Diversität in Kinderbüchern: Gut gemeint - und gut gemacht?
Das Thema Diversität in Kinderbüchern wird seit einiger Zeit kontrovers diskutiert. Unsere Reporterin hat sich mit einer Lektorin, einer Aktivistin und einer Literaturredakteurin über das Thema unterhalten.
Durch Literatur verstehen wir die Welt. Das ist ganz und gar nicht didaktisch oder erzieherisch gemeint, sondern: Literatur öffnet Leserinnen und Lesern im besten Fall die Augen und Herzen. Das gilt natürlich auch für Kinderliteratur. Die Welt ist bunt, sagt Lilly Raible, Lektorin beim Oetinger Verlag. Deshalb müssten Kinderbücher das auch sein - sie sollten die Welt der Kinder abbilden.
"Die Lebensrealitäten der Kinder sind divers"
"Kinderbüchern sollen helfen, Dinge einzuordnen, die die Kinder sehen und erfahren", so Raible. "Sie sollten auch Dinge zeigen, die die Kinder bisher vielleicht noch nicht kennen. Die Lebensrealitäten der Kinder sind divers und deswegen sollte das auch abgebildet werden. Das heißt aber nicht, dass das immer aktiv adressiert werden muss, sondern manchmal ist das auch einfach in einer Illustration oder in einer Zeichnung erkennbar."
Der Hamburger Oetinger Verlag hat bereits einige Bücher im Programm, die Diversität selbstverständlich und nicht allzu plakativ zum Thema haben. Ndey Bassine Jammeh-Siegel reicht das nicht. Die Sozialarbeiterin betreibt seit 2019 die Instagram-Seite Afrokids Germany. Dort stellt sie Kinderbücher mit schwarzen Protagonistinnen und Protagonisten vor. Auf die Idee sei sie vor allem aus Frust gekommen, sagt Jammeh-Siegel. Nach der Geburt ihres Sohnes habe sie festgestellt, dass es bislang viel zu wenig dieser Kinderbücher in deutscher Sprache gebe.
Repräsentation in Kinderbüchern gefordert
"Ich vermisse ganz einfache Dinge wie zum Beispiel Geschichten auf dem Spielplatz oder im Kindergarten", erzählt Jammeh-Siegel. "Ich möchte ein Kinderbuch mit schwarzen Menschen auf dem Bauernhof. Nicht, dass mein Kind denkt, dass es so etwas nicht gibt. Es darf ruhig eine lustige, einfache Geschichte sein."
Diese Geschichten seien für schwarze Kinder unerlässlich, findet die Sozialarbeiterin, weil sie in ihnen gespiegelt werden. Die Kinder fühlten sich dann wahrgenommen und als ein Teil dieser Gesellschaft. Und noch etwas sei wichtig: "Wenn schwarze Kinder nur weiße Menschen in Rollen sehen, glauben sie, diese Rollen nicht ergreifen zu können. Wenn sie nur weiße Lehrer*innen, weiße Politiker*innen, weiße Pilot*innen sehen, denken sie, diese Berufe sind für sie nicht geeignet. Erst durch die Repräsentation in Kinderbüchern können die Kinder sehen, dass sie alles sein können, was sie möchten."
Die Gefahr: Diversität mit der Holzhammermethode
Diversität bedeutet Vielfalt und beschränkt sich natürlich nicht allein auf Herkunft und Hautfarbe. Auch sexuelle Orientierung, diverse Familienmodelle oder Menschen mit Behinderungen beispielsweise sind ein Thema. Aber auch in der Literatur gilt: Gut gemeint ist oft nicht gut gemacht. Und so gab und gibt es Bücher, die mit der Holzhammermethode arbeiten, schrecklich moralinsauer und langweilig sind.
NDR-Redakteurin Katharina Mahrenholtz beschäftigt sich seit Jahren mit Kinderbüchern und hat festgestellt: "Man merkt, dass sich Autorinnen und Autoren mit dem Thema Diversity auseinandersetzen. Das tut den Büchern nicht immer gut, manchmal merkt man schon, dass hier auf Krampf versucht wird, der Diversity-Forderung gerecht zu werden - und dann entstehen unglaubwürdige Geschichten oder Charaktere. Aber ich habe in der letzten Zeit auch mehrere Bücher gelesen, in denen zum Beispiel Kinder mit Behinderungen die Protagonisten sind - und das war sehr gut umgesetzt."
"Mission Hollercamp": Buch mit hörbehinderter Protagonistin
Als ein Beispiel nennt Katharina Mahrenholtz "Mission Hollercamp" von Lena Hach. In diesem Buch ist eine Protagonistin hörbehindert.
Fest steht, dass sich das Angebot an guten diversen Kinderbüchern in den vergangenen Jahren in Deutschland verbessert hat. Ndey Bassine Jammeh-Siegel wünscht sich allerdings mehr schwarze Autorinnen und Autoren, die über ihre Lebenswelten schreiben - vielleicht ein Aufruf an die Kinderbuchverlage.
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