Eine Holzkiste mit der Aufschrift "Echte Kieler Sprotten" steht vorne im Bild, im Hintergrund hängen zahlreiche Fische auf einer Leine. © NDR Foto: Samir Chawki

Die letzten "echten Kieler Sprotten" aus Eckernförde

Stand: 19.05.2022 16:46 Uhr

Mehr als 100 Jahre Geschichte gehen in Eckernförde zu Ende: Das Familienunternehmen Meergold Fischdelikatessen hat ein letztes Mal die traditionellen "echten Kieler Sprotten" geräuchert. Dabei wurden dort seit 1919 Fische geräuchert und produziert.

von Samir Chawki

Durch die Räucherei im Jungfernstieg 19 weht ein besonderer Duft, es ist eine Melange aus Fisch und Salz. Hier wird noch fleißig produziert. Gemeinsam mit fünf Angestellten arbeitet Berndt Kruse in den weiß gefliesten Produktionshallen des Familienunternehmens Meergold Fischdelikatessen in Eckernförde. Seit 1919 räuchert seine Familie hier Fisch, mittlerweile in vierter Generation. Doch es ist die letzte. Denn mit ihm endet die Familientradition.

Mehrere Presseleute stehen vor einer Räucherkammer. © NDR Foto: Samir Chawki
Der mediale Andrang am letzten Produktionstag ist riesig, mehrere Kamerateams und Journalisten begleiten jeden Schritt von Berndt Kruse (rechts in rot) in der Räucherei.
Sprotte als Türöffner

Berndt Kruse überwacht die Produktion der 400 Kilogramm Sprotten wie sonst auch immer: "Für uns ist das ein ganz normaler Arbeitstag mit ein bisschen weniger zu tun. Wir wissen auch, dass wir an diesem Tag die letzten Kieler Sprotten räuchern werden, aber da haben wir uns schon eine Zeit lang drauf vorbereitet und für uns ist das okay." Die Entscheidung, betont er mehrfach, sei "eine rein betriebswirtschaftliche" gewesen. Sprotten waren rein wirtschaftlich gesehen für seine Räucherei nicht das Wichtigste, sie waren eher eine Art von Türöffner bei Großhändlern.

Nur Tradition reicht nicht

Die große Zeit der Fischspezialität waren eher die 70er- und 80er-Jahre. Den Hauptumsatz machte sein Unternehmen in den vergangenen Jahren eher mit Lachsprodukten. Fast mehr aus Pflichtbewusstsein produzierte er die Kieler Sprotten noch weiter: "Wir sind natürlich sehr traditionsbewusst. Aber wir wissen natürlich auch, dass man alleine durch die Erhaltung der Tradition nicht seinen Lebensunterhalt verdienen kann." Dabei liegt ihm die Sprotte am Herzen, seine Erste aß er als sechs Monate altes Baby. Als Kind nagelte er noch selbst die typischen Holzkisten zusammen. Die kommen heute übrigens in Einzelteilen aus Bremerhaven.

Das Ende zwingt andere zu Veränderungen

Für Stadtführerin Christel Fries, besser bekannt als Opsteekfru Stine, ist es ein besonders trauriger Tag: "Da kommen einem Tränen, das ist ein Stück Tradition und Stadtgeschichte, was da verschwindet." Denn bisher endeten ihre Touren mit Fischer Kuddel immer an der Räucherei Meergold. Dem letzten Ort, wo noch die "echten Kieler Sprotten" aus Eckernförde geräuchert wurden. Sichtlich gerührt resümiert sie: "Nun, müssen wir gucken, wie wir weiterleben, ohne unsere echten Kieler Sprotten. Das tut einem weh."

Die beiden Stadtführer Opsteekfru Stine und Fischer Kuddel stehen mit dem Bollerwagen neben dem Haus der Räucherei. © NDR Foto: Samir Chawki
Die beiden Stadtführer Opsteekfru Stine und Fischer Kuddel werden die letzte Räucherei mit den "echten Kieler Sprotten" aus Eckernförde vermissen.
Tradition ist mehr als ein Unternehmen

Berndt Kruse hat dafür Verständnis, bittet aber auch die Traditionalisten und Kunden darum: "Es ist ein betriebswirtschaftlicher Prozess. Man baut irgendetwas auf und irgendwann ist es dann so weit, dass man es wieder runterfahren muss." Dass er jetzt die letzte Räucherei in Eckernförde schließt, sieht er dennoch pragmatisch: "Tradition hört damit nicht auf, dass ein Unternehmen schließt, sondern Tradition hat ja ganz andere Werte. Und die werden ja sicherlich noch weitergetragen." Kieler Sprotten werden sicherlich weiter im Handel zu kaufen sein, aber die "echten Kieler Sprotten" geräuchert in Eckernförde, die wird es wohl vorerst leider nicht mehr geben.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 19.05.2022 | 17:00 Uhr

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