Ein/ Eine Mitarbeiter*inn neben einer großen Maschine zur Metallverarbeitung. © NDR

Sorge um Zukunft der Metallindustrie in Schleswig-Holstein

Stand: 23.07.2022 11:07 Uhr

Steigende Rohstoffpreise, Mehrkosten für Strom und Energie - die Betriebe der Metall- und Elektroindustrie stehen vor großen Herausforderungen.

Was steigende Kosten für die Industrie bedeuten, wird in den Produktionshallen der Firma von Sönke Rickert in Norderstedt (Kreis Segeberg) sichtbar. Wo sonst bei Rot Rickert Oberflächentechnik Metallbauteile in Nickelbädern veredelt werden, herrscht jetzt Stillstand. Seit März ist das chemische Nickelbecken außer Betrieb. "Leider kann ich das im Moment nicht anbieten", sagt Rickert. "Das Bad wird bei 90 Grad Celsius geheizt. Da der Strompreis im Moment so immens gestiegen ist, ist es nicht rentabel für mich, dieses Bad weiter wirtschaftlich zu betreiben", erklärt er. Hinzukommen die hohen Kosten für Nickel. Das Schwermetall ist laut Rickert in den vergangenen zwei Jahren 400 Prozent teurer geworden.

Stillstand der Anlagen verursacht Kosten

Der Stillstand der Nickel-Anlage bedeutet für den Firmeninhaber nach eigenen Angaben einen Verlust von 8.000 bis 9.000 Euro pro Monat. Das auf seine Kunden umzulegen, kommt für ihn nicht in Frage. "Ich kann den Kunden jetzt nicht sagen, dass was vorher 50 Euro gekostet hat, jetzt 200 Euro kostet. Das macht keiner mit." Also steht das Becken still.

Gleichzeitig muss Rickert nach einem Anbieterwechsel im vergangenen Jahr rund 4.500 Euro mehr für Strom zahlen. Im Monat. Um ein Viertel konnte er den Stromverbrauch in seinem Unternehmen reduzieren. Aber nun sei man an einem Punkt "an dem wir nicht mehr sparen können", sagt seine Frau Petra Gebhardt, die in der Firma unter anderem für die Buchhaltung zuständig ist.

Schwierige Auftragslage und Kundenakquise

Eigentlich liefen die Geschäfte des Familienunternehmens immer gut. Aber seit zwei Jahren wird es immer schwieriger. Zuerst die Corona-Pandemie und jetzt die Energie- und Rohstoff-Krise: Die Auftragslage sei "so lala" sagt Gebhardt. Zum einen, weil vielen Abnehmerinnen und Abnehmern auch gerade das Geld fehlt, zum anderen, weil es ohne Rohstoffe schwierig ist, überhaupt neue Kunden zu akquirieren.

Nordmetall sorgt sich um Zukunft der Branche

Sönke Rickert und seine Frau Petra haben große Sorgen um ihre Existenz. Auch der Arbeitgeberverband Nordmetall sorgt sich um die Zukunft der Unternehmen in der Metall- und Elektroindustrie, erklärt Sprecher Alexander Luckow. Der Verband vertritt in Schleswig-Holstein rund 80 Betriebe mit 32.000 Mitarbeitenden. Vor allem kleine und mittlere Betriebe hätten es schwer: "Wenn da bestimmte Dinge ausfallen, dann steht ganz schnell der Betrieb still und die Kosten bleiben natürlich trotzdem sehr hoch".

Sorge bereitet ihm außerdem, die anstehende Tarifrunde. "Wir haben die Acht-Prozent-Forderung der IG Metall gehört. Es ist eine der höchsten Forderungen der letzten Jahre." Das und die finanziellen Belastungen durch die hohen Rohstoff- und Energiepreise könnte laut Luckow für einige Unternehmen das Aus bedeuten: "Für den ein oder anderen Betrieb wird es dann ganz schön schwierig werden, die Standorte hier im Norden und in Schleswig-Holstein halten zu können."

Energiekrise: Verband fordert Sicherheit

Luckow appelliert an die Politik, alles zu tun, um die Energieversorgung für die Unternehmen sicherzustellen. "Da dürfe es keine Tabus geben" sagt er und meint die Reaktivierung von Kohle- und Atomkraftwerken. "Wir dürfen uns da überhaupt keine Scheuklappen aufsetzen, sonst wären wir die Versorgungssicherheit im kommenden Winter für die Industrie nicht aufrechterhalten können."

Sicherheit wünschen sich auch Sönke Rickert für sein Unternehmen. "Man kann nicht kalkulieren, wir sind täglich in Angst und Sorge, weil man nicht weiß, wie es weitergeht", sagt seine Frau. Von den ursprünglich sechs Mitarbeitenden, musste Sönke Rickert schon drei entlassen. Wie lange er den Betrieb noch halten kann, weiß er nicht.  

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 21.07.2022 | 19:30 Uhr

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