Verunsichertes Publikum: Ticketverkäufe oft schleppend
Die Konzertsäle sind wieder geöffnet - trotzdem bleiben viele Menschen zu Hause. Neben der Sorge vor einer Ansteckung ist auch Planungsunsicherheit ein Grund dafür, sagt Joachim Nerger, Vorsitzender der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein e.V..
Haben die Leute wieder Lust? Kommen sie wieder in die Konzerte? Was beobachten Sie gerade?
Joachim Nerger: Es ist so, dass fast alle Begrenzungen gefallen sind. Aber es gibt eine gewisse Reserve bei den Musikliebhabern, weil immer noch unklar ist, wie dicht ich dem nächsten Nachbarn an der Seite sitze. Teilweise wissen sie nicht, ob es mit oder ohne Maske geht. Ich habe mit vielen Konzertveranstaltungen in ganz Deutschland zu tun und man hört aus den Bundesländern teilweise unterschiedliche Nachrichten und Rückmeldungen.
Ist es allein die Sorge, sich womöglich anzustecken, die die Leute zuhause bleiben lässt? Oder haben sich manche während dieser Pandemie neue Freizeitbeschäftigungen oder neue Wege, Musik - im Stream zum Beispiel - zu genießen gesucht?
Nerger: Ich glaube, Streaming hat die Leute eine Weile lang ganz gut unterhalten und dann hat man gemerkt, dass das nicht das Gelbe vom Ei ist, sondern vielleicht nur das Weiße. Das Problem ist: Wenn ich jetzt Karten für September kaufe, weiß ich nicht, ob ich die überhaupt jemals einlösen kann oder ob im September nicht die 25. Mutante um die Ecke kommt. Das verunsichert einige Leute. Auch noch vor wenigen Monaten im März und April, als es wieder toll anlief mit den Konzerten, konnten die Leute nicht sicher sein, ob in zehn Tagen dieses Konzert überhaupt überhaupt begehbar ist. Das spielt auch eine Rolle beim Kaufverhalten.
Was bedeutet das unterm Strich wirtschaftlich für Sie?
Nerger: Die wirtschaftliche Entwicklung ist noch ein bisschen unklar. Es gibt einige Veranstalter, die schon schwer in der Bredouille sind. Es gibt andere, die die Möglichkeiten sehr gut genutzt haben, die durch die Neustarthilfen der Bundesregierung, teilweise auch der Landesregierungen, gegeben wurden. Das waren Entwicklungen, die von den Veranstaltern sehr unterschiedlich aufgenommen worden sind. Einige haben das sehr gut umgesetzt, andere weniger. Da, wo es gut umgesetzt wurde, kann man sagen, man kommt durch und einige andere haben Probleme. Es gibt große Häuser in ganz Deutschland, die momentan sehr schwachen Besuch haben. Einige Häuser wie die Elbphilharmonie sind sehr gut besucht und man weiß manchmal gar nicht genau, woran es liegt.
Lohnt es sich für einen Veranstalter, einen Künstler zu buchen und dann einen Saal halb voll zu haben?
Nerger: Es ist immer die Frage, wie weit der Künstler bereit ist, sich auf diese Situation einzulassen. Es hängt natürlich auch davon ab, wie es mit den Förderungshilfen weitergeht, und von den Sponsoren. Es gibt gerade im Konzertbetrieb sehr viele Veranstaltungen, Veranstalter und Festivals, die von Sponsoren aus den mittelständischen Bereichen leben - nicht, dass sie alles bezahlen, aber sie geben sehr viel dazu. Wenn sie in dieser Pandemie auch Probleme hatten, können sie natürlich nicht unterstützen. Insofern ist das sehr unterschiedlich: Bei den einen läuft es weiter, bei den anderen muss sehr eng gewirtschaftet werden und man ist nicht sicher, wie es in ein, zwei Jahren aussehen wird.
Einige Künstlerinnen und Künstler appellieren: Bitte bestellen Sie die Tickets vor und kaufen sie nicht erst an der Abendkasse - einfach, damit man besser planen kann und nicht etwas absagen muss, was am Ende vielleicht doch voll geworden wäre. Würden Sie das so unterschreiben?
Nerger: Ja, im Prinzip schon. Natürlich gibt es viel deutlichere Planungssicherheit, wenn die Leute sich vorher mit Karten eindecken. Auf der anderen Seite muss auch ein gewisses Vertrauensverhältnis da sein zwischen den Ticketkäufern und dem Veranstalter - und das ist durchaus sehr unterschiedlich. Wenn ein kleinstädtischer Konzertverein, der meistens ehrenamtlich geführt wird, seine Konzertreihen sehr engagiert durchführt, gewinnt dieser Verein das Vertrauen seiner Mitglieder und der Konzertbesuchenden. Dann halten die die Tickets auch mal ein Jahr lang zurück und sagen nicht: Ich will sofort mein Geld zurück, wenn der Künstler nicht kommen kann. Bei den kommerziellen Veranstaltern sieht es anders aus. Da heißt es: Ich will jetzt aber gleich die 85 Euro zurückhaben. Das ist natürlich sehr viel schwieriger zu kalkulieren, wie man aus so einer Situation wieder rauskommt.
