Visionärer Ansatz: Windkraftinseln in der Nordsee
Kein Strom mehr aus Kohle, Öl oder Gas - stattdessen aus Wind- und Sonnenenergie. So müsste es in naher Zukunft sein, wenn Europa die Klimaziele erreichen will. Doch wie kann das konkret umgesetzt werden? Der Netzbetreiber Tennet hat dazu am Dienstag in Hannover eine Möglichkeit der Umsetzung vorgestellt. Im Mittelpunkt der Vision des internationalen Konsortiums "North Sea Wind Power Hub", zu dem neben Tennet auch Energienet, Gasunie und Port of Rotterdam gehören, stehen neue Windparks auf der Nordsee. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) sieht die Pläne kritisch.
15.000 Windkraftanlagen in der Nordsee
Geht es nach Tennet und den anderen beteiligten Firmen, dann würden in den kommenden 30 Jahren rund 15.000 Windkraftanlagen in der südlichen Nordsee gebaut. Die würden so viel Strom liefern, wie aktuell pro Jahr in Zentral-Europa verbraucht wird, sagte Tennet-Geschäftsführer Tim Meyerjürgens am Dienstag in Hannover.
Mindestens zehn künstliche Inseln
Notwendig dafür sei allerdings auch der Bau eines gigantischen Verteilerkreuzes, um die riesigen Strommengen an Land zu bringen. Mindestens zehn künstliche Inseln müssten demnach in der Nordsee gebaut werden, auf denen die entsprechende Technik installiert wird und die sowohl an einzelne Länder als auch untereinander vernetzt werden müssten. Unter anderem könnte Strom in Gas umgewandelt werden, um die Energie besser zu speichern und zu transportieren. Ein erstes Pilotprojekt könnte in den 2030er-Jahren fertig sein, so Meyerjürgens. Von der ursprünglichen Idee einer einzelnen künstlichen Insel hat das Konsortium dagegen Abstand genommen. Studien und Berechnungen hätten ergeben, dass sie dazu nicht ausreiche, hieß es.
Keine Angaben über die Kosten
Tennet-Geschäftsführer Meyerjürgens betonte, dass das Projekt grundsätzlich machbar sei. Zu den erwarteten Gesamtkosten des gigantischen Projekts nannte er aber keine Zahlen. Nach Schätzungen dürften die Gesamtkosten deutlich mehr als 100 Milliarden Euro betragen. Wer das Pilotprojekt finanzieren und bauen soll, blieb am Dienstag offen. Für eine reibungslose Zusammenarbeit müssten zudem zahlreiche nationale und europäische Gesetze geändert werden. Das Konsortium sieht nun die politischen Entscheidungsträger am Zug und hofft auf Gespräche der Regierungen Dänemarks, Deutschlands und der Niederlande. Eine international koordinierte Planung würde Kostenvorteile von 30 Prozent für alle Anrainer bringen, sagte Meyerjürgens.
Künstliche Insel vor den Britischen Inseln
Tennet hatte erstmals im Frühjahr 2017 seine Vision einer künstlich angelegten Energie-Insel in der Nordsee der Öffentlichkeit vorgestellt. Den Plänen zufolge sollten dort Konverterstationen den Strom von bis zu 7.000 Windrädern umwandeln und an die Nordsee-Anrainer Großbritannien, Norwegen, Dänemark, die Niederlande, Belgien und Deutschland verteilen. Die Kosten für die künstliche Insel bezifferte Tennet vor zwei Jahren auf rund 1,5 Milliarden Euro - ohne Infrastruktur.
NABU: Energiewende darf nicht Naturschutz gefährden
Der NABU sieht die Pläne des Netzbetreibers kritisch: In dem Gebiet, das für das Projekt im Gespräch sei, lebten zahlreiche Tierarten, so die NABU-Meeresschutzexpertin Anne Böhnke-Henrichs. Diese würden ihren Lebensraum verlieren. Die Energiewende dürfe nicht den Naturschutz gefährden.
