Ein Kibitz auf steht auf dem Feld-Boden. © Patrick Pleul/dpa Foto: Patrick Pleul/dpa

Rote Liste: So viele Vogelarten bedroht wie nie zuvor

Stand: 26.10.2022 19:33 Uhr

In Niedersachsen und Bremen sind aktuell so viele Vogelarten vom Aussterben bedroht wie noch nie zuvor. Ein Grund: die intensive Landwirtschaft.

"36 Vogelarten sind hierzulande vom Aussterben bedroht, das sind so viele wie nie zuvor", sagte Lotta Cordes, Sprecherin des niedersächsischen Umweltministeriums. Laut der vom Ministerium vorgelegten "Rote Liste Brutvögel" sind damit 43 Prozent aller betrachteten Arten gefährdet. Insgesamt hatte das Ministerium den Bestand von 212 Arten untersucht. Weitere 14 Prozent stünden auf der Vorwarnliste.

VIDEO: Viele Vogelarten vom Aussterben bedroht (1 Min)

Weitläufige Grünflächen fehlen

"Damit können in Niedersachsen und Bremen nur noch 43 Prozent der Brutvögel als ungefährdet gelten", sagte Cordes weiter. Jakob Grabow-Klucken vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Niedersachsen bestätigte diese Entwicklung: Auffällig sei, dass viele bodenbrütende Arten wie Kiebitze oder Braunkehlchen betroffen seien. Diese Arten benötigten weiträumiges Grünland. Das aber fehle in Niedersachsen.

Weniger Blühpflanzen, weniger Insekten, weniger Vögel

Braunkehlchen © NDR/doclights/Heiko de Groot
Braunkehlchen sind - wie viele andere Bodenbrüter auch - vom Aussterben bedroht. (Archivbild)

"Entwicklungen wie die Industrialisierung im Bereich der Landwirtschaft haben bereits seit Langem erhebliche Auswirkungen auf die Lebensräume von Offenland-Arten", sagte Cordes. Grabow-Klucken nennt es die "Monotonisierung der Landschaftsräume": Durch die intensive Bewirtschaftung gebe es auf Wiesen immer weniger Arten. Zunächst gingen die Blütenpflanzen zurück. Das ziehe einen Rückgang an Insekten nach sich. Diese aber seien eine wichtige, eiweißreiche Nahrungsquelle für Vogelküken. Somit gerate auch das Leben der Vögel in Gefahr, erklärte der Experte.

BUND: Intakte Landschaften bieten auch dem Menschen Erholung

Doch nicht nur deshalb sei es wichtig, diese Entwicklung umzukehren. "Artenreiche, intakte Landschaften haben zudem auch einen besonders hohen Erholungswert und sind wichtig für die physische wie psychische Gesundheit von Menschen", sagte Grabow-Klucken. Eine angepasste Strategie zur Erhaltung der Artenvielfalt werde auch "unsere Lebensqualität erhöhen und uns vor noch höheren Folgekosten durch degradierte Böden, Klimawandel und Erkrankungen schützen."

Experte sieht Landkreise und Kommunen in der Pflicht

Bei großen Bundesländern wie Niedersachsen, das sich laut des BUND-Experten als Agrarland Nummer eins in Deutschland verstehe, bestehe besonderer Handlungsbedarf. Insbesondere Landkreise und Gemeinden stünden in der Verantwortung, etwa durch eine landschaftsgerechte Mahd und Gehölzpflege die ökologischen Funktionen der Grasstreifen am Wegrand zu entwickeln, sagte Grabow-Klucken.

Auch Privatpersonen können helfen

Auch normale Bürgerinnen und Bürger könnten Lebensräume für Vögel schaffen - zum Beispiel durch abwechselnde oder weniger häufige Heckenschnitte. Verschiedenste Vogelarten bräuchten sowohl Zonen mit Lücken, als auch dichte Zonen, um darin zu leben. "Ein gleichförmig wiederkehrender, symmetrischer Schnitt schafft dagegen Monotonie und es entsteht eine grüne Wand", erklärte Grabow-Klucken. Zudem könne man im Garten durch die Bepflanzung mit heimischen, blühenden sowie früchte- und samenbildenden Sträuchern und Kräutern eine Nahrungsquelle für Vögel und Insekten schaffen.

Laub liegen lassen und weniger Rasen mähen

Laut Torben Friedrich vom Deutschen Kanarien- und Vogelzüchterbund (DKB) sollten Gartenbesitzer zudem auf Steingärten verzichten, oder "auch mal Blätter im eigenen Garten als Haufen liegen lassen und den Rasen nicht immer mähen." Zudem sei alter Baumbestand zu erhalten und Moore zu schützen. Er glaubt: "Der Vogelschwund kann nur durch finanzielle Unterstützung und Schulung von ehrenamtlichen Züchtern behoben werden, die auch mit der Biotoppflege vertraut sind."

Sprecherin verweist auf Maßnahmen der Landesregierung

Lotta Cordes vom Umweltministerium in Hannover betonte, dass die Landesregierung bereits zahlreiche Maßnahmen gegen das Vogelsterben ergriffen habe - wie beispielsweise das Ausweisen von Vogelschutzgebieten oder die Wiedervernässung und Offenhaltung geeigneter Habitate. Zudem gebe es Bewirtschaftungsauflagen und Maßnahmen zum Schutz von Küken vor Raubtieren.

BUND: Maßnahmen noch kaum in der Fläche angekommen

Die niedersächsische Landesvorsitzende des BUND, Susanne Gerstner, sieht mit diesen und weiteren Projekten, die die Landesregierung mit Unterstützung vom BUND beschlossen hat, einen ersten Schritt getan. "Allerdings sind die Verbesserungen bislang noch kaum in der Fläche angekommen - hier besteht dringender Handlungsbedarf." Von der kommenden Landesregierung erwartet Gerstner daher "wirksame Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt". Dazu sollte ihrer Meinung nach der Vogelschutz langfristig finanziert, ein Biotopverbund umgesetzt und Pflanzenschutzmittel reduziert werden. Zudem seien Maßnahmen für den Klimaschutz und die Energiewende wichtig.

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Niedersachsen 18.00 | 26.10.2022 | 18:00 Uhr

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