Ein palästinensischer Terrorist (r) verhandelt am 5. September 1972 am israelischen Teamquartier im Olympischen Dorf der Münchner Sommerspiele mit Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (3.v.l) und weiteren Offiziellen. © picture alliance / dpa

Olympische Spiele 1972: Wie die DDR beim Terror zusah

Stand: 05.09.2022 07:15 Uhr

Bei den Olympischen Spielen 1972 in München überfallen palästinensische Terroristen am 5. September das israelische Quartier im Olympischen Dorf. 17 Menschen sterben. Sportler aus der DDR werden Augenzeugen der tödlichen Geiselnahme.

von Matthias Hufmann und Benjamin Unger

1972 ist die Welt zu Gast in München: Es sind heitere und bunte Olympische Spiele - bis sich am 5. September alles ändert. In den frühen Morgenstunden überfallen palästinensische Attentäter der Terrororganisation "Schwarzer September" das israelische Quartier im Olympischen Dorf. Dramatische Stunden beginnen. Sportler aus der DDR beobachten die Geiselnahme, ihr Wohnblock liegt gleich gegenüber. Zwei von ihnen sind die Handballer Peter Larisch aus Schwerin und Klaus Langhoff aus Rostock.

Attentat lässt die Olympischen Spiele '72 stillstehen

Zwei der Terroristen während der Olympischen Sommerspiele in München zeigen sich vermummt auf einem Balkon. © picture-alliance / dpa
Am frühen Morgen des 5. September 1972 bringen Terroristen elf israelische Sportler in ihre Gewalt.

"Anschlag im Olympischen Dorf!" Mit dieser alarmierenden Nachricht wird Klaus Langhoff an jenem Morgen geweckt. Und tatsächlich: Israelische Geiseln sind in der Hand von Terroristen der Gruppe "Schwarzer September". Schon bald werden die Geschehnisse weltweit verfolgt. Langhoff ist Augenzeuge eines Attentats, das die Olympischen Spiele stillstehen lässt.

"Nicht auf den Balkon gehen!"

"Uns wurde befohlen, nicht auf den Balkon zu gehen, denn auf der anderen Seite würde sich ein Drama abspielen - und uns könnten Querschläger treffen", erinnert sich Peter Larisch. Trotz der Warnungen schaut der Schweriner auf die andere Seite hinüber. Anfangs kommt es ihm so vor, als sei er auf einem Filmdreh, so unwirklich ist die Situation. Die Terroristen legen vor der Tür einen leblosen Körper ab. Es ist eine der Geiseln. "Es hat sehr lange gedauert, bis sie ihn da entfernt haben. Das war ein furchtbarer Anblick, wie da ein toter Sportler liegt", erinnert sich der Rostocker Klaus Langhoff, damals ebenfalls Handballer im DDR-Team. 

Anschlag durch Terrorgruppe "Schwarzer September"

Über einen Zaun waren acht Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation "Schwarzer September" in den frühen Morgenstunden in das Olympische Dorf gelangt. Sie überwältigen damals elf Sportler der israelischen Mannschaft. Einigen war noch die Flucht gelungen. Der Tote vor der Tür ist Mosche Weinberg, ein Ringer-Trainer - erschossen bei seinem Fluchtversuch. Der Gewichtheber Josef Romano wird angeschossen und stirbt, weil kein Arzt zu ihm gelassen wird. Das Terror-Kommando fordert unter anderem die Freilassung von 232 Palästinensern aus israelischer sowie die der RAF-Mitglieder Andreas Baader und Ulrike Meinhof aus deutscher Haft.

"Geiselnehmer haben uns freundlich zugewunken"

Blick aus dem Quartier der DDR-Mannschaft im Olympischen Dorf in München bei den Spielen 1972: Vor dem israelischen Quartier, in dem palästinensische Attentäter Geiseln gefangen halten, wird Essen angeliefert. © privat Foto: Klaus Langhoff
Aus dem Fenster der eigenen Unterkunft können die DDR-Sportler die Geiselnahme beobachten. Handballer Klaus Langhoff macht auch Fotos.

Peter Larisch beobachtet, wie der deutsche Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) mit den Terroristen spricht, Angebote macht, geht, wiederkommt. "Wir dachten: Jetzt ist die ganz große Politik da und versucht, das hier zu regeln." Auch Klaus Langhoff verfolgt alles ganz genau, mit seiner Praktica fotografiert er - trotz Verbots - vom Balkon aus, macht ein Bild von einer Essenlieferung an die Geiselnehmer. "Sie haben uns immer freundlich zugewunken", sagt der Rostocker. "Wahrscheinlich wussten sie, dass wir Sportler der DDR-Mannschaft gewesen sind."

Olympia 1972: Willy Brandt bei der Trauerfeier für die Attentats-Opfer. © picture-alliance / dpa Foto: dpa
AUDIO: Attentat bei Olympischen Spielen 1972 - Erklärung von Willy Brandt (6 Min)

DDR macht aus dem Attentat eine "Tragödie"

Für die Sportler des DDR-Teams gibt es eine klare Anweisung aus der Mannschaftsleitung: keine Interviews. Denn das Attentat - so einfach zu verurteilen ist es für die DDR nicht. Ihnen sei gesagt worden: "PLO und Arafat, das sind unsere Freunde", erinnert sich Peter Larisch.

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SED-Führung und palästinensische Funktionäre sind Anfang der 1970er-Jahre politisch eng verbunden. In Zeitungen und im Radio der DDR sei deshalb auch lange Zeit nicht von einem Attentat oder Anschlag die Rede gewesen, sagt die Rostocker Sporthistorikerin Dr. Juliane Lanz, "sondern von einer Tragödie." Man könne nicht verhehlen, lautet 1972 ein Kommentar im DDR-Fernsehen, "dass uns von den politischen Auffassungen der israelischen Regierung, von der aggressiven Politik, die sie im Nahen Osten betreibt, Welten trennen. Wir standen und wir stehen an der Seite des gerechten Kampfes der arabischen Völker."

Die Stasi protokolliert die Geschehnisse minutiös

Die Staatssicherheit wird über die Geschehnisse an jenem 5. September umfassend informiert werden. Zuträger berichten direkt. So entsteht ein minutiöses, geheimes Protokoll. 13 Seiten lang. "11.55: Im Haus der DDR-Mannschaft werden Scharfschützen postiert", heißt es darin. "14.40: Die Freischärler bieten ein Bild der Ruhe und Selbstsicherheit. [...] 16.35: Genscher, Schreiber, Tröger und zwei andere Personen erscheinen und verhandeln."

Die Verhandlungen mit den Attentätern ziehen sich über den Tag bis in den Abend. Die Terroristen fordern freies Geleit und einen Flug in ein arabisches Land. "22.20: Drei Hubschrauber fliegen nacheinander davon", heißt der letzte Eintrag im Stasi-Protokoll. Geiseln und Geiselnehmer sind auf dem Weg nach Fürstenfeldbruck.

17 Tote: Das Olympia-Attentat endet blutig

Ausgebrannte Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes auf dem Militärflughafen in Fürstenfeldbruck, in dem in der Nacht zum 6. September 1972 ein Teil der von palästinensischen Terroristen festgehaltenen Geiseln der Olympischen Spiele ums Leben kamen. © picture-alliance / dpa Foto: Göttert
Der Versuch, die Geiseln zu befreien, endet in einem Desaster. 17 Menschen sind durch das Attentat insgesamt gestorben.

Am dortigen Flugplatz endet das Attentat so, wie es morgens begann - blutig. Unterhändler hatten sich zuvor mit den Terroristen darauf geeinigt, die Palästinenser und ihre Geiseln nach Kairo auszufliegen. Währenddessen jedoch hat die Polizei insgeheim eine Befreiungsaktion in Fürstenfeldbruck vorbereitet. Eine Aktion, die scheitert. Es kommt zu Feuergefechten. Ein Terrorist zieht eine Handgranate und wirft sie in einen der Hubschrauber. Andere Geiseln werden erschossen.

Insgesamt werden an diesem Tag elf israelische Sportler und ein Polizist ermordet, fünf Terroristen sterben.

Die Spiele gehen weiter - und die DDR-Mannschaft bleibt

Das IOC entscheidet sich, die Wettkämpfe fortzusetzen. Präsident Avery Brundage spricht bei der Trauerfeier im Olympiastadion den berühmt gewordenen Satz: "The Games must go on!" Die DDR-Mannschaft soll nach der Geiselnahme und der missglückten Befreiungsaktion erst abreisen, bleibt dann aber doch. Denn: Der DDR geht es hier auch ums Ansehen, um Anerkennung durch sportliche Erfolge. Jahrelang hat man sich auf München vorbereitet. Ausgerechnet hier - im Land des Klassenfeindes - darf die DDR erstmals mit eigener Fahne auflaufen, darf die DDR-Hymne erklingen. Und in sportlicher Hinsicht läuft es schließlich gut: In der Nationenwertung steht die Mannschaft auf Platz 3.

"Nach dem Anschlag war die Stimmung aber nur noch gedrückt", sagt Klaus Langhoff. Auch Peter Larisch lässt die Erinnerung bis heute - 50 Jahre danach - nicht los: Die Bilder seien sofort wieder da, "sobald von München '72 die Rede ist." Am 50. Jahrestag will er in München sein, um der Opfer zu gedenken.

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Nordmagazin | 13.03.2022 | 19:30 Uhr

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