Herbert Blomstedt: 95 Jahre alt - und geistig fit wie eh und je
Ein Pultstar wollte der schwedische Dirigent Herbert Blomstedt nie sein. Ihm geht es allein um die Musik. Am 11. Juli 1927 wurde er geboren, er feiert seinen 95. Geburtstag - und er dirigiert nach wie vor.
"Mir geht es ausgezeichnet, unverschämt gut. Ich habe gerade ein bisschen Husten, aber das geht vorüber. Hoffentlich huste ich nicht im Konzert. Ich fühle mich glänzend, bin sehr dankbar", sagt Herbert Blomstedt Mitte Juni, wenige Wochen vor seinem 95. Geburtstag. Er ist zu Gast beim NDR Elbphilharmonie Orchester, einem der zwölf Orchester, die er nach wie vor regelmäßig dirigiert. Seine "Familie", wie er sagt. Bruckners ausgedehnte 7. Sinfonie leitet er auswendig, geistig ist er fit wie eh und je. Kurz darauf allerdings zwingt ihn ein Sturz, Auftritte in Berlin und seine Geburtstagskonzerte in Leipzig abzusagen. Auch an ihm geht das Alter nicht spurlos vorüber. Doch wenn Blomstedt auf dem Podium steht, zieht er Orchester und Publikum in seinen Bann.
Herbert Blomstedt: "Ohne die geistige Energie des Dirigenten verliert die Musik an Seele"
"Die Energie, die von dem Dirigenten kommt, ist eine geistige Energie", sagt Blomstedt. "Das soll nicht eine physische Energie sein - die bringt das Orchester selbst. Aber die geistige Energie! Die brauchen einen einigenden Willen. Wenn der nicht da ist, verliert die Musik an Seele." Eine Erkenntnis, die sich Herbert Blomstedt über viele Jahre erarbeitet hat. Seine Bewegungen seien kleiner geworden, sagt er. Er habe er gelernt, loszulassen.
Demütig und bescheiden ist Blomstedt - ein Lernender, auch mit 95 Jahren. Auf der Bühne ist er ungeheuer wach und präsent. Er weiß genau, welche Impulse es von ihm braucht. Wenn er ganz in der Musik ist, funkeln seine Augen. Für ihn ist die Musik eine Kraftquelle. Auch wenn er ein Werk dutzende Male dirigiert hat, überdenkt er es immer wieder neu: "Ich mache viele Notizen, denn ich studiere die Partituren sehr genau, damit jede Note ihren besonderen Sinn bekommt."
Offen, neugierig und staunend
Eine musikalische Initialzündung war für ihn, als er in seiner Schulzeit in Göteborg zum ersten Mal eine Bruckner-Sinfonie hörte - die vierte: "Es war ein fantastisches Erlebnis. Das hat mich verzaubert! Und als dann nur zwei Takte später ein Ton wechselt, war das wie eine Offenbarung - nur eine Note Unterschied!" Seine Offenheit, Neugier und das Staunen über die Musik hat sich Blomstedt bis heute bewahrt. "Man reift am besten alleine mit den Partituren", sagt der Dirigent. "Und gleichzeitig: normal leben. Denn die Musik funktioniert nicht ordentlich, wenn das nicht ein Spiegel von dem Leben ist."
95 Jahre und fit durch Yoga und Alkohol- und Fleischverzicht
Zu seinem Lebensrezept gehört, dass er Vegetarier ist, keinen Alkohol trinkt und über Jahrzehnte Yoga praktiziert. Zentral ist auch sein Glaube. Sein Vater war Prediger und Missionar bei den Adventisten. Auch Herbert Blomstedt ist tief gläubig und sieht sich als Missionar: "Aber ich mache nicht Mission für eine gewisse Glaubensrichtung. Meine Mission ist, die Musik nahe zu bringen an den Menschen. Da habe ich viele Verbündete: hundert Mann im Orchester. Wir wollen das gleiche. Auch wenn wir ganz verschiedene Glaubensrichtungen vertreten oder gar keinen Glauben haben - daran glauben wir fest: an die Macht der Musik."
Der Samstag ist ihm heilig. Da dürfen keine Proben stattfinden - Konzerte schon. Die sind für ihn keine "Arbeit", eher "Gottesdienst". Das passt, denn Blomstedt stellt sich ganz in den Dienst der Musik. Seine Konzerte sind meist höchst eindrucksvoll und beglückend, getragen von seiner Liebe zur Musik und zum Dirigieren. "Es wird nicht leichter", sagt Blomstedt. "Aber vielleicht mit 60 bis 70 merkt man, dass man etwas gelernt hat und schon jetzt anfangen kann zu musizieren."