"Ihr ganz lieben Zwei": Banale Briefwechsel der Ehepaare Lenz und Schmidt
Siegfried Lenz und Helmut Schmidt waren eng befreundet. Auch ihre Frauen Lilo Lenz und Loki Schmidt verstanden sich ausgezeichnet. Deutlich wird das aus den Briefen, die sie sich gegenseitig geschrieben haben.
Über 200 davon wurden nun im Buch "Ihr ganz lieben Zwei" gesammelt. Darin schreiben sich die Paare über ihre Gemüts- und Gesundheitszustände, die Lage in der Bundesrepublik und immer wieder auch über ihre Leidenschaft für gute Gespräche und den Garten.
Lenz und Schmidt: Eine enge Freundschaft
"Deutschstunde" - das Meisterwerk von Siegfried Lenz lässt auch Helmut Schmidt nicht kalt. 1968, kurz nach Erscheinen des Romans, schreibt er, damals noch Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, an den Autor der "Deutschstunde". Dessen Protagonist Max Ludwig Nansen erinnert stark an den Maler Emil Nolde.
Mit großem Vergnügen einerseits und mit tiefer innerer Zustimmung haben sowohl meine Frau als auch ich in den letzten Wochen ihre "Deutschstunde" gelesen. (…) Seit meinem 16. Lebensjahr ist Emil Nolde für mich (…) der größte deutsche Künstler dieses Jahrhunderts; seine Einreihung in die NS-Ausstellung sogenannter entarteter Kunst löste bei mir als damals Siebzehnjährigen den Bruch mit dem Nationalsozialismus aus. Leseprobe
Noldes Bewunderung für die Nazis ist damals noch nicht so gründlich erforscht wie heute. Aber der Brief macht deutlich: Die Ehepaare Lenz und Schmidt vertrauen sich, schreiben ehrlich, was ihnen durch den Kopf geht.
"Immer wieder merke ich, wie schön man mit euch reden kann", schreibt Loki in einem Brief an das Ehepaar Lenz. Siegfried und Lilo waren 57 Jahre verheiratet. Als sie 2006 stirbt, macht der Schriftsteller eine sehr schwere Zeit durch, in der ihm die Schmidts zur Seite stehen. Er öffnet sich ihnen gegenüber.
Ja, liebe Loki, zum ersten Mal musste ich nach Lilos Tod die Erfahrung machen, dass ich mich nicht verlassen konnte auf meine Imagination, etwas dunkelte sich ein, (…) selbst das gebotene und ehrwürdige Nacheinander des Erzählens fiel mir schwer: Ich wollte aufgeben. Leseprobe
"Ihr ganz lieben Zwei": Enttäuschende Briefsammlung
Neben den Briefen gibt es auch sonst viele Treffen. Die Paare besuchen sich gegenseitig in den jeweiligen Urlaubsdomizilen, machen gemeinsame Reisen und treffen sich bei offiziellen Anlässen. Sie verstehen sich ausgezeichnet.
So schön einige der Details sind, die manches Private verraten - insgesamt ist das Lesen der Korrespondenz eher eine Enttäuschung. In den meisten der Briefe versichern sich die Paare der gegenseitigen Freundschaft, bedanken sich für die Treffen und für Gartentipps. Politik, Deutscher Herbst, NATO-Doppelbeschluss - wenn überhaupt sind es Randnotizen. So wirkt die Briefsammlung überraschend banal und seicht. Loki an das Ehepaar Lenz:
Wie haben wir es wieder gut gehabt bei Ihnen. Die schönen Gespräche, Ihr gemütliches Haus (…) Wir haben es wieder einmal rund herum genossen, mit ihnen zusammen zu sein. Leseprobe
Briefwechsel nur bedingt lesenswert
Dass es eine tiefe Freundschaft war, wird klar, aber auch, dass die Gespräche bei gutem Wein und gutem Essen in den jeweils liebevoll gepflegten Gärten wohl aufschlussreicher gewesen sein dürften als die meisten der hier vorliegenden Briefe. Berührende Momente, etwa als Loki über ihre Schwester schreibt, sind selten. In Lenz' Roman "Die Klangprobe" gibt es eine Figur, die Loki an sie denken lässt.
Ich glaube, ich habe Euch nie von meiner in Kanada 1964 gestorbenen Schwester Linde erzählt. (…) das Gefühl der Beklemmung, dass du einem Menschen in dem Buch einen wichtigen Platz gibst, den du nie kanntest und der mir so vertraut war, das Gefühl ist immer noch da. Leseprobe
Was die Lektüre ebenfalls erschwert, ist die Aufteilung des Buches. Die vier Schreibenden erwähnen immer wieder Orte, Menschen, Erinnerungen, zu denen einem als Leser zunächst der Kontext fehlt. Dieser wird erklärt, aber nicht in Fußnoten auf der Seite, sondern erst in der zweiten Hälfte des Buches. Die ganze Zeit hin- und herzublättern, um alles zu verstehen, ist frustrierend. So bleibt dieser Briefwechsel leider nur bedingt lesenswert.
Ihr ganz lieben Zwei
- Seitenzahl:
- 464 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Herausgegeben von Maren Ermisch
- Verlag:
- Hoffmann und Campe
- Bestellnummer:
- 978-3-455-01488-4
- Preis:
- 26 €
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Romane
