Buchcover: Ingeborg Bachmann, Max Frisch: "Wir haben es nicht gut gemacht." - Der Briefwechsel © Suhrkamp Verlag

Ingeborg Bachmann und Max Frisch: Eine Liebes-Tragödie in Briefen

Stand: 30.12.2022 06:00 Uhr

Das Buch "Wir haben es nicht gut gemacht" mit 297 Briefen räumt mit alten Mythen auf und zeichnet das Bild einer unfassbar intensiven Liebes- und Arbeitsbeziehung von zwei Literaten von Weltrang.

von Anna Hartwich

Frühjahr 1958: Max Frisch, geboren 1911, schreibt an die "junge Dichterin" Ingeborg Bachmann, geboren 1926, einen Brief, weil er überaus angetan ist von ihrem Hörspiel "Der gute Gott von Manhattan". Sofort bietet sie ihm eine persönliche Begegnung an, die am 3. Juli 1958 in Paris stattfindet. Beide sind sofort entflammt. Die "Trennung" schon nach einer Woche ist natürlich nicht das Ende. Zum Glück. Bis 1963 waren sie ein schwieriges Paar und führten, wie man heute sagen würde, eine On-off-Beziehung. Max Frisch war der einzige Mann in Ingeborg Bachmanns Leben, mit dem sie zusammengelebt hat, in und bei Zürich oder in Rom. 30 Jahre lang hielt die Familie von Ingeborg Bachmann ihre Briefe an Max Frisch unter Verschluss, jetzt sind sie im Suhrkamp Verlag erschienen.

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Ingeborg Bachmann und Max Frisch © picture alliance / dpa / KEYSTONE | STR

Lesung: Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch

In den Schriftstücken geht es um das Leben, Lieben und Leiden eines der bekanntesten Paare der deutschsprachigen Literatur. mehr

"Wir haben es nicht gut gemacht": 297 Briefe von Bachmann und Frisch

Was für ein ehrfurchtgebietendes Buch: Über 1.000 Seiten, 297 Briefe von Bachmann und Frisch sowie Verwandten, Freunden und Bekannten, sorgfältig kommentiert, versehen mit einer Zeittafel, Fotos und Faksimiles. Es räumt mit alten Mythen auf - dass nämlich Frisch der Böse war, der alles Unglück in Bachmanns Leben auf dem Gewissen hatte - und zeichnet das Bild einer unfassbar intensiven Liebes- und Arbeitsbeziehung von zwei Literaten von Weltrang, die kämpften um ihre Arbeitsfähigkeit, gegen ihre Verletzungen und um eine Liebe, derer sie sich nie sicher waren.

Was ist los? Ich warte und bange. Kein Zeichen. Du willst, dass wir verschwunden sind für einander… Ich werde weiter warten auf Dich. Oder hast Du Entschlüsse gefasst? Hast Du es schwer durch mich? Ich glaube nicht mehr, dass Du kommst. Ich bleibe bis Montag in Paris und werde nicht aufhören zu hoffen, dass ich Dich sehe. Warum machst Du das? Ich bin sehr bestürzt, Du. Leseprobe (Max Frisch)

Der erste Brief von Frisch an Bachmann, am 5. Juli 1958 aus Paris. Der Tenor ist gesetzt. Sie scheitern mehrfach: an der Liebe, die, fünf Jahre lang bis 1963, nie in ein Stadium der Selbstverständlichkeit gelangt. Und an den festgelegten Geschlechterrollen in der engstirnigen Gesellschaft um das Jahr 1960 herum, in denen eine gleichrangige Beziehung zwischen zwei erfolgreichen Schreibenden erst erfunden werden musste:

(…) wenn ich einen Augenblick denken dürfte, dass das nicht wahr ist, dass ich etwas Ganzes bin und nicht nur ein Ergänzungsstück im Baukasten eines anderen, manchmal fühl' ich mich so erniedrigt - das ist das einzige Wort, das mir einfällt, und manchmal kann ich's hinnehmen und dann wieder nicht. Leseprobe (Ingeborg Bachmann)

Max Frisch: radikal modern und empathisch

Welch ein Glück auch, dass Frisch auf seiner Schreibmaschine fast immer mit Durchschlag schrieb, sonst wäre das Ungleichgewicht von 88 Frisch- zu 172 Bachmann-Briefen noch größer. Frisch erscheint radikal modern, als empathischer Mann, der mit tiefer Überzeugung der geliebten Frau ihren Platz nicht nur im Geiste zugesteht, sondern auch ganz praktisch bereiten möchte. Und der sie als Schriftstellerin als durchaus höherrangig anerkennt.

Ich möchte lesen: Deinen Aufsatz über Proust, alles, was Du schreibst. Schick es doch! Ich liebe mit so zärtlichem Neid die Dichterin in Dir, Ingeborg Bachmann. - Ich werde jetzt ein Bad nehmen. Leseprobe (Max Frisch)

Eine moderne Liebesbeziehung

Sie berieten sich gegenseitig bei ihren Werken. Was die Briefe auch enthüllen, ist der Einfluss, den Ingeborg Bachmann auf Frischs Roman "Mein Name sei Gantenbein" nahm, in dem sie sich porträtiert sah und den sie nicht erst, wie behauptet, kurz vor dem Druck zu Gesicht bekam. Von Anfang an begleitete sie seine Entstehungsgeschichte eng und redigierte ihn auch noch, als die Liebe an anderen Partnern - viele prominente Literaten der Zeit waren darunter - schon fast gescheitert war. Denn - auch das sehr modern -, Bachmann und Frisch hatten im März 1960 den sogenannten "Venedig-Vertrag" geschlossen, der beiden sexuelle Begegnungen außerhalb ihrer Beziehung zugestand. Meldepflichtig waren nur solche, die an ihrem Verhältnis "grundsätzlich etwas änderte". Dieser Fall trat ein, als Bachmann den italienischen Germanisten Paolo Chiarini kennenlernte und Frisch kurz danach Marianne Oellers, die er 1968 auch heiratete.

Es gibt nur noch die Trennung. Und in wenigen Tagen wirst du erleichtert und froh sein, dass ich es ausgesprochen habe. Dass Du mich jetzt nicht liebst, weiß ich, dass diese "Veränderung" stattgefunden hat. Dass Du mich noch einmal später plötzlich lieben wirst, glaubst Du Dir selber nicht mehr, und ich glaube nicht einmal mehr, dass Du je ein wirkliches Gefühl für mich gehabt hast. Leseprobe (Ingeborg Bachmann)

Ingeborg Bachmanns fehlende Wertschätzung

Sie irrt sich sehr, möchte man meinen. Bachmann diktiert die Bedingungen der "Scheidung", Frisch geht auf alles ein, bietet ihr finanzielle Unterstützung an. Doch sie kommen nicht mehr zueinander. "Sie hat ihn nicht wirklich wertschätzen können außer in den Phasen, in denen er sich von ihr getrennt hat oder trennen wollte", sagt Renate Langer, Herausgeberin der "Salzburger Ingeborg Bachmann Edition". Dann hat sie alles in Bewegung gesetzt, um ihn für sich zu gewinnen oder zurückzugewinnen. Aber wenn er ihr sicher war, war er zu alt, zu langweilig, und zu wenig glamourös im Vergleich zu dem Status, den sie hatte als Diva und Primadonna. Sie war sich nicht bewusst, wie wichtig er ihr ist."

Psychische Probleme mit Klinikaufenthalten, Schlaflosigkeit, Tablettensucht, Einsamkeit - Bachmann entkommt ihrem Unglück nicht mehr, niemand, auch nicht Frisch, kann ihr helfen. Eine Tragödie in Briefen, packend, herzergreifend.

"Wir haben es nicht gut gemacht" - Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch

von
Seitenzahl:
1039 Seiten
Genre:
Roman
Zusatzinfo:
Herausgegeben von Hans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle, Barbara Wiedemann
Verlag:
Suhrkamp
Bestellnummer:
978-3-518-43069-9
Preis:
40 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 30.12.2022 | 12:40 Uhr

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