Ein großes Hörvergnügen: "Recuerdos" von Augustin Hadelich
Das aktuelle Album des Geigers Augustin Hadelich verbindet Violinkonzerte von Britten und Prokofjew mit Sarasate und Tárrega. Eine emotionale Achterbahnfahrt - und unsere CD der Woche.
Wie kann ein Künstler auf seine Umwelt reagieren, zumal in Kriegszeiten? Benjamin Britten beginnt die Arbeit an seinem Violinkonzert 1939 auf der Überfahrt nach Kanada - als überzeugter Pazifist schockiert vom Spanischen Bürgerkrieg und in Sorge vor dem bevorstehenden Zweiten Weltkrieg verlässt er Europa. Vorher ist er in Barcelona gewesen und hat den spanischen Geiger Antonio Brosa kennengelernt. Was für ein herausragender Musiker muss das gewesen sein: Brittens Violinkonzert gerät technisch so schwer, dass der legendäre Jascha Heifetz es für unspielbar erklärt.
Augustin Hadelich empfindet es offenbar ähnlich wie sein großer Vorgänger: Er schreibt in seiner inspirierenden Einführung, dies sei vielleicht das schwierigste aller vor 1950 geschriebenen Konzerte. Egal wie oft er es spiele, es sei jedes Mal eine erschütternde musikalische Reise für alle Beteiligten, die einen sprachlos zurücklasse. Beim Zuhören ist das nicht anders. Das liegt an der Geschichte, aber auch an dieser überwältigenden Interpretation. Für Augustin Hadelich hat die jahrelange Beschäftigung mit Brittens Violinkonzert jetzt, 2022, im Angesicht des Ukraine-Krieges, eine besondere Bedeutung bekommen.
Augustin Hadelich öffnet neue Perspektiven
Das vielleicht Naheliegende wäre, für das CD-Programm englische Musik dazu auszuwählen - das tut Hadelich aber nicht. Er legt den Fokus auf spanisch beeinflusste Werke. Auf einmal bekommen die spanischen Anklänge bei Britten einen anderen Akzent. Hadelich möchte das auch - unerwartete, erfrischende Assoziationen wecken - und er spannt den Bogen weit.
Wie aus einer unbeschwerten Zeit klingt Sarasates Carmen-Fantasie herüber. Auch hier kann Augustin Hadelich seine staunenswerte Virtuosität ausspielen, aber er tut es mit einer Beiläufigkeit und inneren Wärme, die der Brillanz einen weiten Horizont verschafft. Und warum das zweite Violinkonzert von Sergej Prokofjew? Wieder öffnet Hadelich eine neue Perspektive: Im übermütig-ungestümen dritten Satz des in Spanien uraufgeführten Werks sieht Hadelich in den Kastagnetten ein Souvenir aus Spanien, wenn es auch sonst ein durch und durch wilder russischer Tanz ist. Hadelich verliert darüber aber nicht die Contenance.
Eine emotionale Achterbahnfahrt
Im WDR Sinfonieorchester und Christian Macelaru hat Augustin Hadelich virtuose und achtsame Partner an seiner Seite - jederzeit ein großes Hörvergnügen. Und am Ende dieser emotionalen Achterbahnfahrt bekommen wir noch eine Zugabe: Geige solo. Augustin Hadelich ist ein phänomenaler Geiger, der in allen Farben zu uns spricht.
Recuerdos
- Zusatzinfo:
- Werke von Pablo de Sarasate, Sergei Prokofjew, Benjamin Britten und Francisco Tárrega Augustin Hadelich, Violine WDR Sinfonieorchester Ltg: Christian Macelaru
- Label:
- Warner Classics
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Klassik
