05:00 Uhr

Als die Nazis die Macht ergreifen, verliert der Jude Julius Katz aus Groß Oesingen seine Arbeit als Sattler. Doch er kommt durch, dank der Hilfe der Dorfbewohner. Dafür revanchiert er sich am 13. April 1945.

von Petra Neu

Der 2022 verstorbene Heiner Müller erinnert sich im Jahr 2015 noch gut an eines der ersten Treffen mit Julius Katz. Als Siebenjähriger lernt er den Juden kennen. Damals repariert Katz im Wohnzimmer der Familie Müller in Groß Oesingen (Landkreis Gifhorn) das Sofa, tauscht die Federn aus, verfüllt es mit Seegras. Der am 7. Januar 1885 geborene Katz ist Sattlermeister. Und die muss es in jedem Ort geben, um Pferdegeschirre und weitere Arbeiten, die durch Treibriemen verrichtet wurden, zu reparieren. "Er war im Ort ein sehr wichtiger Mann." Doch Katz sei nicht nur wichtig gewesen, sondern auch beliebt. Vorsitzender des Sportvereins, Leiter der Theatergruppe in Groß Oesingen. "Einer von uns", sagt Müller damals. Bis die Nazis an die Macht kommen und Katz seinem Beruf offiziell nicht mehr nachgehen darf, nur weil er Jude ist.

Bezahlung in Naturalien

Doch für die Menschen in Groß Oesingen ist das kein Grund, sie beschäftigten Sattlermeister Katz weiter: "Für unseren Betrieb, wir hatten auch Pferde, hat er ebenfalls gearbeitet", erzählt Müller 2015. "Und meine Mutter hat immer etwas für sie eingepackt." Es sei in Naturalien bezahlt worden, nur so habe auch die Familie Katz überleben können. Denn der jüdische Sattler und seine Frau kommen zum Ende des Krieges offiziell kaum noch an Lebensmittel. Denn diese sind rationiert. Katz bekommt ein Stück Butter aus der Molkerei, Brot vom Bäcker.

Warum helfen die Menschen Katz?

"Zwei Mal waren Gestapo-Leute da und wollten ihm das Haus wegnehmen", erinnert sich Jürgen Rohde 2015. Der Bürgermeister habe das verhindern können. Wie, das wisse Rohde nicht. Er hat ein Buch über die wundersame Geschichte des Juden Julius Katz geschrieben und viele Details recherchiert. Doch er findet keine Erklärung, warum die Menschen in dem kleinen Ort Katz in dieser schweren Zeit unterstützen. Was Rohde besonders wundert: Einen Lehrer, Mitglied der SPD, jagen die Groß Oesinger aus dem Dorf: "Und was völlig verrückt ist: Es sind dieselben Leute, die den Juden Katz geschützt haben."

Nach Befreiung hilft Katz den Bewohnern

Während der gesamten Nazi-Zeitmuss sich Katz nicht verstecken. Er trägt seinen gelben Juden-Stern nur selten, leistet keine Zwangsarbeit. Dann kommt der 13. April 1945. Hans-Heinrich Heine erinnert sich noch gut: Er wohnt damals schräg gegenüber vom Bürgermeisterhaus, ist ein Nachbar von Katz. Morgens um zehn Uhr befreien die Amerikaner Groß Oesingen. Sie kommen und suchen den damaligen Bürgermeister Ernst Cordes. "Dann haben wir denen das gezeigt. Und dann sind sie mit ihrem Jeep um die Ecke gefahren, mit ihren Maschinenpistolen in der Hand und rein", erzählt Heine 2015. Drei oder vier Minuten später sei Katz mit seiner Brieftasche unter dem Arm den Befreiern hinterhermarschiert. "Und unserem Bürgermeister ist nichts passiert."

"Persilschein" für den Bürgermeister

In der Folgezeit verhilft Katz nicht nur dem damaligen Bürgermeister Cordes zu einem sogenannten Persilschein. Er entlastet etwa den Polizisten, den Orts-Bauernführer und andere Groß Oesinger. Am 7. März 1957, zwölf Jahre nach Kriegsende, stirbt Katz. Auf dem Friedhof im Dorf steht heute ein Ehrenmal. Für den Zeitzeugen Heine ein wichtiges Denkmal: "Ich habe eine schöne Konfirmationskarte von Katz gekriegt. Darauf steht: 'Lass Deine Hände niemals ruhn, es gibt im Leben viel zu tun.'"

Die Urfassung dieses Beitrags wurde bereits 2015 veröffentlicht.

Weitere Informationen
Ankunft ungarischer jüdischer Frauen und Kinder an der Bahnrampe in Auschwitz im Juni 1944. © picture alliance / akg-images Foto: akg-images

Der "Judenstern": Stigma und Zeichen brutaler Verfolgung

Am 19. September 1941 zwingt das NS-Regime Juden qua Verordnung zum Tragen eines gelben Sterns. Bald darauf beginnen die Deportationen. mehr

Gedenkstein an die Opfer des Holocaust auf dem Jüdischen Friedhof in Rostock. © picture-alliance/ dpa/dpaweb Foto: Bernd Wüstneck

Holocaust: Der Völkermord der Nazis an den Juden

Mehr als sechs Millionen Juden wurden während der NS-Zeit ermordet. Daran erinnert jedes Jahr am 27. Januar ein Gedenktag. mehr

Wehrmachtssoldaten ergeben sich 1945 und halten weiße Tücher hoch. © picture alliance/akg-images Foto: akg-images

Kriegsende 1945: So endete der Zweite Weltkrieg im Norden

Am 8. Mai 1945 kapituliert die deutsche Wehrmacht. Viele Städte und Lager sind von den Alliierten da bereits befreit worden. mehr

Dieses Thema im Programm:

Hallo Niedersachsen | 13.04.2015 | 19:30 Uhr

Mehr Geschichte

Karl Dönitz mit Mitgliedern der Geschäftsführenden Reichsregierung vor einem Gebäude in Flensburg. © picture-alliance / akg-images

Flensburger NS-Regierung macht nach Kapitulation einfach weiter

Am 9. Mai 1945 schweigen die Waffen. Bis zum 23. Mai bleibt Hitlers Nachfolger Dönitz mit NS-Ministern aber noch im Amt. mehr

Norddeutsche Geschichte