"Harte Leute": Kluge Essays von Rachel Kushner
Rachel Kushners Band "Harte Leute" versammelt 20 Essays. In ihren literarischen Betrachtungen verwebt sie persönliche, gesellschaftliche, politische und kulturelle Themen miteinander.
Schriftstellerin zu sein, bedeute, die Party früher verlassen zu haben als alle anderen, schreibt Rachel Kushner in ihrem titelgebenden Essay "Harte Leute". Als Schreibende ist Rachel Kushner eher die Sanfte, die mittendrin, aber gleichzeitig immer außen vor bleibt. Die sich vom Geschehen zurückzieht, um es als Erinnerung festzuhalten, um vielleicht eines Tages darüber schreiben zu können.
Das ist es, was Schreiben leistet. All das Material der Erinnerungen, es beginnt, Fragen zu beantworten. Es legt Zeugnis ab. Es spricht. Leseprobe
Rachel Kushner: Die analysierende Erzählerin
Rachel Kushners Band "Harte Leute" versammelt 20 in verschiedenen Publikationen erschienene Essays, die für die Buchversion neu von der Verfasserin überarbeitet wurden. Dabei spricht die 1968 geborene Kushner aus der Haltung einer analysierenden Erzählerin heraus, die durch die Lande reist und die Weltgeschichte betrachtet. Jedoch spielen die Plätze ihrer Jugend die größte Rolle. So wird Kalifornien und speziell San Francisco zur Plattform von Kushners literarischen Betrachtungen, die persönliche, gesellschaftliche, politische und kulturelle Themen miteinander verweben. Dabei spielen neben der Weltliteratur der Film und die Musik eine große Rolle.
Schon als Jugendliche arbeitete Kushner als Barkeeperin in Bars und Musikclubs, die für sie auch zu Schauplätzen sozialer Clashs wurden.
Ich weiß nicht mehr, wie ich meinen Job im Warfield bekam, aber es fühlte sich wie ein triumphaler Schritt vorwärts an. Die Jerry Garcia Band spielte jedes Jahr an etlichen Abenden im Warfield, und ihr Publikum kaufte eine Menge Drinks. Wir verdienten gut an ihren Konzerten, waren aber im Krieg mit ihren Fans. Sie nervten uns nicht bloß, weil sie Hippies waren, sondern weil viele von ihnen wie reiche Jugendliche wirkten, die noch nie hatten arbeiten müssen. Manchmal rächten wir uns, indem wir ihnen zu wenig rausgaben. Damals kam uns das wie ein fairer Aufschlag vor. Leseprobe
"Harte Leute": Scharfsinnige Alltagsbeobachtungen
Rachel Kushner, die in bescheidenen, aber bildungsnahen Verhältnissen in San Francisco aufwuchs, war viel auf sich gestellt und transformiert ihre Entdeckungen als Erinnerungen in Literatur. Kushners Sprache ist angenehm cool, rau, scharfsinnig, klug und flexibel. Genauso wie ihr die Worte der Drogen- und Skateboardszene in die Schreibfeder laufen, so findet man auch den Eliteuniversitätsjargon vor, der in der nächsten Zeile wiederum von Alltagsbeobachtungen abgefedert wird, die wiederum in unaufgeräumte Wohnungen von Nachbarn und Freunden führen.
Es geht ihr immer um gesellschaftliche und zwischenmenschliche Bezüge und nicht zuletzt um das Schreiben, was Kushner nachdrücklich in einem Essay über die französische Schriftstellerin Marguerite Duras aufgreift:
Duras passierten Dinge, "die sie nie erlebt hat" - wie sie es ausdrückte. Die Geschichte ihres Lebens gebe es nicht, sagte sie. Den Roman ihres Lebens - ja. Leseprobe
Rachel Kushners Unsicherheitsfaktor
In Anlehnung an Marguerite Duras weist sich Rachel Kushner als Schriftstellerin selbst die Expertise der Durchlässigkeit aus. Sie ist empfänglich für alles, was ihr begegnet und absorbiert ständig Eindrücke und Erlebnisse. Die fließen durch die Autorin hindurch und verändern sich, sodass sie dazu eine Distanz aufbauen kann. Die Frau, die über ihr Erleben schreibe, sei nicht dieselbe Frau wie die, die das Erlebnis hatte, hält Kushner treffend fest. Somit ähnele das Schreiben einer Art Wiedergeburt, die Kushner zu dem kurzen Bekenntnis "Es gibt uns" verführt, womit auch ihre literarischen Figuren gemeint sind. Dennoch zweifelt sie gleichzeitig an der literarischen Realität und an sich. Vielleicht ist Rachel Kushner genau wegen dieses Unsicherheitsfaktors eine so brillante Schriftstellerin.
Harte Leute
- Seitenzahl:
- 320 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell
- Verlag:
- Rowohlt
- Bestellnummer:
- 978-3-498-00240-4
- Preis:
- 26 €
Schlagwörter zu diesem Artikel
Romane
