Eine Woche Isolation - wie geht es weiter?

Niedersachsen steht wegen der Coronavirus-Pandemie still - und das seit rund einer Woche. Die gute Nachricht ist: Nun liegen nur noch drei Wochen vor den Bürgerinnen und Bürgern, in denen die Allgemeinverfügung der Landesregierung mit Kontaktbeschränkungen und zeitweisen Unternehmensschließungen gilt. Und schon kommen erste Diskussionen um eine Lockerung der Maßnahmen auf. Doch macht es Sinn, die Vorgaben so früh zurückzunehmen? Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sagt: nein. Er mahnt in der Debatte Besonnenheit an. Diese Diskussion komme "zu früh", sagte der SPD-Politiker am Freitag im ZDF-"Morgenmagazin".
Weil stellt Niedersachsen Lockerung erst nach Ostern in Aussicht
"Wir können gar nicht über Lockerungen reden, wenn wir nicht einen wesentlichen Rückgang bei den Infektionsfällen feststellen." Klar sei aber, dass man das gesellschaftliche Leben nicht auf Dauer "tiefkühlen" könne. Nach den Osterferien würden Bund und Länder über die aktuell geltenden Maßnahmen beraten, sagte Weil. Selbst wenn dann erste Lockerungen beschlossen würden, dürfe man sich nicht vorstellen, dass das Virus "besiegt" wäre. Man sei noch dabei, das Gesundheitswesen auf die bevorstehenden "riesengroßen Herausforderungen" einzustellen. Es werde allenfalls stufenweise Lockerungen der aktuellen Lebenseinschränkungen geben, betonte Weil.
Pistorius verspricht schrittweise Aufhebung der Beschränkung
Weils Innenminister und Parteifreund Boris Pistorius (SPD) sagte dagegen, er wolle die Beschränkungen wegen der Corona-Krise nur so lange aufrechterhalten, wie es unbedingt nötig ist. "Ich verspreche: Sobald es irgendwie geht, werden wir die Beschränkungen wieder schrittweise aufheben", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Die Menschen hielten sich an die Auflagen und seien insbesondere in den vergangenen Tagen sehr vernünftig damit umgegangen. Die Polizei schreite äußerst selten ein.
Experten warnen vor Folgeerkrankungen durch Isolation
Gesellschafts-Experten wie Walter Krämer, Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der TU Dortmund, warnen davor, das Kontaktverbot zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu lange aufrechtzuerhalten. Sie befürchten gefährlich Folgeerkrankungen. «Die Leute werden Fett ansetzen, es wird Diabetes zunehmen, es wird häusliche Gewalt zunehmen, und es werden Selbstmorde zunehmen», sagte Krämer der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Wenn die Einschränkungen zu lange andauerten, drohten ernsthafte Probleme für die Gesundheit der Bundesbürger. "Zwei, drei Wochen ohne Sport und mit zu viel Essen und in sozialer Isolation sind kein Problem", sagte der Statistiker. "Aber wenn wir diesen Zustand deutlich länger durchhalten müssten, wäre der Nutzen geringer als die Kosten."
Häusliche Gewalt: Ethikprofessorin Buyx befürchtet "schwere Kollateralfolgen"
Welche sozialpsychischen Folgen eine komplette Ausgangssperre haben kann, habe sich etwa in China gezeigt, erklärt Alena Buyx. Sie ist Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien an der Technischen Universität München. Dort sei die Zahl der psychischen Erkrankungen angestiegen, außerdem habe die häusliche Gewalt vor allem gegen Frauen und Kinder massiv zugenommen. "Das sind schwere Kollateralfolgen, und deswegen müssen wir diese Einschränkungen mit Augenmaß einsetzen. Wir müssen immer wieder fragen, welche Maßnahmen können wir wann und wie kontrolliert zurücknehmen."
Wirtschaftliche Existenzangst kann krank machen
Hajo Zeeb, Epidemologe an der Universität Bremen, nennt die Maßnahmen eine "riesige Bevölkerungsintervention". Man habe eine Fülle an Maßnahmen durchgesetzt, nun müssten neben dem Lerneffekt für das Gesundheitswesen auch die sozialpolitischen Auswirkungen genau betrachtet werden. Die Krise treffe Menschen in unterschiedlichen Graden - und besonders stark jene, die bereits vorher in prekären Lagen steckten. "Man muss ihnen die wirtschaftliche Angst nehmen, das hat einen ganz massiven Einfluss auf die Gesundheit", so Zeeb. "Bei Beschäftigten im Niedriglohnsektor, bei Selbstständigen und Unternehmern kann sich die Lage schnell zuspitzen", sagt auch Klaus Hurrelmann, Professor für Public Health and Education an der Hertie School, "weil ein reales Risiko für einen wirtschaftlichen Absturz und materielle Not entsteht". Depression, Angst, Schlafstörungen, innere Unruhe und Panikattacken könnten die Folge sein.
