Währungsreform 1948: Über Nacht volle Regale

Stand: 20.06.2023 05:00 Uhr

Ab dem 21. Juni 1948 ersetzt die D-Mark in den drei West-Besatzungszonen die Reichsmark. Erspartes wird nahezu wertlos, dafür füllen sich die Regale über Nacht mit Waren. Doch die neue Währung treibt auch die Spaltung mit der Sowjetunion voran.

von Daniel Sprenger, NDR.de

"Meine lieben Hörer, ich spreche heute Abend zu Ihnen, weil wir an einem entscheidenden Wendepunkt der Nachkriegszeit angekommen sind. Um Mitternacht von Sonntag auf Montag hört die Reichsmark auf, allgemein gesetzliches Zahlungsmittel zu sein." Max Brauer, Hamburgs Erster Bürgermeister, im Juni 1948

Hamburgs Erster Bürgermeister Max Brauer von der SPD wählt in seiner Radioansprache Mitte Juni 1948 große Worte - die dem Anlass angemessen sind. Denn mit der Währungsreform, die am 20. Juni 1948 in Kraft tritt, und der Einführung der Deutschen Mark als Zahlungsmittel endet die Zeit der leeren Regale nach dem Zweiten Weltkrieg, wird der Schwarzmarkt weitgehend ausgetrocknet und bekommt die wirtschaftliche Erholung des kriegszerstörten Deutschlands ihre Initialzündung.

Deutsche Wirtschaft liegt nach dem Krieg am Boden

Der Zustand der deutschen Wirtschaft ist in den ersten Nachkriegsjahren desaströs: Waren des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel und Kleidung sind nur mit Bezugsschein zu haben - oder es müssen horrende Summen auf dem Schwarzmarkt aufgebracht werden. Seit Kriegsbeginn war die Menge in Umlauf befindlicher Reichsmark um das Zehnfache angestiegen. Es war zwar also viel Geld vorhanden, allerdings war es zunehmend weniger wert. Daher schlagen Amerikaner und Briten im Februar 1948 im Alliierten Kontrollrat eine neue Währung für Gesamtdeutschland vor. Die Sowjetunion reagiert jedoch ablehnend.

"Die Diskussion um die Währungsreform hat ihren Höhepunkt erreicht und damit zugleich auch bewirkt, dass die wirtschaftliche Stagnation ohne die Durchführung der Reform in aller Kürze zu einer Leichenstarre führen müsste." Ludwig Erhard, Wirtschaftsdirektor der amerik.-brit. Bizone, Frühjahr 1948

Um eine solche Leichenstarre der Wirtschaft zu vermeiden, wird die Währungsreform dann nur in den drei Westzonen angegangen und monatelang vorbereitet - im Geheimen.

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Baustelle in Berlin-Wedding im April 1952 © picture-alliance / akg-images Foto: akg-images

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Amerikaner treiben die Währungsreform voran

Auf Initiative der amerikanischen Militärregierung werden vom 21. April bis 8. Juni 1948 elf deutsche Ökonomen und Währungsexperten in einer Kaserne in Rothwesten bei Kassel quasi interniert, um in Abstimmung mit den US-Verantwortlichen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einführung der neuen Währung in den amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszonen zu schaffen.

Otto Pfleiderer ist einer der elf Fachleute und erinnert sich später an die speziellen Bedingungen in Rothwesten:

"Es war eine Gruppe, die unter ähnlich strengem Abschluss von der Außenwelt parkte wie das Konklave der katholischen Kirche bei der Papstwahl: keinerlei Kommunikation mit der Außenwelt." Otto Pfleiderer, Ökonom, zitiert in ZeitZeichen von NDR Info

"Deutsche Mark" statt "Batzen"

In der Geschichtsschreibung wird die Langzeit-Konferenz in der Kaserne in der Tat auch als "Währungskonklave" bezeichnet. Federführende Person und somit Ziehvater der D-Mark ist der US-Leutnant Edward Tenenbaum, der zwischen Rothwesten und den Führungsstäben der drei Militärregierungen pendelt. "Er war das intellektuelle Bindeglied zwischen amerikanischer Militärregierung und deutschen Fachleuten", schreibt Helmut Schmidt später über den damals erst 27-jährigen Offizier und Ökonomen. Auch der Begriff Deutsche Mark geht auf Tenenbaum zurück. Als weitere Option kursiert wohl auch "Batzen" als Bezeichnung für das neue Geld.

"Operation Bird Dog" - das neue Geld kommt aus den USA

Neben neuen gesetzlichen Vorgaben und Verordnungen braucht es zur Einführung einer neuen Währung aber vor allem eines: die neue Währung selbst. Und die wird nicht etwa in Deutschland gedruckt, sondern in New York und Washington, D.C.

Rund 23.000 gut gesicherte Kisten werden im Rahmen der "Operation Bird Dog" (Operation Hühnerhund) von Februar bis April 1948 in Bremerhaven von Schiffen aus den USA entladen. In den Kisten sind die Banknoten, die für den nun unmittelbar bevorstehenden großen Währungsschnitt benötigt werden.

"Kopfgeld" von 60 D-Mark für jeden

Am 18. Juni 1948 unterbricht der NWDR sein Programm: "Das erste Gesetz zur Neuordnung des deutschen Geldwesens ist von den Militärregierungen Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und Frankreichs verkündet worden und tritt am 20. Juni in Kraft."

Sehr kurzfristig wird die Bevölkerung über den Geldumtausch informiert, der bereits zwei Tage später stattfinden soll:

"Zunächst einmal ist das Wichtigste, dass Sie diesen Sonntag 60 Mark alten Geldes für jedes Mitglied Ihrer Familie zur Lebensmittelkartenstelle bringen. Dort erhalten Sie unmittelbar 40 neue Deutsche Mark." US-amerikanische Ansage im Radio, 18. Juni 1948

Das sogenannte Kopfgeld beinhaltet noch eine zweite Charge: Einen Monat später erhält jeder noch einmal 20 D-Mark. Froh sein kann, wer vor allem Sachwerte besitzt. Denn Erspartes wird weitgehend entwertet: Wer vorher 100 Reichsmark hatte, hat nun nur noch 6 Deutsche Mark und 50 Pfennig. Gehälter, Löhne, Pensionen, Renten, Mieten und Pachtzinsen werden im Verhältnis 1:1 umgestellt und Schulden in Reichsmark im Verhältnis 10:1 D-Mark umgerechnet. Doch mit dem neuen Geld kann man sich endlich wieder etwas kaufen.

"Wir alle, die wir wieder ehrliches Geld für unsere ehrliche Arbeit haben wollen, atmen auf, dass es endlich so weit ist und die neue Deutsche Mark ausgegeben werden kann." Max Brauer, Hamburgs Erster Bürgermeister, im Juni 1948

Währungsreform: "Über Nacht wurde auch das Obst reif"

Ein Lebensmittelladen wirbt nach der Währungsreform 1948 mit dem Spruch "Freie Ware - Hier wird nicht mehr geflüstert". © picture alliance/dpa dpd/dpa Foto: dpa dpd
"Hier wird nicht mehr geflüstert" - und nichts mehr unter dem Ladentisch verkauft: Mit der Währungsreform wächst das offizielle Warenangebot quasi über Nacht. Der Schwarzmarkt wird überwiegend ausgetrocknet.

Quasi über Nacht zu Montag, dem 21. Juni 1948 - dem ersten Tag, an dem statt der Reichsmark nun die D-Mark das einzig gültige Zahlungsmittel in den drei Westzonen ist - wächst das Warenangebot. Oder wie es ein zeitgenössischer Radioreporter auf den Punkt bringt: "Mit der Währungsreform wurde über Nacht auch das Obst reif." Ein anderer Reporter macht folgende Beobachtungen: "In den Schaufenstern dasselbe Bild, die Regale füllen sich. Die Lager geben her, was so lange nicht zu haben war. Käufer und Ladeninhaber spüren, was die Stunde geschlagen hat."

Geld-Verknappung führt zur Aufwertung

"Die Währungsreform hat vereinfacht gesagt dafür gesorgt, dass Geld wieder wertvoll war, weil man es dramatisch verknappt hat", erklärt Christoph Strupp von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. "90 Prozent des vorhandenen Geldes wurden geschreddert, die verbleibenden zehn Prozent Geldmenge waren wieder so wertvoll, dass es Sinn machte und funktioniert hat, wieder Waren gegen Geld zu tauschen", so Strupp im Radio-Feature "ZeitZeichen" von NDR Info:

Ein Lebensmittelladen wirbt nach der Währungsreform 1948 mit dem Spruch "Freie Ware - Hier wird nicht mehr geflüstert". © picture alliance/dpa dpd/dpa Foto: dpa dpd
AUDIO: Mit der D-Mark kommen 1948 die Waren (15 Min)

Ost-West-Konflikt: Neue Währung trägt zur Spaltung bei

Doch nicht alles wird nun besser: Auch wenn die Währungsreform nicht der Auslöser für den Ost-West-Konflikt war, so trägt die einseitige Einführung der neuen Währung in den drei westlichen Besatzungszonen zur weiteren Spaltung der ehemaligen Alliierten bei.

Weil die sowjetische Militärregierung einer gemeinsam Währung ablehnend gegenübersteht, führt sie einige Tage später in ihrer Besatzungszone eine eigene Währungsreform durch. Wegen Papiermangels gibt es hier allerdings keine neuen Banknoten, sondern nur Aufkleber für die alten Reichsmarkscheine. "Tapetenmark" nennen die Menschen dort das neue Geld. Eine wirtschaftliche Erholung bleibt im Osten jedoch weitgehend aus.

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Besonders prekär ist das Nebeneinander der beiden neuen Währungen in der geteilten Stadt Berlin. Soll die D-Mark dort nur in den Westsektoren gelten oder in der ganzen Stadt? Die Reaktion des sowjetischen Staatschefs Josef Stalin ist mehr als eindeutig: Ab dem 24. Juni 1948 wird die gesamte Stadt abgeriegelt, werden sämtliche Zufahrtswege gesperrt. Eine rigide Maßnahme, die als Berlin-Blockade in die Geschichtsbücher eingeht.

Mithilfe der "Rosinenbomber" versorgen vor allem die Amerikaner den West-Teil der Stadt daraufhin aus der Luft - für fast ein ganzes Jahr. Erst im Mai 1949 heben die Sowjets die Blockade wieder auf.

D-Mark treibt das Wirtschaftswunder voran

Im Westen treibt die neue Währung das deutsche Wirtschaftswunder entscheidend mit voran. Und auch die Ostdeutschen erhalten die D-Mark dann doch noch - am 1. Juli 1990 im Zuge der Währungsunion mit der im Untergang befindlichen DDR.

Die D-Mark ist den Deutschen lieb und teuer - und so ist der Schmerz mitunter groß, als sie 2002 vom Euro abgelöst wird. Der 28. Februar 2002 ist der letzte Tag, an dem die D-Mark offizielles Zahlungsmittel in Deutschland ist - nach fast 54 Jahren. Doch auch danach mag sich noch nicht jeder von ihr trennen. Zwanzig Jahre später wird noch immer reichlich Mark in Euro umgetauscht. Allein bei der Hamburger Filiale der Bundesbank waren es 2022 gute zwei Millionen D-Mark.

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Unsere Geschichte | 14.06.2023 | 21:00 Uhr

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