"Siegfried"-Premiere in Bayreuth: Schnitzeljagd für Wagner-Nerds
Gestern hat Valentin Schwarz' "Siegfried" Premiere in Bayreuth gefeiert. In seiner Puzzlehaftigkeit ist die Inszenierung fast nie langweilig. Trotzdem ist das Stück schwer zu durchdringen.
Zunächst ein paar Dinge, die für die Inszenierung von Valentin Schwarz sprechen. Am wichtigsten: Es ist fast nie langweilig. Der Regisseur erzählt ständig szenische Anekdoten, kleine Geschichten, die immer einen gewissen Kniff haben. Ständig ist man am Rätseln und Entziffern. Was erzählt Wagner, was erzählt Schwarz, was ergibt die Differenz? Ergibt sie was?
Siegfried zieht dem Drachen den Rollator weg
Der schreckliche Drache ist ein todkranker, uralter Mann. Siegfried zieht ihm den Rollator weg, worauf er einen Herzschlag bekommt. Außerdem wird er sicherheitshalber noch erstochen und erstickt. Warum? Man stellt Hypothesen auf, knobelt und tippt. Und das macht durchaus einen gewissen Spaß.
Hagen bekommt eine Vorgeschichte
Es ist eine Art Schnitzeljagd für Wagner-Nerds: Ah, diese Mütze, die jetzt in der chaotisch-versifften Wohnung von Mime rumliegt, schönstes Klischee-Prekariat, die hatte doch der entführte Junge an, der ganz am Anfang vom "Rheingold" den Ring verkörperte. Und tatsächlich: Beim Drachen Fafner ist der Kerl wieder da, jetzt ein erwachsener Mann, aber immer noch gelbschwarz angezogen. Dem Besetzungszettel entnimmt man staunend: Es ist der junge Hagen. Typisch Valentin Schwarz: Eine Figur, die bei Wagner eigentlich erst im vierten Teil vorkommt, kriegt eine Vorgeschichte, die im ersten Teil beginnt und im dritten wieder aufgenommen wird.
Mit jedem Puzzlestück versteht man mehr - nur nicht vom Stück
Es ist eine ziemlich schwarze Story, diese angebliche Netflix-Serie. Puzzlestück für Puzzlestück versteht man mehr. Jedenfalls von der Inszenierung. Nur leider nicht vom Stück. Oder gar von der Welt, in der wir leben. Aber wir waren ja noch bei den Vorzügen. Also, keine Langeweile, neue erzählerische Schneisen quer durch die vier Teile und, auch wenn empörte Alt-Wagnerianer jetzt zusammenzucken: Der Regisseur hat ein gutes Ohr für die Musik.
Inszenierung von Valentin Schwarz: Was ist der Ertrag?
Nur, und das bleibt der entscheidende Einwand: Was ist der Ertrag? Schwarz blendet die Politik aus und schrumpft die Psychologie auf eine Gruselstory über eine schrecklich fiese Familie. Schlimm, schlimm, diese Reichen! Schlimm, diese Designer-Villen! Und die Armen in ihren ungelüfteten Messie-Wohnungen, die sind leider auch sehr schlimm. Darauf folgt: Achselzucken. Und die Hoffnung, dass sich durch die "Götterdämmerung" noch ungeahnte Perspektiven auftun.
Beachtliches Debüt für Daniela Köhler als Brünnhilde
Alles in dieser Inszenierung ist auf Clan-Chef Wotan fokussiert. Tomasz Konieczny singt ihn mit wohltönendem, manchmal etwas orgelndem, aber ungemein voluminösem Bassbariton. Erstmals eine große Rolle im Festspielhaus übernimmt Daniela Köhler als Brünnhilde. Sie strahlt beeindruckende Kraft und Intensität aus, allerdings ist ihre Stimme im Piano nicht sehr flexibel, und die Spitzentöne bleiben matt. Trotzdem: Ein beachtliches Debüt. Und Andreas Schager als Siegfried hat schier unendliche Kraftreserven. Schager powert und powert noch mehr und es macht ihm nichts aus. Höchst eindrucksvoll. Da nimmt man in Kauf, dass an den leisen Stellen die weiche Seite des Helden, die es zumindest bei Wagner ja auch gibt, etwas unterbelichtet bleibt.
Bisher stärkster Abend für Dirigent Cornelius Meister
Mit Leidenschaft stürzt sich Dirigent Cornelius Meister in diese oft ein wenig unterschätzte Partitur. Es wird sein bislang stärkster Abend. Gewiss, er tendiert dazu, manchmal irgendwelche Einzelheiten quasi mit Spotlicht zu zelebrieren. Aber Meister hat etwas zu sagen. Auch wenn noch nicht alles ausgereift ist: Es gärt. Und das passt eigentlich gar nicht so schlecht zur Inszenierung.
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