Cover des Buches "These Girls, Too" © Ventil Verlag

"These Girls, too": Mehr als 100 notwendige Musikerinnen-Biografien

Stand: 22.06.2022 10:33 Uhr

Immer lauter wird die Kritik an männerdominierten Musikfestival-Programmen. Juliane Streich hat nun mit "These Girls, too" einen zweiten Band ihrer feministischen Musikgeschichte herausgegeben.

von Juliane Bergmann

Bessie Smith besingt in ihrem "Washwoman's Blues" ihr Aufwachsen als schwarzes Südstaatenmädchen: "Den ganzen Tag schufte ich, den ganzen Tag zerschlage ich Schaum…“ und ihre Stimme tanzt dabei bittersüß mit dem knisternden Schallplatten-Sound. 1894 in Tennessee geboren und früh verwaist, verdient sie als Straßenmusikerin ihr erstes Geld.

Die Sklaverei hat man offiziell abgeschafft, aber die Unterdrückung der Black Community ist immer noch Alltag. Mutig thematisiert Smith in ihren Texten Rassismus, aber auch weibliche Lust und Sexualität. 1923 landet ihre erste Aufnahme überraschend auf Platz 1 der Billboard Charts. Sie ist die erste schwarze Frau, die als Künstlerin enorm erfolgreich wird.

"These Girls, too": Frauen, die die Musik ihrer Zeit revolutionierten

Es sind mehr als 100 kämpferische Biografien wie diese, von denen "These Girls, too" erzählt. Es geht um Frauen, die die Musik ihrer Zeit revolutionierten - trotz großer Widerstände, die sich gegen ihr Geschlecht, ihre Hautfarbe, ihre Sexualität, ihr Selbstbewusstsein richteten. Eine dazugehörige Playlist macht das Buch auch hörbar. Dank dieser Kombi wird das Lesen zum sinnlichen Stöbern.

Die musikhistorische Reise beginnt in den 1920er-Jahren. Als die US-Amerikanerin Sister Rosetta Tharpe mit ihrem lässigen Gesang und Spiel auf einer stark verzerrten elektrischen Gitarre den Grundstein für den Rock'n'Roll legt. Einige Zeit später tritt die junge Leipzigerin Jutta Hipp während des Zweiten Weltkriegs in illegalen Jazz-Clubs auf. Für sie ist:

Jazz eine Art Religion. Wir mussten wirklich dafür kämpfen. Ich erinnere mich an Nächte, wo wir nicht in den Luftschutzkeller gingen, weil wir Platten hörten. Und obwohl die Bomben um uns herum einschlugen, fühlten wir uns sicher. Leseprobe

Jutta Hipp bekommt 1948 ein Kind mit einem afro-amerikanischen Mann, das sie aufgrund des Fraternisierungsverbots zur Adoption freigeben muss. Dem verlorenen Sohn widmet sie das Lied "Mon petit".

Legendäre und weniger prominente Ladies

Als erste weiße Frau veröffentlicht Jutta Hipp beim berühmten Label Blue Note. Nachhaltiger Erfolg bleibt jedoch aus. Sie wird Näherin. Auch Umwege und Sackgassen sind Teil dieser Künstlerinnen-Geschichten. Kein blindes Idealisieren. Der Erzählton der verschiedenen Autorinnen und Autoren ist elegant, dabei aufrichtig, oft auch persönlich.

Juliette Greco, Dolly Parton, Stevie Nicks, Gianna Nannini - neben diesen weltbekannten, legendären Ladies haben auch die kleineren, weniger prominenten Namen Platz im Buch. So lernen wir zwei zurückgezogene Folk-Sängerinnen mit eindringlichen, zarten Stimmen kennen: die Britin Vashti Bunyan und die Deutsche Sibylle Baier. Oder die französische Komponistin und Wegbereiterin der elektronischen Musik: Éliane Radigue. Mit dabei sind ebenso die beiden DDR-Größen Uschi Brüning und Bettina Wegner.

Weibliche Idole sind wichtig

Uns begegnet die herrlich wut-geladene Alanis Morissette. Ihr Kapitel zeigt anschaulich, warum weibliche Idole so wichtig sind. Der Autor Christoph Herms schreibt über ihre Bühnenauftritte:

In den 1990ern und frühen 2000ern sind es solche Momente der Ermächtigung, die die Kanadierin für junge queere Menschen wie mich genauso zur Ikone macht wie für junge Feministinnen. Alanis und die young angry women sind mehr als nur wütend: sie schreiben von Tabus befreit, zelebrieren Selbstbehauptung in patriarchalen sozialen Räumen. Scheiß auf alles, was dich klein hält. Leseprobe

Reise führt auch in die heutige Popkultur

Die Reise führt in die heutige Popkultur: klar - mit Kae Tempest, Billie Eilish und Pussy Riot, aber auch mit feinen Entdeckungen: Malonda aus Essen zum Beispiel: Hildegard Knef trifft tanzbaren Electro, könnte man sagen.

Brauchte es eine Fortsetzung dieser Buchreihe? Auf jeden Fall! Allein schon, weil neben dem Erwartbaren dutzende Schätze in diesem Band stecken: interessante Lebenswege, überraschende Stimmen, tolle Musik. Die Geschichten der immer noch zu wenig gehörten Musikerinnen sind längst nicht auserzählt und werden es nie sein.



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These Girls, too - Feministische Musikgeschichten

von Juliane Streich
Seitenzahl:
304 Seiten
Genre:
Biografien
Verlag:
Ventil
Bestellnummer:
978-39557-51692
Preis:
20,00 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch unterwegs | 22.06.2022 | 14:20 Uhr

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