Themenwoche 2021: Wohnkonzepte jenseits der Großstadt
Nicht erst seit Corona zieht es immer mehr Menschen aus den Großstädten aufs Land. Doch was heißt das für die Mittelzentren, die dörflichen Kommunen? Wie wird hier Zukunft und Gemeinschaft gestaltet?
Zusammen mit einem professionellen Planer will die Kommune Nettelsee in Schleswig-Holstein ihre kaum noch genutzte Kapelle umwidmen und umbauen - vorausgesetzt, die Kirche verkauft. Die Vorsitzende des Strategieausschusses Rebecca Wulf-Dibbern wünscht sich einen Ort, der von der Gemeinschaft genutzt werden kann: "Wir haben zwar einen tollen Gasthof, uns fehlt aber eigentlich ein Gemeinschaftsraum."
Stadt- und Landentwicklung: Orte neu denken
Im Dorf sind die Ländereien flurbereinigt - und viele Strukturen gleich mit. Die Selbstversorgung vor Ort ist passé. Die Ur-Idee des Dorfes war Gemeinschaft. Doch dann verschwand der Einzelhändler vor Ort, wo man sich traf, und die nachbarschaftlichen Betriebe. Vor allem die sozialen Räume, also Dorfkneipen oder aktive Kirchengemeinden, gibt es nicht mehr.
"Wir jetzt als Planer würden sagen: Guckt euch die Potenziale im Ort an, bevor ihr etwas Neues anpackt", erklärt der Stadt- und Landentwickler Wulf Dau-Schmidt. Er fordert: "Entwickelt Projekte mit der Feuerwehr und dem Kindergarten zusammen. Entwickelt Projekte auf alten Resthöfen, die nicht mehr als Bauernhöfe zur Verfügung stehen. Guckt, wo ihr an bestimmten Hofflächen nachverdichten könnt, statt Neubaugebiete zu entwickeln."
Was bleibt von der dörflichen Gemeinschaft?
Viele Dörfer und auch kleinere Städte wachsen wieder. Jetzt wird hier neuer Boden versiegelt, bei steigenden Preisen. Zuzug ist sicherlich besser als dahinzusiechen, aber wenn die Bewohnerinnen und Bewohner nur zum Übernachten herkommen - was bleibt dann von der dörflichen DNA, der Gemeinschaft?
Lydia Rintz von der TH Lübeck hofft darauf, dass "wir uns ja auch am Beginn einer Mobilitätswende befinden, und pendeln fällt dann natürlich noch mal anders ins Gewicht." Die sogenannten Schlafstätten seien für Klein- und Mittelstädte nicht ganz so attraktiv wie Personen, die tatsächlich vor Ort leben, "sich einbringen und das auch wirklich als vitalen Ort wahrnehmen".
Im nahen Neumünster ist das schon der Fall: Wachstum und Wandel, nicht nur auf der Fläche. Für den Umbau zur Dienstleistungsstadt werden hier auch alte Industrie-Räume umgewidmet. Es sollen Wohnungen und eine Kita entstehen. Eine alte Tuchfabrik wird bereits umgebaut und im Stadtzentrum soll das leerstehende Kaufhaus wiederbelebt werden - mit einer Bibliothek als Begegnungsort.
MarktTreff: Eigeninitiative schafft Gemeinschaft
Das sei das planerische Ideal, so Lydia Rintz. "Es wird immer gern das Bild dieses Donughts oder Krapfens bemüht. Der Donought hat ein leeres Zentrum, der Krapfen hat die Marmelade - das Beste - in der Mitte. Und das Beste gehört auch in die Mitte." Darum bemerke man schon, dass Gemeinden, die wachsen, sich darum bemühen, ihre Flächen entsprechend aufzuwerten. Viele Maßnahmen, die zurzeit in den Städten erprobt würden, wie zum Beispiel Carsharing oder Fahrgemeinschaften, seien auch tolle Modelle für den ländlichen Raum.
Im nahen Kirchbarkau gibt es einen MarktTreff namens "Marmelade im Zentrum". Es ist der erste genossenschaftliche Markttreff, das heißt man muss sich engagieren, wenn's laufen soll. Dieses Projekt gehe in der Regel von den Bürgerinnen und Bürgern aus, erklärt Dieter Witasik, Berater des MarktTreff. Dadurch entwickle sich ein Prozess. "Welche Angebote sollen überhaupt dort gebündelt werden? Denn das ist der eigentliche Schlüssel. Das Bündeln von Angeboten unter einem Dach und jeder MarktTreff ist so gesehen eine sehr eigenständige Entwicklung." Und Marktleiterin Dagmar Thiele-Gliesche ergänzt: "Man trifft sich hier zufällig, kommt ins Gespräch und trinkt mal einen Tee zusammen. Das ist ein ganz wichtiger Faktor. Auch für das Dorf und für das Leben hier."
Durch Eigeninitiative gibt es Apothekenanbindung, Schusterei, Nahversorgung, Begegnungen und somit letztlich den alten Dorfgedanken: Gemeinschaft!
