Die Lübecker Marienkirche nach einem Luftangriff 1942. © picture-alliance / akg-images Foto: akg-images

März 1942: Lübeck brennt im Bombenhagel

Stand: 28.03.2022 05:00 Uhr

In der Nacht vom 28. auf den 29. März 1942 prasseln stundenlang britische Bomben auf Lübeck nieder. Ganze Straßenzüge in der historischen Altstadt brennen, Zivilisten werden Opfer einer neuen Kriegstaktik: Angriffe auf Innenstädte.

Lübeck, die altehrwürdige Hansestadt im März 1942: Seit fast drei Jahren wütet der Zweite Weltkrieg. Bisher ist die Stadt von Zerstörungen verschont geblieben. Zwar heulen regelmäßig Sirenen und warnen die Menschen vor Luftangriffen, doch daran haben sich viele gewöhnt. Lübeck scheint für die Militär-Strategen keine Bedeutung zu haben.

Das hoffen die Menschen auch, als am späten Abend des 28. März wieder Fliegeralarm ausgelöst wird. Doch nur wenige Minuten später, gegen 23.20 Uhr, schlagen die ersten Bomben in der Altstadt ein. Was dann folgt, hat Deutschland noch nicht erlebt. 234 Flugzeuge der britischen Royal Air Force überziehen die Stadt mit einem Bombenhagel. Pausenlos werfen sie ihre vernichtende Fracht ab. Es dauert nur wenige Stunden - dann ist zerstört, was in Jahrhunderten entstanden war.

Historische Kirchen stehen in Flammen

Für die damals gut 150.000 Bewohner der Stadt beginnen Stunden des Grauens. Der Angriff richtet sich nicht gegen einzelne militärische Anlagen, sondern er soll die Zivilbevölkerung treffen und möglichst großen Schaden anrichten. Bald brennen ganze Straßenzüge auf der Altstadtinsel, dem Zentrum des Bombardements.

Die zerschmetterten Glocken der Ratskirche Sankt Marien in Lübeck © picture-alliance / Paul Mayall Foto: Paul Mayall
In der Bombennacht stürzten die Glocken aus dem Turm von St. Marien. Jahrzehnte später liegen sie als Mahnmal in der Kirche.

Auch vor den historischen Bauwerken wie den berühmten Kirchen macht das Feuer nicht halt. Gegen 0.30 Uhr brennt der Dachstuhl von St. Petri aus dem 13. Jahrhundert, später brennen auch die Türme von St. Marien und der Dom. In der Marienkirche stürzen die Glocken des Süderturms herab. Sie treffen Kisten mit mittelalterlichen Fensterscheiben, die während des Krieges vor Beschädigungen geschützt werden sollten. Auch das mittelalterliche Inventar der Kirche werden zerstört - ebenso wie die 500 Jahre alte sogenannte Totentanz-Orgel von St. Marien, auf der bereits Dieterich Buxtehude und Johann Sebastian Bach gespielt hatten. Die älteste noch spielbare Orgel Deutschlands war ein Raub der Flammen geworden.

300 Menschen sterben in Lübecker Trümmern

Erst nach mehr als dreieinhalb Stunden haben die letzten Bomber ihren Auftrag erfüllt: Rund 8.000 Stabbrandbomben, 400 Flüssigkeitsbomben und 300 Sprengbomben sind auf Lübeck niedergegangen. Hunderte Häuser stehen in Flammen, die sich immer weiter ausbreiten. Feuerwehr und Helfer sind machtlos. Die Wasserversorgung ist zusammengebrochen.

Warum Lübeck?

Am nächsten Morgen, dem Palmsonntag, wird das ganze Ausmaß der Verwüstung sichtbar. Fast 1.500 Häuser sind völlig zerstört, 2.200 schwer beschädigt und weitere 9.000 in Mitleidenschaft gezogen - insgesamt gut die Hälfte der 22.000 Gebäude in der Stadt. Mehr als 320 Lübecker sind in den Trümmern gestorben - die genaue Zahl der Toten ist unklar. Sie wurden später auf dem Ehrenfriedhof in einem Massengrab beerdigt. Fast 800 Menschen sind verletzt, weit über 15.000 obdachlos.

Wertvolle Kunstschätze verbrennen beim Bombenangriff

Blick auf die zerstörte Kirche St. Aegidien in Lübeck 1942 © picture-alliance / Paul Mayall
Nach dem Bombardements im März 1942 liegt Lübeck in Trümmern - wie hier rund um die Kirche St. Aegidien.

Neben dem menschlichen Leid und dem materiellen Schaden sind die kulturellen Verluste immens. In den Kirchen verbrennen Kunstschätze, im historischen Rathaus die wertvolle Kriegsstube von 1356, außerdem Dutzende prächtige Bürgerhäuser. Lübeck steht vor den Trümmern seiner Geschichte. Beim Wiederaufbau haben Unterkünfte für die vielen Wohnungslosen Vorrang. Noch Jahrzehnte später werden Schäden beseitigt. So endet die Rekonstruktion des Doms erst 1982 mit der Wiedereröffnung der Paradiesvorhalle. Zwar ernennt die UNESCO die Lübecker Altstadt im Jahr 1987 zum Weltkulturerbe, dennoch sind viele Kulturschätze seit der Bombennacht für immer verloren.

Die Toten, die brennenden Türme, das Ausmaß der Zerstörung - das alles erschüttert die Menschen in Lübeck damals zutiefst. Dass dieser Angriff eine Revanche für die Fliegerbomben der Luftwaffe auf Coventry ist und damit also eine Reaktion auf das Unrecht des Nazi-Regimes, sehen damals nur wenige.

Bomben gegen die Zivilbevölkerung

Mit dem Angriff auf Lübeck haben die Alliierten im Zweiten Weltkrieg ihre Strategie geändert. Das britische Kriegskabinett hatte am 14. März 1942 - also zwei Wochen vor dem Bombardement - entschieden, den Bombenkrieg zu intensivieren. Ziele sollen nun nicht mehr nur militärische Anlagen sein, sondern auch komplette Großstädte. So wollen die Militärs den "Widerstandswillen der Zivilbevölkerung des Feindes und vor allem der Industriearbeiter" brechen, wie es in britischen Dokumenten heißt.

Bis zum Kriegsende 1945 werden noch viele deutsche Städte bei sogenannten Flächenbombardements schwer beschädigt. Briten und Amerikaner reagieren damit auch auf deutsche Luftangriffe gegen englische Städte, die bereits 1940 begonnen hatten.

Flächenbombardements deutscher Städte

Nach Lübeck kommen die Bomber nur noch einmal zurück: Am 25. August 1944 greifen sie Rüstungsunternehmen an, 110 Menschen sterben. Die Altstadt bleibt verschont, weil sie ab 1944 Umschlagplatz für Rot-Kreuz-Transporte für britische Kriegsgefangene in Deutschland ist.

Bombennacht wird zum "Palmarum 1942"

Die Bombardierungen in der Nacht vom 28. auf den 29. März 1942 gehen als "Palmarum 1942" in die Geschichte Lübecks ein. Die Bezeichnung bezieht sich auf das Datum des Angriffs an einem Palmsonntag, der auch Palmarum genannt wird. Da Ostern ein bewegliches Fest ist, ist das Gedenken an die Bombennacht bis heute nicht an das Datum 28./29. März, sondern an den Palmsonntag gebunden und variiert von Jahr zu Jahr.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin! Schleswig-Holstein – Von Binnenland und Waterkant | 28.03.2017 | 19:00 Uhr

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