Ein Gaszähler zeigt den Verbrauch eines Mehrfamilienhauses an. © picture alliance/dpa | Marijan Murat Foto: Marijan Murat

Hohe Energiepreise: Landesregierung erwägt Härtefall-Fonds

Stand: 06.07.2022 21:41 Uhr

Angesichts der steigenden Energiepreise denkt die Landesregierung über einen Härtefall-Fonds nach. Dieser könnte bei besonderen Problemlagen helfen, sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD).

An den Gesprächen am Mittwoch nahmen unter anderem Energieversorger, Gewerkschaften und die Arbeitsagentur teil. Besonders Menschen mit geringerem Einkommen seien von den anstehenden Teuerungen enorm betroffen, sagte Weil. Man stehe am Anfang einer Entwicklung, deren Höhepunkt man noch nicht gesehen habe. Die Preissteigerungen bei Energie seien bei vielen Verbrauchern noch nicht angekommen. Der Regierungschef betonte, man müsse voraussichtlich ein bis zwei Jahre mit diesen schwierigen Bedingungen arbeiten.

Konkrete Maßnahmen für August angekündigt

Weitere Details zu einem möglichen Härtefall-Fonds wurden noch nicht genannt, die Landesregierung will den Austausch fortsetzen. Konkretere Maßnahmen oder Vorschläge könnten im August vorgelegt werden.

Althusmann fordert Tempo

Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) bekräftigte, man dürfe keine Zeit verlieren, im kommenden Jahr wäre es zu spät. Das Szenario null, wonach es kein Gas mehr gibt, tritt seiner Einschätzung nach Ende Februar bis Anfang März kommenden Jahres ein - sofern die deutschen Gasspeicher nicht bis spätestens Dezember zu mindestens 90 Prozent gefüllt seien. Derzeit stagniere das Wiederauffüllen, der Speicherstand liege bei rund 62 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, in die Nähe eines Gasnotfalls in Deutschland zu kommen, sei hoch.

Nimmt Russland die Gaslieferungen wieder auf?

In den kommenden Wochen könnte sich die Lage der Energieversorgung im Land deutlich verschärfen. Am 11. Juli stellt Russland die Erdgas-Pipeline Nord Stream 1 planmäßig für eine 14-tägige Wartungs- und Instandsetzungsphase ab. Es mehren sich Befürchtungen, dass Russland, das sich mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar international weitestgehend isoliert hat, die Leitung im Anschluss nicht mehr öffnet. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte bereits am 23. Juni wegen der Lieferengpässe die zweite Stufe - die sogenannte Alarmstufe - des Notfallplans Gas ausgerufen.

Enercity ist auf die Abschaltung einzelner Bereiche in Hannover vorbereitet

Hannovers Energieversorger Enercity bereitet sich auf eine Verschärfung der Lage vor. So gebe es einen Plan, "bei einer Gasmangellage behördlich angeordnete Abschaltungen vornehmen zu können", teilte das Unternehmen am Mittwoch mit. Konkret gehe es darum, bestimmte Gas-Netz-Bereiche zeitweise abzuschalten, bestätigte ein Enercity-Sprecher dem NDR in Niedersachsen. Diese Gas-Netz-Bereiche seien nicht identisch mit den Stadtteilen Hannovers, stellte der Sprecher klar. "Privatkunden sowie Betreiber von kritischer Infrastruktur gelten dabei als besonders geschützt und werden in den meisten Szenarien nicht abgeschaltet", hieß es in der Mitteilung des Unternehmens. Susanna Zapreva, Vorstandschefin von Enercity, geht nach Informationen der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (HAZ) davon aus, dass die angestrebten Füllstände der Erdgasspeicher im Land bis November nicht erreicht werden.

Städtetag fordert Rettungsschirm für kommunale Energieversorger

Aus Sicht des Niedersächsischen Städtetags müssen die Energieversorger besonders geschützt werden. Fabio Ruske forderte für die kommunalen Unternehmen unlängst einen Rettungsschirm vom Bund. Die steigenden Einkaufspreise dürften nicht eins zu eins an den Verbraucher weitergegeben werden. Das könnten sich viele Haushalte nicht leisten. Die Stadt Braunschweig sieht das genauso: Die Kommune ist zu 25 Prozent an den Stadtwerken beteiligt und müsse etwaige Ausfälle mittragen, heißt es. Sie sieht dafür aber den Bund in der Pflicht.

EWE-Grundvertrag: Gas 30 Prozent teurer als zu Jahresbeginn

Der Versorger EWE bittet seine Kunden in Oldenburg bereits kräftig zur Kasse. Man habe den Gaspreis im Grundvertrag seit Januar dreimal angehoben, heißt es. Das Gas sei inzwischen 30 Prozent teuer als zu Beginn des Jahres. Zum 1. Oktober werde EWE voraussichtlich die Preise erneut erhöhen. "Wir müssen davon ausgehen, dass ein Vier-Personen-Haushalt 300 bis 400 Euro Mehrkosten für Energie pro Monat im Vergleich zum Vorjahr hat", sagte EWE-Vorstandschef Stefan Dohler dem NDR in Niedersachsen. EWE gehe davon aus, dass die Gaslieferungen aus Russland ausbleiben werden. "Wir wollen natürlich nicht im Winter flächendeckend Kunden das Gas abstellen", sagte Dohler. Er sieht die Politik in der Pflicht, den Menschen "eine entsprechende Unterstützung" zu geben -und geht davon aus, dass die Energiekrise drei bis vier Jahre andauern könne.

Stadtwerke Osnabrück: Drosselung mit Betroffenen besprochen

"Wir bereiten uns seit Februar darauf vor, dass wir gegebenenfalls in die Situation kommen, dass wir Gruppen in der Gasversorgung drosseln oder abschalten müssen", sagte Sebastian Philipp, Sprecher der Stadtwerke Osnabrück, gegenüber dem NDR in Niedersachsen. Davon wären in erster Linie sogenannte ungeschützte Kunden wie Industrie- und Gewerbegebiete betroffen. Man habe die ungeschützten Kunden angeschrieben und "detailliert besprochen, wie eine Drosslung vonstatten gehen kann", so der Sprecher. "Bei manchen Unternehmen müssen Maschinen dauerhaft laufen. Wenn sie nicht mehr laufen, gehen sie kaputt. Wir versuchen, den Kunden da zu helfen." Privathaushalte gehören wie Krankenhäuser und Polizeistationen zu den geschützten Kunden, wie Philipp sagte.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 06.07.2022 | 19:00 Uhr

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