"Schattenfamilien": Rückzug ins Private wegen Corona
Die Pandemie belastet fast alle Familien stark. Einige isolieren sich aus Sorge vor den Folgen einer Corona-Erkrankung und ziehen sich vollständig ins Private zurück - besonders dann, wenn ein Familienmitglied vorerkrankt ist und eine Infektion lebensgefährlich sein könnte.
Kein Kindergeburtstag. Keine Familienfeier. Kein Besuch von Freunden. Keine Kita. Keine Schule. Einige "Schattenfamilien" leben so seit fast zwei Jahren. Hannes Damm, Grünen-Landespolitiker in Mecklenburg-Vorpommern, kennt die Situation. Seine beiden Kinder gehen gerade mit Rücksicht auf eine seltene Nervenerkrankung der Mutter nicht in die Kita.
Die Familie hat die Entscheidung nach längerer Debatte getroffen, die Kinder nach Silvester doch mal zwei Tage in die Kita zu schicken. "Dann gab es sofort den ersten Corona-Fall und wir haben gesagt: Okay, jetzt machen wir erstmal Einigelung zu Hause und gucken, dass wir sie geimpft kriegen möglichst bald", sagt Damm.
Familie Damm: Situation alles andere als optimal
Das anstehende Staatsexamen der Mutter verzögere sich seit zwei Jahren - eine große Belastung für die gesamte Familie. Hannes Damm selbst findet es oft anstrengend mit den Kindern den ganzen Tag zu Hause zu bleiben, besonders im Winter, wenn das Wetter draußen schlecht ist. "Das merken wir an uns selbst, dass man dann auch mal weniger geduldig ist, als man es eigentlich vielleicht sein möchte."
Nicht nur die Eltern haben es gerade schwer, die beiden Kinder dürfen mit anderen Kindern nur unter strengen Regeln spielen, das geht nur draußen und mit einer Bezugsfamilie. Außerdem werden keine Geburtstage extern gefeiert.
"Meine Tochter kennt es gar nicht anders"
Auch eine Familie aus Niedersachsen, die anonym bleiben möchte, hat ihre Kontakte auf das Nötigste reduziert. Die chronisch an Rheuma erkrankte Mutter schildert ihre Situation: "Wir wissen auch gar nicht, wie unser Leben jetzt mit Kind gewesen wäre, wenn Corona nicht gewesen wäre." Zu groß ist die Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus. Ihre zwei Jahre alte Tochter kenne keine andere Situation.
Zu Beginn der Pandemie hat die junge Familie komplett auf Kontakte verzichtet. Etwas wohler fühlt sie sich bei niedrigen Inzidenzen und Begegnungen, die draußen stattfinden können. Treffen gibt es aktuell nur mit zwei Freunden und den Großeltern. Und das auch erst seit der Impfung und Testmöglichkeiten. Die Familie hofft möglichst schnell auf eine Impfung für unter Fünfjährige. Ihre kleine Tochter schickt sie derzeit in die Kita - wenn auch mit Bauchschmerzen. Wegen einer Autoimmunerkrankung und entsprechenden Medikamenten ist sie nicht sicher, ob die Impfung bei ihr gut genug anschlägt. Aber Homeoffice und Betreuung zu Hause, das können sie und ihr Mann nicht leisten.
Initiative fordert mehr Schutz für "Schattenfamilien"
Viele betroffene Eltern, aber auch besorgte Lehrkräfte haben sich vor eineinhalb Jahren zur Graswurzel-Initiative "Bildung aber sicher" auf Twitter zusammengeschlossen (#bildungabersicher). Sabine Reißig von der Initiative sagt: "Die Eltern sind insgesamt sehr besorgt, sie werden von der Regierung nicht hinreichend aufgeklärt über die Gefahren einer Corona-Infektion - das zeigt uns die niedrige Impfquote unter Schülern und Kindern."
Die Initiative fordert mehr Aufmerksamkeit für die Situation der "Schattenfamilien" und mehr Schutz. Zum Beispiel durch eine konsequente Einhaltung der Hygieneregeln, eine strengere Maskenpflicht, eine einfachere Befreiung von der Präsenzpflicht und Unterstützung für sozial schwache Familien. "Die Eltern haben Angst um ihre Kinder", berichtet Reißig. Viele seien psychisch am Ende.
Die Betroffenen finden außerdem, dass Eltern beim Homeschooling mehr Unterstützung brauchen und fordern kreative Lösungen - zum Beispiel eine digitale Schule für jedes Bundesland. Viele Familien hoffen, dass eine Impfung der Kinder ihre Situation langfristig verbessern kann.
