Erdbeben in Syrien: Hilfe für kurdische Gebiete schwierig
Das Erdbeben in Nordsyrien trifft viele, die schon alles verloren hatten. Menschen, die bereits seit mehr als zehn Jahren unter der Barbarei des Syrien-Krieges leiden, erleben erneut eine Katastrophe - mit immer mehr Todesopfern.
Nach UN-Schätzungen könnten in Syrien bis zu 5,3 Millionen Menschen durch das Beben obdachlos geworden sein. Ihnen zu helfen, ist gar nicht so einfach. Während Hilfsgüter aus dem Ausland die Erdbebengebiete in der Türkei erreichen, kommen in manchen Gebieten in Syrien nur wenige oder gar keine Hilfslieferungen an. Diese Erfahrung haben auch Walat und Mohammad Bakr aus Laatzen (Region Hannover) gemacht. Die Cousins leben seit 2015 in Niedersachsen und haben versucht, einen privat gecharterten Lkw mit Hilfsgütern zu ihrer Familie nach Afrin in Nordsyrien zu schicken. 15 Angehörige - darunter sechs Kinder - haben sie verloren, das Haus der Familie in Afrin wurde komplett zerstört. Die noch lebenden Verwandten hausen unter Plastikplanen.
Nach Erdbeben: Hilfsgüter kommen nicht an
Allerdings kam nur ein winziger Teil der Fracht bei ihren Verwandten an. Kein Einzelfall, wie Kamal Sido, Nahostreferent bei der "Gesellschaft für bedrohte Völker" in Göttingen, bestätigt: "Die türkische Besatzungsmacht und ihre Söldner halten die Grenzübergänge nach Afrin für humanitäre Hilfe geschlossen. Nur bestimmte Organisationen und Personen werden durchgelassen", sagt Sido. "Wer über diese Gebiete, die von den Regierungstruppen kontrolliert werden, Hilfsgüter nach Syrien bringen will, muss damit rechnen, dass er mindestens ein Drittel oder gar die Hälfte der Hilfen den Soldaten abgeben muss."
Bab al-Hawa als Nadelöhr nach Syrien
Wenig bis gar nichts von den millionenschweren Hilfspaketen kommt in den autonomen Kurdengebieten an. Die gesamte internationale Hilfe organisiert sich über einen einzigen, durch eine UN-Resolution garantierten Grenzübergang: Bab al-Hawa. Hier verzögerte eine beschädigte Straße die Lieferung humanitärer Hilfe - nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Fahrbahn mittlerweile repariert. Und während es den ersten UN-Hilfskonvois erst drei Tage nach dem Erdbeben gelang, in syrisches Rebellengebiet vorzudringen, lies der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nur circa 24 Stunden nach dem Beben diese Gebiete bombardieren.
"Der Krieg muss aufhören"
Via Twitter rechtfertigt sich das türkische Verteidigungsministerium: Kurdische YPG-Einheiten hätten zuvor von Tel Raffat aus einen türkischen Grenzposten angegriffen. Deshalb habe man einen "Vergeltungsschlag" geführt. Für Kamal Sido eine Schande: "Es ist skandalös, dass ein Nato-Staat eine humanitäre Katastrophe mutwillig verschlimmert. Von anderen NATO-Ländern kommt dazu kein Wort der Kritik." Auch Walat und Mohammad Bakr sind deprimiert und wütend und sehen einmal mehr eine Grenze überschritten: "Humanitäre Hilfe darf nicht behindert und für politische Zwecke missbraucht werden. Der Krieg muss aufhören."